Der Tanzabend „Much Dance“ von Jan Decorte - die AZ-Kritik
Liebe hat viel mit Gewicht zu tun, der Körper des anderen (und der Geist, der ihn im steckt) eine Last, die man mit Vergnügen trägt oder als Belastung empfindet. Wenn Sigrid Vinks auf Benny Claessens steigt, dann macht er für sie bereitwillig das Pferdchen und transportiert sie auf allen Vieren. Was in seiner würdevoll-ironischen Ausführung etwas von einem Kinderspiel hat, das nun mal zwei Erwachsene spielen.
Gleichsam harmlos experimentierend wirkt es, wenn Risto Kübar auf den Rücken von Benny Claessens springt, ihre Oberkörper nackt, und Kübar sich nicht mit Händen fest hält, weshalb er schweißbedingt herunterrutscht. Um wieder und wieder aufzuspringen.
Ist der Andere dazu da, uns Halt zu geben? Solche Fragen können sich stellen, drängen sich aber nicht auf, wenn man sich in der Spielhalle der Kammerspiele „Much Dance“ anschaut. Der Belgier Jan Decorte verfolgt ein Theater der Einfachheit und kindlichen Leichtigkeit, das den Zuschauer nicht überrollt, sondern freundlich zum Betrachten einlädt.
Keine Athletik, dafür Lust am Tanzen
Wie interessiert man dies tut, hängt von der Bereitschaft ab, von gewissen Vorstellungen abzurücken, auch was Virtuosentum und Perfektion angeht.
Die Besetzung von „Much Dance“ ist schon allein ein Statement: keine Athletik, dafür Lust am Tanzen. Decorte bildet mit seiner Lebenspartnerin Sigrid Vinks ein Performance-Paar. Hinzu kommen Benny Claessens und Risto Kübar, die schon in „Spectacular Lightshows of Which U Don’t See the Effect“ wundersame Kampfrunden der Annäherung vorführten. Bei Decorte singen sie zweistimmig „Water me“ der britischen R&B-Entdeckung FKA Twigs: das Ich als Pflänzchen, das dem anderen verspricht zu wachsen. Du musst mich nur gießen! Solche Abhängigkeiten kann man schön oder furchtbar finden, genauso, wie eine Umarmung, zu dritt erwärmend oder erstickend sein kann.
Die mit Glühbirnen beleuchtete Bühne, versehen mit drei Holzgebilden, an denen Spiegel eine zweite verzerrte Perspektive anbieten, macht das Quartett zu einem Laboratorium der fest gegossenen Kontaktimprovisationen und synchron getanzten Choreographien. Das alles ist jenseits professioneller Glätte. Körpern sind im Spiel, deren jeweiliges Gewicht und Alter zwar ins Auge fallen, aber sich selbstbewusst gegen jede Bewertung stemmen.
Das Gewicht des Todes
Jan Decorte schaut meist zu. Sigrid Vinks lässt das innere Mädchen raus. Risto Kübar wirkt, auch wenn er Decortes Liebesgedichte vorträgt, in sich gekehrt. Und Benny Claessens, Herzzentrum des Abends, unterstreicht den Unernst mancher Übung mit gezieltem Augenaufschlag.
Als witziges Gegengift zum Terror der Körperideale und den spektakulären Shows, die auf uns täglich einprasseln, lässt sich „Much Dance“ entspannt genießen. Das kitschige Melodram ist aber nicht weit, etwa, wenn Decorte gegen Ende jäh vom Stuhl fällt und Vinks ihn auf dem Boden schleift. Aber es erzählt erneut etwas: vom Gewicht des Todes, das der wahre Liebende eben auch ertragen muss.
Kammerspiele / Spielhalle, 12., 14., 17. und 19. 1., 20 Uhr, Telefon 233 966 00
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