Blitzend bis zur Pickelhaube: Der "Untertan" im Münchner Teamtheater
Nach nur gut zwei Stunden sind in einem grandiosen Zusammenfassungslauf 500 Romanseiten amüsant durchschritten, durchtänzelt, durchgesoffen und durchmarschiert – in größtmöglicher Konzentration. Nur der Zuschauer darf das tun, was bei bester Satire die größte Kunst und Befreiung ist: bittersüß lachen. Von Anfang bis Ende, ohne dass die Inszenierung von Georg Büttel jemals lächerlich wäre.
Heinrich Mann hat den "Untertan" nach sieben Jahren Arbeit veröffentlicht – im Januar 1914. Als dann ein halbes Jahr später der übersteigerte Nationalismus in das Inferno des Ersten Weltkriegs mündete, galt der Roman als prophetisch. Und wirklich, er ist alles: zum einen ein lebendiges Geschichtsbuch, das von der liberalen Bewegung der – dann niedergeschossenen – bürgerlichen Revolution 1848 über die gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der erstarkenden Arbeiterbewegung bis zur Reichsgründung und der Kanonenboot-Politik des Kaisers Wilhelm II. führt.
Aber es ist auch ein soziopsychologisches Buch. Denn unsere Hauptfigur Diederich Heßling soll auch der Prototyp des deutschen Charakters sein – und da wird es wirklich spannend mit der Frage: Was sind die charakterlichen Voraussetzungen für das Kippen eines Staates in Militarismus und Totalitarismus. Denn das wäre dann allgemeingültig und auch auf unser Heute übertragbar.
Der "Untertan" im Münchner Teamtheater": Dem Klassiker vertrauen
Georg Büttel hat hier – abgesehen von einigen subtilen Winzigkeiten – der Versuchung widerstanden, den Werdegang des ödipalen, empfindsamen Bürgersöhnchens zum martialischen Mittelstandsunternehmer zu aktualisieren, sondern er vertraut dem Klassiker und dem Publikum, seine Schlüsse zu ziehen. Gewalt in der Familie, ein repressives Erziehungswesen, Antisemitismus, eine brutale Schere zwischen Arm und Reich, Sexismus, eine Klassengesellschaft, Nationalismus, Kollektivräusche – und Alkohol (hier in burschenschaftlichen Massen) verführen zu Opportunismus, Größenwahn und führen in den Untergang.
Johannes Schön ist dabei unser Diederich Heßling in allen Lebenslagen: rührend und abstoßend, ein gebranntes Kind, aber auch Brandstifter. Wenn anfangs der Satz fällt, dass er ein kränkliches Kind war, das "an den Ohren litt", wird ihm vom Vater (Jan Walter) gleich mal autoritär daran gezogen, während die Mutter (Franziska Maria Pössl) ihren ängstlichen "Diedl" mit romantischer Schwärmerei umhegt. Sentimentalität und Brutalität sind zwei verderbliche Seelen in der deutschen Brust.

Überwältigend und witzig ist die atemlos wilde Schauspielkunst mit ihren eleganten Blitzübergängen, während in einem fließenden Trialog der ganze Roman erzählt wird. Indem sich die Schauspieler – teils innerhalb eines Satzes – Worte und die vielen verschiedenen Rollen weitergeben, ohne dass man je den Überblick verliert.
Schnell wechselnde Figuren
Eine Drehung von links nach rechts und aus dem "alten Buck" mit Gehstock, wird der dandyhafte "junge Buck" mit Spazierstock. Oder ein Sekunden-Gang hinter die großen, verschiebbaren Fotowände (Postkarte vom Brandenburger Tor mit Kaiserparade, das bürgerliche Wohnzimmer, Fabrikhallen-Eisenwand) und die dralle, reiche Guste Daimchen, Heßlings Ehefrau, ist zur Arbeiterin geworden oder zum Jungen Fuchs in der Burschenschaft Neuteutonia mit ihren grotesken Sauf-Ritualen.
Zu diesem Quickchange-Witz trägt auch das raffinierte Kostümdesign von Aylin Kaip bei, bei der die linke und rechte Kleidungshälfte elegant voneinander abgehoben ist, sodass nur eine Drehung einen Wechsel der Person ermöglicht. Die Bühne von Thomas Bruner wirkt mit drei Stellwänden, grafisch an der Zeit orientierten, dabei ganz sanft surrealen Projektionen und zwei vielseitig einsetzbaren großen Papierrollen (die Heßlings sind Papierfabrikanten) geistreich ausgestattet. Und mit einigen weiteren Utensilien entsteht im Teamtheater ein üppiger Bilderbogen des Wilhelminismus.

Es wird gut deutsch gesungen wie "vom Brunnen vor dem Tore" oder die das Papageno-Lied von "Treu und Redlichkeit", die von Heßling natürlich mit Füßen getreten werden. Richard Wagner wird zeitweise zum Leitmotiv, und mit vielen kleinen Utensilien wird auch noch Kasperltheaterwitz erzeugt – bishin dass der Kaiser leibhaftig vom Pferde zu seinem Untertan Heßling im Straßenstaub "Unter den Linden" mit stechenden Augen unter der Pickelhaube herabblitzt.
Diederich jubelt sadomasochistisch, "Nörgler und Elende" werden ausgemerzt, mit Arbeitern ein nationaler Pakt geschlossen. Der bürgerliche Liberalismus ist tot, der "alte Buck" als sein Vertreter stirbt – mit der bitteren Erkenntnis: "Wir waren umsonst". Und das bleibt nach dieser fulminanten, dynamischen, ernsthaften und humorvollen Inszenierung als Mahnung für uns heute: Lasst es nicht soweit kommen.
Teamtheater (Müller/Ecke Rumfordstraße), teamtheater.de, 19. und 20. September, sowie Mittwoch bis Freitag, und wieder Anfang Oktober, jeweils 20 Uhr, Karten 25 / 15 Euro
- Themen:
- Brandenburger Tor
- Richard Wagner



