Cecilia Bartoli: Feminin ritterlich gegen Fake News
Als nach viereinhalb Stunden im überwarmen Haus für Mozart der Bravo-Applaus nicht mehr enden wollte, obwohl es bald auf Mitternacht zuging, war klar: Hier war Großes über die Bühne gegangen – musikalisch, sängerisch und inszenatorisch.
Denn Regisseur Christof Loy zeigt Händels Rittergeschichte „Ariodante“ in einer schillernden Zeitlosigkeit, die ganz nah an uns heranrückt. Die kriegerisch unelegante Ritterrüstung, die Ariodante zur Ouverture noch trägt, ist unzeitgemäßer Fremdkörper im zentralperspektivischen Schlosssaal-Bühnenbild, wo bereits die tänzerisch höfische Barockgesellschaft seine Verlobung mit Ginevra feiert.
Bald öffnet sich hinten ein romantischer Blick auf eine südliche Ideallandschaft, während der Jubel-Chor festliches 20. Jahrhundert trägt, wie die Festspielbesucher im Zuschauerraum. Eleganter und bruchloser kann man den Zeitbogen nicht spannen – von der Mittelaltergeschichte, die der Renaissance-Schriftsteller Ariost erzählt und die von Händel 1734 musikalisch gestaltet wurde über die Romantik bis in unsere Zeit.
Ist eine Täuschung elegant, wird sie von allen bewundert
„Ariodante“ ist eine „Fake News“ und Mobbing-Geschichte, in der der Prinzessin Ginevra (Kathryn Lewek) ein Sexskandal angehängt wird. Das entzweit sie und ihren Verlobten und treibt beide in Wahnsinn und Selbstmordversuche. Oberintrigant Polinesso (vom mühelos stimm- und spielgewaltigen Countertenor Christophe Dumaux gesungen) ist sich dabei Arien-sicher: „Ist eine Täuschung elegant, wird sie von allen bewundert“ – und an der Tür lauscht schon das klatschsüchtige Dienervolk.
Das „Così-fan-tutte“-Problem eine vernichtende, vergiftende Tragödie am Ende doch noch in ein Happy-End zu wenden, löst Loy nicht künstlich auf. Aber er zeigt im Schlussbild, wie sich Brutalisierung verhindern lässt: durch zunehmende Feminisierung unserer ohnehin schon postheroischen Gesellschaft. Denn im Laufe der Akte verwandelt sich Cecilia Bartoli vom taliban-bärtig gerüsteten Conchita-Wurst-Ariodante in eine echte, sinnliche Frau und verlässt die Schlussversöhnungsgesellschaft mit ihrer verlobten Ginevra durch den Hinterausgang.
Wunderbare Einfälle, ohne von Gag zu Gag zu jagen
Man muss diese feministische Idee gar nicht teilen, um sie wunderschön inszeniert zu finden. Wie überhaupt Loy viele wunderbare Einfälle hat, ohne die Geschichte jemals von Gag zu Gag zu jagen. Aber wenn der barocke Koloraturzirkus die natürliche Psychologie der Handlung zu stark bedroht, findet er originelle Lösungen: So werden Ariodantes Verliebtheits- und Glücks-Spitzentonjuchzer hier als Champagner-Betrunkenheits-Schluckaufs interpretiert, die die Bartoli so perfekt und schelmisch lässig zugleich hinlegt, dass sie nach dieser Arie in einem Bravo-Meer baden kann.
Wagners Wotan-Brünhilden-Abschied kann man dagegen in der Pfeife rauchen
Überhaupt ist diese Pfingstfestspiel-Inszenierung musikalisch umwerfend: Wenn sich im traurigen zweiten Krisen-Akt der Vater-König aus Staatsraison von seiner scheinbar ehrlosen Tochter trennen muss, sie aber eigentlich innig liebt, erreichen Nathan Berg und Kathryn Lewek eine derart intensive psychologische Trauerkonflikt-Ebene, dass man Wagners berühmten Wotan-Brünhilden-Abschied dagegen in der Pfeife rauchen kann. Und der aus erotischer Verblendung ins Intrigenspiel verwickelte Hofdame Dalinda gibt Sandrine Piau so viel Charakter und Stimmschönheit, dass sie keine Nebenfigur mehr ist.
Originalklang in einer Balance aus Transparenz und Wärme
Musikalisch zeigen auch Les Musiciens du Prince aus Monaco unter Gianluca Capuano, dass mit barockem Originalklang die klangschöne Balance aus Transparenz und Wärme gelingen kann, die so größte Empfindsamkeit weckt.
Die Salzburger Festspiele nehmen ab Mitte August „Ariodante“ wieder auf. www.salzburger-festspiele.at