Corona-Lockerungen: Bitte eine Extrawurst für alle!
München – Im letzten Moment gelang es Kunstminister Bernd Sibler am Montag noch, die Staatsopernpremiere am folgenden Tag wenigstens ein bisschen zu retten. Vielleicht hatte er aber auch Angst, den Zorn der Performance-Diva Marina Abramovic zu spüren, die sich sehr verärgert über die ursprüngliche Publikumsbeschränkung auf 200 Plätze für die Uraufführung ihres Stücks "7 Deaths of Maria Callas" in der Staatsoper gezeigt hatte.
Jedenfalls überzeugte Sibler doch noch Markus Söder, dass die medial von Intendant Nikolaus Bachler geforderten 500 Zuschauer nicht der Untergang der bayerischen Corona-Politik seien. Und damit kein Flächenbrand an Forderungen anderer Häuser ausbreche, wurde diese längst überfällige Lockerung vorsichtshalber als "Pilotversuch" deklariert, beschränkt auf die Staatsoper bis Ende September.
Die Nachfrage ist da, es fehlt das Angebot
Welche neuen Erkenntnisse auch immer dabei gewonnen werden sollen, eines steht fest: Nicht nur das Publikum hat die södersche Vernichtung des Kulturlebens gründlich satt. Die für die fünf Abramovic-Abende nun zusätzlich auf den Markt gebrachten 1500 Tickets verkaufte die Bayerische Staatsoper übrigens in 18 Minuten - und doch gingen noch weit mehr Opernfreunde wieder leer aus. Die Nachfrage ist da, allein es fehlt das Angebot. Und der Unmut der Kulturanbieter über die strikte bayerische Einschränkungspolitik wächst.

So meldeten sich am Dienstag auch die Münchner Philharmoniker zu Wort, die auch nicht länger einsehen wollen, warum sie zu Saisonbeginn am 11. September vor 200 Zuschauern im Gasteig spielen sollen. "Die Erhöhung der Besucherzahl auf 500 Personen für die Oper ist eine gute Nachricht und ein wichtiges wie richtiges Zeichen. Nicht nachvollziehbar ist für uns, warum dieser Pilotversuch allein auf die Oper beschränkt bleiben soll", heißt es in der Mitteilung die von den Orchestervorständen, dem Chefdirigent Valery Gergiev und dem Intendant Paul Müller unterzeichnet ist. "Im Verhältnis zur Staatsoper verfügt die Philharmonie im Gasteig mit 2400 Plätzen sogar über ein höheres Raumvolumen, über ungleich mehr Foyerfläche, über eine Vielzahl von Eingängen zum Saal und über eine gleichermaßen leistungsfähige Belüftungs- und Klimatechnik. Der erforderliche Mindestabstand wird auch bei einer Kapazität von 500 Personen nicht nur eingehalten, sondern noch immer weit übertroffen."
Warum nicht auf positiven Erfahrungen anderer Länder aufbauen?
Weiter weisen die Philharmoniker darauf hin, dass die Salzburger Festspiele ebenso wie die großen Konzerthäuser in Berlin, Köln, Dresden und Hamburg ebenfalls schon die Erfahrung gemacht hätten, dass das Publikum sehr verantwortungsvoll mit der aktuellen Situation und den Einschränkungen umgehe. Abschließend heißt es: "Wir sehen alle Voraussetzungen für eine Erhöhung der Besucherzahl auf 500 Personen erfüllt und werden beim Freistaat eine entsprechende Ausnahmeregelung analog zur Staatsoper beantragen."
Grundsätzliche Zustimmung gibt es dazu auch beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das seine Saison zwei Wochen nach den Philharmonikern am 24. September im Herkulessaal eröffnen wird. "Das Pilotprojekt in der Staatsoper ist ein gutes Signal, dass sich etwas bewegt, sagt Orchestermanager Nikolaus Pont.
Deutsches Theater: Hygienekonzept für 500 Zuschauer
Auch das durch die bayerischen Regelungen lahmgelegte Deutsche Theater wittert nun wieder Morgenluft: "Wir freuen uns, dass nun eine längst überfällige Bewegung in die Diskussion um eine Erhöhung der Besucherkapazitäten kommt. Leider geht diese aber mit der Genehmigung ausschließlich für die Staatsoper nicht weit genug", schreiben die beiden Intendanten Carmen Bayer und Werner Steer. "Auch wir haben längst ein Hygienekonzept vorgelegt, das uns unter Berücksichtigung sämtlicher Sicherheitsauflagen einen Spielbetrieb mit fast 500 Besuchern ermöglicht. Eine Erhöhung der Besucherzahl ist für uns auch deshalb entscheidend, da mit lediglich 200 Besuchern ein wirtschaftlicher Spielbetrieb nicht möglich ist. Wir müssen 80 Prozent unserer jährlichen Kosten durch den Kartenverkauf decken. Es ist für uns daher nicht nachvollziehbar, warum der Pilotversuch nicht auf weitere Spielstätten wie unser Theater erweitert wird. Dies wäre nicht nur ein wichtiger Schritt im Sinne einer Gleichbehandlung, sondern würde am Ende auch die gewonnen Erkenntnisse eines solchen Versuchs um ein Vielfaches steigern."

