Christian Stückl: "In zwei Jahren droht dem Volkstheater die Insolvenz"

Für Christian Stückl kommt die Kunst vor den Finanzen, das ist bei einer Pressekonferenz zur kommenden Spielzeit ganz klar. So stellen er und sein Team im Foyer des Volkstheaters zunächst mal das Programm der nächsten Saison vor. Aber man spürt bei Stückl eine Unruhe, die sich später in einer ausführlichen Rede entlädt, bei der er auch von einem drohenden "Kahlschlag der Kultur" spricht.

Denn es braucht natürlich Geld, um die Kunst zu finanzieren. Das ist ebenfalls ganz klar. Wobei: Dem Münchner Stadtrat ist es offenbar nicht ganz klar, denn er plant - weitere - massive Kürzungen für die städtischen Theater, inklusive Kammerspiele und Freie Szene, die man nicht für möglich halten möchte.
Doch zunächst mal: die Kunst! Das Volkstheater startet am 26. September in die nächste Saison mit einer Adaption des Films "The Lobster" von Yorgos Lanthimos, dessen mehrfach oscarnominierte Tragikomödie "Poor Things" zuletzt in den Kinos lief. Das ebenfalls oscarnominierte "Lobster"-Drehbuch, an dem Lanthimos mitarbeitete, haben Regisseurin Lucia Bihler und Hannah Mey für die Bühne in Form gebracht. Es geht um ein obskures Hotel, in dem die Gäste 45 Tage Zeit haben, einen Partner fürs Leben zu finden. Wer bei dieser Suche erfolglos bleibt, wird in ein Tier verwandelt.
Klassiker und neue Texte
Zwei Tage darauf, am 28. September, folgt eine Buchadaption: Katharina Stoll inszeniert "Mein Jahr der Ruhe und Entspannung" nach dem Roman von Ottessa Moshfegh auf der Bühne 2 des Volkstheaters. Eine Frau beschließt im New York der frühen 2000er Jahre, ein Jahr lang durchzuschlafen, um so der Sinnlosigkeit der Welt zu entkommen. Zwei ins Absurde gehende Stoffe also zu Beginn, die sich mit einer Generation auseinandersetzen, die mit Einsamkeit und Selbstentfremdung zu kämpfen hat.
Ein Klassiker des absurden Theaters, Eugène Ionescos "Die Nashörner", bringt Anna Marboe im April 2025 auf die große Volkstheaterbühne. Auch da verwandeln sich Menschen in Tiere, eben in Nashörner. Ionesco wollte wohl die Herdenmentalität der Menschen anprangern, der Bogen ins Heute lässt sich da vermutlich leicht schlagen.

Stückl selbst beschäftigt sich mit der Frage künstlerischer Integrität im Angesicht eines faschistischen Regimes, indem er Daniel Kehlmanns Roman "Lichtspiel" adaptiert (Premiere: 24. Oktober). Die wahre Geschichte des Regisseurs G.W. Pabst, der Anfang der 1930er nach Hollywood flieht, dann doch in seine Heimat Österreich zurückkehrt, wo er als Filmgenie von den Nazis umgarnt wird, hat Stückl vom Dramaturgen Leon Frisch ans Herz gelegt bekommen. Und Stückl griff zu.
Die Frage der Solidarität
Ein weiteres, noch nicht bestimmtes Stück wird er im Februar nächsten Jahres inszenieren. Sein Hausregisseur Philipp Arnold plant ebenfalls zwei Regieprojekte und kann auch erst mal einen Titel nennen: "Unsterblichkeit oder: Die Letzten Sieben Worte Emilia Galottis" handelt, so Arnold, von "einer durchgeknallten Adelsgesellschaft auf Schloss Nymphenburg" (Premiere am 15. November, Bühne 2).
Neben einiger neuer Dramatik stehen wenige Klassiker auf dem Programm: Neben den "Nashörnern" gibt es noch Camus "Caligula" unter der Regie von Ran Chai Bar-zvi zu sehen (Premiere: 23. Januar). Zudem gibt es ein Tanztheaterstück. Und fünf Ensemblemitglieder haben beschlossen, auf eigene Faust, ohne Regie Leo Meiers Stück "Fünf Minuten Stille" auf der Bühne 3 uraufzuführen (9. Oktober).
Mit Max Lindemanns Adaption von John Steinbecks "Früchte des Zorns" erweisen sich literarische Stoffe erneut als willkommenes Futter fürs Theater. Fragen von Solidarität werden hier angesichts der Großen Depression der 1930er und der Dürrekatastrophe im Herzen der USA verhandelt (4. Dezember). Und Christine Umpfenbach entwickelt gemeinsam mit Tunay Önder ein dokumentarisches Theaterstück über das Attentat im Olympia-Einkaufszentrum, Titel: "Offene Wunde" (25. April).

