Kritik

Das Volkstheater zeigt "Hänsel und Gretel"

Juli Mahid Carly stürzt das Märchen in den Abgrund heutiger Essstörungen
von  Michael Stadler
Max Poerting, Julian Gutmann, Henriette Nagel spielen "Hänsel und Gretel".
Max Poerting, Julian Gutmann, Henriette Nagel spielen "Hänsel und Gretel". © Gabriela Neeb

Bernd das Brot steckt in der Krise. Zwar hatte das sprechende Kastenweißbrot, Gallionsfigur des Kinderfernsehkanals KiKa, schon immer eine starke Tendenz zum fatalistischen Deprimiert-Sein, aber auf der Bühne 2 des Volkstheaters ergreift ihn doch noch mal mit Nachdruck die Endzeitstimmung.

Er befindet sich hier in einer Inszenierung, in der verschiedene Essstörungen im Duktus heutigen Diskurstheaters durch die Mangel genommen werden, was natürlich auch ihn stark betrifft. Im Rahmen einer Foto-Schau hält Bernd einen Vortrag über das Brot-Sein im 21. Jahrhundert. Brad Pitt kommt ins Bild, ja, "Bread Pitt", und Bernd muss traurig feststellen: "Die Zeit des alten weißen Cis-Brots ist vorbei." Wer solche Einlagen nicht lustig findet, ist in dieser Volkstheater-Produktion fehl am Platz.

Märchen als popkulturelle Phänomene

"Hänsel & Gretel: A Sweet Escape" heißt die neue Regiearbeit von Juli Mahid Carly. Das Grimmsche Märchen ist also Hauptausgangspunkt, wobei nach Belieben andere Märchen und popkulturelle Phänomene zitiert werden: Mit dem "hex hex" von Bibi Blocksberg wird gehext und auf der von Nathalie Schatz eingerichteten Sahnelandschaft findet sich nicht nur ein kleines Knusperhäuschen, sondern auch ein Rapunzel-Zopf, der riesig lang vom Bühnenhimmel herabhängt.

Nicht nur das Ambiente ist lecker schrill, auch die Kostüme von Hanna Rode bieten wunderbares "Eye Candy". Als queere Hexe Godel, gekleidet im grünen Outfit mit geschneckerlt-rosa Brüsten plus einer Krone mit Zähnen als Zacken auf dem Kopf gibt Lukas Darnstädt mächtig Zunder, aber auch er kann nicht verhindern, dass der Inszenierung immer wieder die Luft ausgeht. Zu viele Gags verpuffen, die Märchen-Dekonstruktion plus metatheatralen Ausbrüchen entpuppt sich leider nicht als abendfüllend.

Nicht mal die poppigen Songs knallen

Nach einer launigen, betont mittelalterlichen Exposition (Musik: Andreas Niegl) stranden Max Poerting und Henriette Nagel als Hänsel und Gretel im weitschweifigen Sahne-Reich der Hexe und die Inszenierung verliert sich in einem losen Wust aus Nummern.

Hier eine Familienaufstellung mit riesigen Tarot-Karten, da eine Einlage mit lustigen Atomkugel-Kostümen, um zu demonstrieren, wie der Insulinspiegel bei Zuckerkonsum steigt. Anne Stein gibt als gestrenger Vater von Hänsel und Gretel und grimmiger Wolf ein herrlich bierernstes Bild herber Männlichkeit ab. Julian Gutmann ist als namenlose Stiefmutter zwischen Fürsorge und Verlogenheit schön stiefmütterlich und als Bernd das Brot einnehmend deprimiert. Aber es hilft alles nichts: Bei der Premiere wollen nicht mal die poppigen Songs so richtig knallen.

Vielleicht spielt sich das ja noch ein und aus dem Ganzen wird eine gehörige Gaudi, die einem den Abgrund zwischen Fast Food und Gesundheitswahn, zwischen Intoleranz und Wokeness mitreißend vor Augen führt.

Volkstheater, Bühne 2, wieder am 22. und 29.12. (20 Uhr), 28.12. (19 Uhr); Karten unter Telefon 523 46 55

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