Im Residenztheater sieht man es ähnlich: "Sollte analog zu beispielsweise den Salzburger Festspielen das Schachbrettmuster angewandt werden dürfen, könnten wir bis zu 500 Personen im Residenztheater platzieren. Somit werden wir die Testphase am Nationaltheater aufmerksam verfolgen und hegen natürlich die Hoffnung, dass wir ab Spielzeiteröffnung ebenfalls die Zuschauerzahl von 200 auf 500 erweitern können. Der Vorverkauf für unsere ersten Vorstellungen beginnt am 15. September, bis dahin sollten die offenen Fragen geklärt sein", hofft Ingrid Trobitz, die Pressesprecherin und stellvertretende Intendantin des Hauses.
"Je mehr Besucher, desto geringer das Defizit"
Christian Stückl hat schon einen Erfahrungsvorsprung: Sein Volkstheater spielt bereits seit dem 24. Juli wieder - vor nicht einmal 140 Zuschauern, die bei derzeit gültigen Abstandsregeln Platz nehmen dürfen. "Wir brauchen mehr Plätze, wir können derzeit nur ein Drittel der Einnahmen, die wir sonst haben, erlösen", sagt Stückl. "Wir haben zwar einen hohen Zuschuss von der Stadt, aber wir müssen auch selbst die Möglichkeit bekommen, wieder mehr Geld einzuspielen." Stückl warnt vor einer künftigen Spardiskussion in der Kultur. Wichtig ist ihm, dass es für städtische und staatliche Bühnen gleiche Regelungen geben müsse, weil das Publikum sonst verunsichert sei. Aber er begrüßt ausdrücklich, dass in einem Riesenraum wie der Staatsoper jetzt endlich wieder mehr als 200 Besucher zugelassen werden.

Auch Josef E. Köpplinger, der Hausherr des Gärtnerplatztheaters, betont: "Je mehr Besucher, desto geringer das Defizit". Er weist zusätzlich auf die derzeit gültige Abstandsregelung von eineinhalb Metern hin, die den Spielbetrieb erschwert. Er schlägt mehr Corona-Tests vor, für die allerdings auch finanzielle Mittel bereitgestellt werden müssten. Hilfreich wäre es, wenn österreichische Gurgeltest auch in Bayern eingeführt würde: Er ist weniger unangenehm als das Wattestäbchen in der Nase.
Köpplinger ist sich auch bewusst, dass trotz der positiven Erfahrungen in Salzburg ein Restrisiko bestehen bleibt. "Das Theater ist ein sicherer Ort, sicher jedenfalls als andere Orte", sagt er in Anspielung auf die Debatte um die Feiernden auf dem Platz vor dem Theater. Der Intendant wünscht sich von der Politik mehr Vertrauen in die mit Sorgfalt entwickelten Hygienekonzepte: "Wir sind bereit, autonom zu entscheiden und Verantwortung zu übernehmen." Denn das Theater sei als Ort des demokratischen Diskurses unverzichtbar.