Circo Zoé mit "Deserance" bei Tollwood
Am Anfang wirkt alles ganz beschaulich. Auf der Bühne des Grand Chapiteau, dem Tollwood-Zelt fürs Zirzensische, steht hinten ein zweistöckiges Baugestell, zwei Musiker und ihre Instrumente befinden sich in der oberen Etage. Auf der Bühne vorne hängt ein aus dicken Seilen bestehendes Netz herab.
Eine Frau tanzt dahinter, windet ihren Körper durch die Maschen, während ein Mann neben ihr seine ziemlich kurz wirkenden Skier wachst. Die beiden bereiten sich vor, machen sich in aller Ruhe warm - bis plötzlich ein Schuh herabfällt. Gefolgt von einem Sakko. Und siehe da, unter der Zeltkuppel sitzt ein heimlicher Beobachter, der sich mit einer Strickleiter abzuseilen versucht. Die aber bricht entzwei.
Später stolpert der bärtige Tollpatsch über einen Scheinwerfer, kracht in die Kulissen. Was zu der robusten Komik des Abends, zum aufregenden Spiel zwischen Musikgenres und artistischen Disziplinen passt.
Begehren und Widerstand
"Deserance" nennt die italienisch-französische Truppe Circo Zoé ihre Show, in der Wortschöpfung vermischen sich Begehren und Widerstand. Angesichts der Körper kann Begehren leicht entstehen. Dabei widersetzt sich die Kompagnie manchen Konventionen, reiht Nummern nicht schlicht aneinander, sondern lässt Brüche entstehen und vermischt disparat erscheinende Dinge.
So dreht sich Maria Reiss-Seckler ganz hinreißend auf dem Trapez durch die Lüfte, wird dabei aber nicht von himmlisch schwebender Musik begleitet, sondern Diego Zanoli (Schlagzeug, Akkordeon) und Jean Stengel (E-Gitarre, Keyboard) heizen mit höllischem Rock die Atmosphäre ein. Dazu mischt sich der Operngesang von Irène Geninatti, die der Show immer wieder einen kräftigen Schuss Klassik verpasst.
Wenn Simone Benedetti, der tollpatschige Störenfried des Abends, sich plötzlich als virtuoser Seiltänzer entpuppt, steuert Geninatti die Händel-Arie "Lascia ch'io pianga" bei. Während bei Händel das eigene harte Schicksal beweint wird, vollführt Benedetti auf dem durchhängenden Seil einen traumhaften Balance-Akt. Gleichgewicht, das strebt man doch an im Leben, alleine und mit den anderen.
Körperbeherrschung ist alles
Am "Chinese Pole" halten Anouck Blanchet und Adrien Fretard sich und das Publikum großartig bei der Stange. Die Stürze von Fretard mit dem Kopf voraus nach unten lassen den Atem stocken. Körperbeherrschung ist alles, dafür sind die Artisten beste Vorbilder.
Und man schaut ihnen begeistert zu: Wie sich Chiara Sicoli durch das Netz windet oder sich durch den Luft-Ring aufs Rasanteste dreht. Wie Gaël Manipoud seinen Körper ins Cyr Wheel einspannt und mit ihm fantastisch kreist. Auf seinen kurzen Skiern legt Manipoud ein heiteres Intermezzo hin, ein Schneesturm fegt dank Ventilator über die Bühne. So klein die Styropor-Flocken auch sind, so ergeben sie doch ein hübsches Gesamtbild.
Auch die Artisten sind Einzelteilchen, aber sie schweißen sich zu einem beherzten Team zusammen. Solistische Momente wechseln sich ab mit Gruppenchoreografien, die drei Männer kaspern an einem hoch schwebenden Bühnenelement herum, die drei Frauen schauen ihnen am Boden lachend zu.
Lust am Spektakel
Das Publikum im Zuschauerraum kann sich indes für 90 Minuten seiner Lust am Spektakel hingeben. Bis zum 8. Dezember gastiert der Circo Zoé im Grand Chapiteau, danach beschäftigt sich die australische Gruppe Circa dort in "Humans 2.0" mit dem "Balanceakt des Menschseins" (vom 10. bis 14. Dezember). Die kanadische Compagnie The 7 Fingers komplettiert vom 17. bis 22. Dezember mit ihrer artistischen Romeo-und-Julia-Variante "Duel Reality" das "Festival du Cirque", welches die Tollwood-Macherinnen in diesem Jahr veranstalten.
Nur Obacht: Ein Gourmet-Menü gibt es dieses Mal im Grand Chapiteau nicht. Die Konzentration liegt ganz auf der Artistik. Die ja auch kulinarisch sein kann: Schlemmen kann man hier ausgiebig mit dem Auge. Den Rest besorgen die Foodtrucks auf dem Tollwood-Gelände.
Grand Chapiteau, "Deserance" bis 8.12., jeweils 19.30 Uhr, außer 1. und 8.12., 18 Uhr (spielfrei am 2.12.). Eintritt: 39 Euro, ermäßigt 29 Euro, Karten gibt es unter www.tollwood.de
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