"Der Turm" im Residenztheater: Die Macht und der Bluthammer
Vom Salzburger "Jedermann"-Ritus und den Operntexten für Richard Strauss einmal abgesehen: Jenseits der Germanistik spielt Hugo von Hofmannsthal als Dramatiker keine Rolle. Vor 30 Jahren war Thomas Langhoffs Inszenierung des Spät- und Hauptwerks "Der Turm" am Deutschen Theater in Berlin ein vielbeachtetes Ereignis. Danach aber wagte sich kaum mehr jemand an den Fünfakter, der aus konservativer Sicht einen Machtwechsel von der Monarchie zur Diktatur darstellt.
Fünfe Akte in 100 Minuten
Nun hat sich die Regisseurin Nora Schlocker im Residenztheater an diesem nicht ganz geheuren Text versucht. Die Kürzung des fünfaktigen Großformats auf gut 100 pausenlose und etwas holzschnittartige Minuten lässt sich als Indiz dafür lesen, dass sie Hofmannsthal nicht ganz traut. Dabei befindet sie sich in guter Gesellschaft des zeitlebens als Dramatiker unsicheren Autors.
Wie so oft bei Hofmannsthal stand am Anfang eine Bearbeitung. "Der Turm" überschreibt Calderóns Drama "Das Leben ist ein Traum" mit den Krisenerfahrungen der damaligen Gegenwart vor 100 Jahren. Auch wenn das Drama noch zu Lebzeiten Hofmannsthals 1928 im Prinzregententheater sowie gleichzeitig in Hamburg und Würzburg uraufgeführt wurde, ist es mit seinen vielen Varianten letztendlich ein Fragment.
Hofmannsthals "Der Turm" handelt von einem Thema, zu dem Frauen aus seinerzeitiger Sicht nichts zu melden hatten: von Macht und Krieg. Schlocker hat den wie ein Vieh im Kerker gehaltenen Prinzen Sigismund weiblich besetzt. Das leuchtet ein, weil die Figur in der Inszenierung ganz auf eine kreatürliche Geschlechtslosigkeit zurückgeworfen ist.
Fast alle Darsteller spielen mehrere Rollen
Lisa Stiegler spielt die Rolle gelenkig wie ein Schlangenmensch, sie zittert und spricht so kunstlos wie nur möglich. Das bildet einen schroffen Gegensatz zu ihrem effeminierten und affektiert-tuntigen König (Michael Goldberg), der sich offenbar in einem Gardinengeschäft eingekleidet hat, das auch kirchliche Kreise modisch zu beliefern scheint. Bettina Werners Kostüme sind – wie Hofmannsthals Text – historisch und zugleich bizarr zeitlos.
Der Schauplatz ändert sich nicht und bleibt auf eine allzu offensichtliche Weise klaustrophobisch (Bühne: Irina Schicketanz). Bis auf Lisa Stiegler spielen alle Darsteller recht virtuos mehrere Rollen. Mit der bisweilen arg konstruierten und von Fatalitäten raunenden Sprache mit ihren Archaismen werden alle ganz gut fertig.
Die Inszenierung folgt mit solidem Handwerk ohne Wenn und Aber der stark verdichteten Handlung, an deren Ende der politische Hoffnungsträger von radikalen Kräften entsorgt wird, weil sie seine vergeistigte innere Freiheit nicht brauchen können. Die starken Kürzungen machen die Figuren eindimensional.
Blutiger Hammer symbolisiert Härte des Regimes
Und leider haben Hugo von Hofmannsthal wie Schlockers Textfassung aus Respekt vor Calderón die halb komische Figur des treuherzigen Dieners (Johannes Nussbaum) unentsorgt gelassen. Derlei mag im spanischen Theater des 17. Jahrhunderts unerlässlich gewesen sein, in der Aufführung berühren seine Texte unfreiwillig peinlich.
Die Spielweise bleibt stets distanziert. Alles steht in Anführungszeichen, vor allem die Gewalt – mit dem Vorteil, dass der finale Machthaber Olivier (Valentino Dalle Mura) nur einen blutigen Hammer in der Hand halten muss, damit Klarheit über die Natur seines Regiments herrschen zu lassen.
Olivier ist im Residenztheater ein kriegsbeschädigter (Neo-) Nazi. Das widerspricht zwar dem Text nicht, der einen zynischen Ingenieur der Macht auftreten lässt, aber letztendlich hatte der am Ende seines Lebens von einer "konservativen Revolution" träumende Hofmannsthal wohl eher die Gefahren einer linken Diktatur des Proletariats im Auge. Und deswegen dürfte die Inszenierung hier schon etwas mehrstimmiger sein, womit wir beim zentralen Problem dieser Dichtung und ihrer Aufführung im 21. Jahrhundert wären.
Inszenierung entpolitisiert das Theaters
Hofmannsthal stellt den gegen die morsche Monarchie gerichteten Umsturz als lang geplantes ablaufendes Komplott dar. Da ist sein Text nur Millimeter von heutigen Verschwörungsmythen entfernt, die von den Bilderbergern und dem großen Reset raunen. Der mündige Zuschauer mag sich da selbst einen Reim drauf machen. Aber etwas mehr Denkhilfe wäre angebracht gewesen.
Denn die Aufführung verschweigt die Skrupel des Autors im letzten Akt. Schlocker bedient hier – gewollt oder ungewollt – leider ein aus Debatten über den Arabischen Frühling, dem Aufstand im Iran oder die Zukunft Russlands gängiges und bequemes Argument, dass ein kaputtes Regime zwar schlecht sei, einem gewaltsamen Regimewechsel jedoch vorzuziehen sei, weil der zwangsläufig in eine noch schlimmere Gewaltherrschaft münde.
Schlockers Inszenierung antwortet auf die mühevolle Selbstpolitisierung des Ästheten Hofmannsthal mit einer Entpolitisierung des Theaters. Man sieht auf der Bühne, wie schlimm ein Machtwechsel sein kann und wendet sich mit Grausen. Aber in politischen Zeiten ist das kein überzeugender Ansatz – vor allem wenn die Frage nach der gegenwärtigen gesellschaftlichen Relevanz von Theater als riesiger Elefant in jedem Zuschauerraum steht. Da ist Hofmannsthal keine Antwort.
Residenztheater, wieder am 25. und 31. Oktober, 3., 8., 9. November. Karten unter Telefon 2185 1940