Nachdem der Künstlerische Direktor Frederik Mayet auf das wie üblich vielfältige Konzert- und Literaturprogramm hingewiesen hat - das von The Notwist kuratierte "Alien Disko"-Festival findet im Dezember wieder statt, Stefanie Sargnagel und Hape Kerkeling präsentieren unter anderem ihre Bücher -, kommt Intendant Stückl endlich auf das Thema zu sprechen, das ihn zu Recht in Alarmstimmung versetzt: die Etatkürzungen seitens der Stadt, die auf immer bedrohlichere Weise überhandnehmen.
Das angesichts eines klaffenden Haushaltslochs gespart werden muss, möchte Stückl gar nicht von der Hand weisen. Nur sind die Entscheidungen der Stadt so kurzfristig und massiv, dass er die Abläufe in seinem Haus kurzerhand umstrukturieren müsste, inklusive mehrfache Kündigungen, um irgendwie weitermachen zu können. Zudem "werden wir überproportional gezwungen zu sparen", sagt Stückl und meint dabei nicht nur sein eigenes Theater, sondern auch die anderen, ja, die Kultur insgesamt.

"Die Stadt wusste bei diesem Haus, auf was sie sich einlässt", sagt Stückl, weist dabei auf die erhöhten Kosten hin, die der Neubau mitsamt Technik und erweitertem Team nun mal, auch für die kommenden Spielzeiten, mit sich bringt. Ein Neubau übrigens, der innerhalb des veranschlagten Zeit- und Kostenplans im Schlachthofviertel errichtet wurde und das Publikum von Beginn an magnethaft anzog. Über 80 Prozent Auslastung hatte das Volkstheater im letzten Jahr, 130 000 Zuschauer kamen, Tendenz steigend. Das Haus läuft also gut, so Stückl, "und jetzt passiert plötzlich etwas und nicht nur uns."
Die Rücklagen sind aufgebraucht
Den jährlichen Betriebsmittelzuschuss von 18,25 Millionen Euro greift die Stadt zunehmend an: Zunächst musste das Volkstheater im letzten Jahr die Tariferhöhungen, die normalerweise die Stadt übernimmt, selbst erwirtschaften. Das sind 1,2 Millionen Euro, die das Haus nur deshalb übernehmen konnte, weil es aufgrund seiner Erfolge auf Rücklagen zurückgreifen konnte.
Zudem teilte die Stadt nun Stückl mit, dass weitere 1,7 Millionen Euro eingespart werden müssen. Sprich: Insgesamt sollen dem Volkstheater in dieser Saison 2,9 Millionen Euro weniger zur Verfügung stehen. "Das ist nicht möglich!", sagt Stückl und ergänzt später, dass er, wenn es in dem Stile weiter gehe, in eineinhalb bis zwei Jahren womöglich Insolvenz anmelden müsse, da das Volkstheater eine GmbH ist und Schulden von der Stadt nicht aufgefangen werden.
Erhöhte Eintrittspreise sind keine Lösung. Um den Fehlbetrag so wettzumachen, müsste jedes Ticket, auch für Schüler, um 20,50 Euro erhöht werden, bemerkt Stückl. Die Ausgaben sind in den letzten Jahren sowieso schon beachtlich gestiegen. Allein die Materialkosten für die Bühnenbilder, die für die Saison-Premieren gebaut werden, beträgt rund 500 000 Euro. Wie stellt sich die Stadt das also vor, fragt man sich: Das in Zukunft nur noch auf leeren Bühnen mit ein, zwei Personen gespielt wird?
"Wir brauchen das Geld. Wir geben es nicht unnütz aus!", sagt Christian Stückl. Und zeigt Verständnis für das Dilemma des Stadtrats: "Ich habe selbst im Gemeinderat von Oberammergau gearbeitet". Beruhigt sich selbst: "Wir stehen nicht vor einem Abgrund". Der Stadtrat gab ihm die Zusage, dass er das Volkstheater nicht pleitegehen lässt. Angesichts der Sparpläne kann es einen dennoch nur gruseln. Den kulturellen Kahlschlag, der sich da anbahnt, kann die Stadt München nun wirklich nicht wollen.