Chinakracher
Um ein solches Highlight nach München zu holen, braucht es das Figurentheaterfestival. Was der Chinese Yeung Fai mit seinen „Hand Stories” zum Abschluss in der Schauburg zeigte, war Virtuosität der Sonderklasse. Er verknüpfte die chinesische Puppenspieler-Tradition mit seiner bitteren Familiengeschichte. „Über.Leben” hatte das Kuratorenteam diesmal als Thema gesetzt – mit Lebensberichten aus vier Kontinenten. Der Schwerpunkt lag auf Afrika.
„Keine Palmen, keine Löwen, keine Affen.” Das hatte der Uropa seiner Braut im Kaiser-Deutschland versprochen, damit sie ihm nach Namibia folgte. Namibia wurde für 30 Jahre Deutsch-Südwest-Afrika. Dort erforscht die in Südafrika geborene Yvette Coetzee nach dem Tod der Oma die Kolonialisierung anhand von Fotos, Büchern und Dingen, die sie im Haus findet. Die teils skurrilen Objekte sind zwar zeichenhaft und symbolisch, aber ohne Eigenleben. Politisch reflektiert die Enkelin korrekt, jedoch sprunghaft und verwirrend für nicht so Informierte. Deutlich wird die Mentalität der Kolonisatoren als Vorform des Nationalsozialismus, auch im Völkermord an den Hereros. Und manchmal hat Coetzees Spiel auch szenischen Witz.
Aber wie Puppenspiel wirklich Historie belegt, zeigt der 1964 geborene Yeung Fai, die fünfte Generation einer berühmten chinesischen Puppenspieler-Familie. Er spielt mit den traditionellen Handpuppen Szenen nach, die sein Urgroßvater, Großvater und Vater aufführten (die des Vaters sieht man zum Teil simultan als Film).
Dank seiner schier unglaublichen Hand- und Fingerfertigkeit vollbringen die Puppen akrobatische Zirkuskunststücke, balancieren Teller auf Stäben und wechseln Mäntel quasi im Flug. Man traut seinen Augen nicht, doch ist es kein Trick, sondern höchste artistische Präzision. Kontrastiert werden die witzigen Kabinettstücke vom Schicksal des Vaters, gezeigt als Puppe, mit realen Fotos dazu. In der Kulturrevolution gedemütigt und verhaftet, stirbt er durch Zwangsarbeit. Als die Kulturrevolution – eine große silberschuppige Drachenschlange (bewegt von Yoann Pencolé) – verendet, tritt der Sohn auch als Darsteller seiner selbst auf. Als Straßenmusiker unter einer Brücke erscheint ihm ein grotesker amerikanischer Engel, der Queen-Songs grölt, ihm aber mit seinen Puppen den Weg in den Westen weist (wo am Théâtre Vidy-Lausanne 2010 „Hand Stories” entstand).
Auf der Videowand hinten, hoch und schmal wie ein Rollbild, flimmern kontemplativ Wasser und Himmel. Auch die Musik schafft Konzentration und Ruhe. Dann erlebt man backstage den hinreißend komischen Kampf gegen einen schwanzwedelnden Tiger – und gleichzeitig, wie die Spieler Yeung und Pencolé sich anfeuern und konkurrieren. Man sieht die Szene sowie das Handwerk und genießt doppelt. Selten verbindet eine Aufführung tiefbewegende Emotion und virtuose Unterhaltung so grandios.