Bühnenadaption von "100 Dinge" im Zentraltheater: Was nicht alles überflüssig ist!

Zurück zum Wesentlichen, Abschied von allem Überflüssigen: Der Minimalismus verspricht Kapitalismusmüden einen Ausweg aus dem ewigen Kreislauf des Konsumierens. Der Film "100 Dinge" von Florian David Fitz aus dem Jahr 2018 greift diese Idee auf: Was braucht der Mensch wirklich zum Leben?
Fitz baute eine typische Millenials-Story: Zwei beste Freunde entwickeln eine App, "Nana". Diese soll Siri und Co. revolutionieren, eine persönliche Beziehung zum analogen Gegenüber aufbauen. Aus dem Handy soll sie mittels gesammelter Daten einen Freund oder eine Freundin machen, die Einsamkeit vertreiben, glücklich machen. Denkt zumindest Paul. Toni dagegen ahnt, dass noch mehr drin steckt: Wer eine persönliche Beziehung zu seinem Gerät hat, vertraut ihm, wenn es Kaufempfehlungen ausspricht. Er macht Paul hinterrücks zum Versuchskaninchen, und der kauft alles, was Nana empfiehlt.
Aus einem Streit entwickelt sich eine Wette
Das überzeugt auch einen amerikanischen Investor, der viele Millionen für die App bietet. Paul fühlt sich hintergangen, es kommt zum Streit – und im Suff zu einer Wette: Alle Besitztümer wandern in ein Lager, 100 Tage lang dürfen die beiden pro Tag nur einen Gegenstand zurückholen. Wer versagt, verliert seine Anteile. Wer verzichten kann, wird Millionär.
Die Frage "Wieviel braucht man?" gerät in den Hintergrund, schnell haben die beiden wieder ziemlich viele Dinge, wie genau das Leben mit wenig geht, ist zweitrangig. Stattdessen hagelt es Behauptungen wie "Unsere Urgroßeltern hatten 17 Dinge und waren glücklich", "unsere Großeltern hatten 200 Dinge", "unsere Eltern 650" – und wir: 10.000. Der Film will die großen Fragen stellen, nach Glück, Freiheit und Zufriedenheit. Fitz verknüpft die Wette mit einer Familiengeschichte, Konflikten aus der Kindheit und der obligatorischen Liebesgeschichte. Er streift wichtige Fragen, biegt aber immer da wieder ab, wo es interessant werden würde. Wie lebt es sich mit zwei Dingen, mit zehn, mit zwanzig? Was ist unverzichtbar? Was überflüssig?
Adaption im Zentraltheater
Cornelia Maschner hat den Film im Zentraltheater adaptiert. Einen neuen Zugriff auf den Stoff aber sucht man vergebens. Alles spielt in einem komplett leeren Raum. Die schicke Loft-Wohnung, all die Konsumgüter - gibt es hier nicht. Nicht die Hunderte von Sneakern, die Paul angesammelt hat. Nicht den privaten Kostümfundus, den die kaufsüchtige Lucy in einem Lagerraum vor den Behörden versteckt. Die beiden Freunde stehen nach ihrer Wette im selben leeren Raum wie zuvor. Auch ihrer Kleidung entledigen sie sich nicht. Der Verzicht bleibt Behauptung, er tut nicht weh. Was die Bilder des Films erzählen, fällt hier hinten runter.
Ursula Berlinghof springt gekonnt von einer Rolle in die andere, switcht von Nana zur Oma zur Praktikantin und zurück. Jan Viethen und Franz-Xaver Zeller schaffen einige charmante Momente, in denen die Eingespieltheit zweier Kindheitsfreunde durchscheint. Immer wieder fallen sie wortwörtlich auf die Nase.
Dazwischen tritt ein Chor aus Schauspielstudierenden und Bürger*innen unter der musikalischen Begleitung von Jona Volkmann auf. Sie singen Weihnachtslieder wie "Fairytales of New York" oder "Holidays are coming" - vielleicht, weil Weihnachten auch ein Fest des Konsums ist?
Schlussfolgerungen sind mehr als schräg
Das Konzept geht nicht wirklich auf, genügt nicht, um einer mauen Filmhandlung neues Leben einzuhauchen oder gar eine echte Erkenntnis abzuringen. Plötzlich stehen da Sätze im Raum wie: "Ich kenne niemanden, der glücklicher ist als Obdachlose". Sehr merkwürdige Aussagen von Menschen, die mehr Sneaker haben als das Jahr Tage. Wir armen reichen und verwöhnten Millenials! Konsum und Kapitalismus bereiten Probleme, so weit so gut, aber die Schlussfolgerungen, die hier gezogen werden, sind mehr als schräg.
Ein einziges Mal kommt diese Inszenierung dem Kern des Problems näher. Wenn Franziska Maria Pößl alias Lucy nämlich sagt: "Ich hab ein Scheißloch in meiner Seele, das sich durch kein Geld stopfen lässt." Das wäre eine Geschichte, die spannend wäre. Die aber weder der Film noch der Theaterabend erzählt.
Zentraltheater, Paul-Heyse-Straße 28, wieder am 17., 18., 20. und 21. November, 20 Uhr, Karten für 20 Euro, ermäßigt 15 Euro unter zentraltheater.de