Kritik

Starke Bilder, poetische Momente: „Frankenstein oder: Schmutzige Schöpfung“ im Volkstheater

Auf der Bühne 1 ist Thomas Melles Theaterfassung des Romans von Mary Shelley in der Regie von Philpp Arnold zu sehen. Arnold verabschiedet sich mit dieser Arbeit als Hausregisseur des Volkstheaters
Anne Fritsch |
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Carolin Hartmann, Cedric Stern, Julian Gutmann und Nina Noé Stehlin
Arno Declair 6 Carolin Hartmann, Cedric Stern, Julian Gutmann und Nina Noé Stehlin
Jawad Rajpoot als Shelley-
Arno Declair 6 Jawad Rajpoot als Shelley-
Nina Noé Stehlin und Cedric Stern
Arno Declair 6 Nina Noé Stehlin und Cedric Stern
Nina Noé Stehlin
Arno Declair 6 Nina Noé Stehlin
Cedric Stern, Nina Noé Stehlin
Arno Declair 6 Cedric Stern, Nina Noé Stehlin
Frankenstein als besessener Forscher, der nach Erkenntnis strebt (Cedric Stern) und sein Alter Ego Victor (Julian Gutmann).
Arno Declair 6 Frankenstein als besessener Forscher, der nach Erkenntnis strebt (Cedric Stern) und sein Alter Ego Victor (Julian Gutmann).

Wer trägt die Verantwortung für die Folgen revolutionärer Entdeckungen? Was, wenn eine vermeintlich bahnbrechende Erfindung nicht guten und hehren Zielen dient, sondern Böses bewirkt? Wenn das, was den Menschen nutzen sollte, sie zerstört? Die englische Autorin Mary Shelley geht in ihrem Roman „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ diesen Fragen nach: Dem Forscher Viktor Frankenstein gelingt es, ein neues Lebewesen zu erschaffen, „das Geschöpf“. Doch dieses entwickelt ein unkontrollierbares Eigenleben, verbreitet Angst und Schrecken, mordet und bedroht auch seinen Schöpfer.

Am Volkstheater hat sich nun Hausregisseur Philipp Arnold mit dem Stoff beschäftigt: „Frankenstein oder: Schmutzige Schöpfung“ heißt der Abend, dem der Roman sowie Thomas Melles Stück „Schmutzige Schöpfung - Making of Frankenstein“ zugrunde liegen.

Den Titelhelden Frankenstein spaltet Arnold auf in zwei Figuren: Zu Beginn sehen wir Julian Gutmann als Viktor auf der leeren Vorderbühne. Er verheddert sich in seinem Stuhl, malt mit Spucke ein Gesicht auf den Eisernen Vorhang, spielt mit einem leuchtenden Schwebeball, der wie ein Bumerang im Bogen fliegen kann. Ihm ist die Zeit lang. Nach ungefähr zehn Minuten sagt er ins Mikro: „Wie schnell doch die Zeit vergeht.“

Jawad Rajpoot als Shelley-
Jawad Rajpoot als Shelley- © Arno Declair

Blaues Licht, durch das der Nebel wabert

Und was macht einer 2025, wenn er allein ist und sich langweilt? Er sucht Unterhaltung bei der KI - in seinem Fall bei „Shelley“. Eine Geschichte soll sie ihm erzählen, eine gruselige: Der Eiserne Vorhang fährt hoch und gibt den Blick frei in einen weiten Raum, in den Bühnenbildnerin Lili Anschütz effektvoll einige Objekte platziert hat: Einen stehenden Ring, ein Podest mit einem leblosen Körper darauf, eine Trennwand, ein paar gefällte Bäume. Alles getaucht in blaues Licht, durch das Nebel wabert.

Hier operiert Frankenstein, Viktors Alter Ego, wie sich zeigen wird. Denn: Alles, was die KI „Shelley“ erzählt, kommt von Viktor, aus ihm. Sie, die KI, nimmt seine Fantasien und Impulse auf und formt daraus diese Geschichte, die sich irgendwie um ihn selbst dreht. Ein ziemlich smarter Move.

Nina Noé Stehlin und Cedric Stern
Nina Noé Stehlin und Cedric Stern © Arno Declair

Viktor taucht also immer tiefer ein in die Welt des Frankensteins, den Cedric Stern als besessenen Forscher spielt, der nach Erkenntnis strebt. Als einen, der an das Gute glaubt und an sich selbst als Genie. Moralische Bedenken blendet er lange aus. „Der Fortschritt offenbart seine Errungenschaften erst, wenn er da ist“, so sein Credo. Auch wenn sein Freund Henry, den Anton Nürnberg als vernünftig-geerdeten Gegenpol spielt, ihm davon abrät: In einem beinahe wahnhaften Moment erweckt Frankenstein sein „Geschöpf“ mittels Stromstößen zum Leben, ohne einen Gedanken an das Danach zu verschwenden.

Die Kreatur verlangt nach einer Gefährtin

Nina Noé Stehlin durchzuckt es als Kreatur heftig, bevor sie sich von ihrem Podest erhebt, zunächst hilflos durch den Raum taumelt, sich dann aber ziemlich schnell der Herrschaft ihres Schöpfers entzieht. Wenn sie Viktor später von ihren Ausflügen berichtet, von der Natur, die sie für sich entdeckt, ist das ein magischer Moment: ein frischer erster Blick auf eine Welt, die uns in ihrer Schönheit so selbstverständlich geworden ist. Und in der die Kreatur, die nicht schön ist, angegriffen wird. Sie erfährt Hass, und aus dem erwächst neuer Hass: eine Spirale der Gewalt. Die Kreatur verlangt von ihrem Schöpfer einen Gefährten gegen die Einsamkeit. Als der ihr dies verweigert, ist ihr nächstes Opfer Elisabeth, die Geliebte von Frankenstein. Carolin Hartmann gibt ihr eine melancholische Unergründlichkeit, lässt mehr aufscheinen in dieser Figur als die für die Forschung vernachlässigte Gefährtin.

Nina Noé Stehlin
Nina Noé Stehlin © Arno Declair

Immer wieder macht Arnold klar, wer hier die Fäden zieht und im wahrsten Sinne die Autorin dieser Geschichte ist: Es ist Shelley, die Künstliche Intelligenz, die aus dem Off spricht und beständig dazu lernt. Jawad Pajpoot spielt sie mit nur vermeintlicher Harmlosigkeit. Am Ende wird Shelley in einem fulminanten Auftritt offensiv die Herrschaft über die Handlung und die Menschheit an sich reißen. Und Viktor, der Mensch, wird staunen über die Folgen, dass er „Fleisch von Geist“ getrennt hat und „Gedanken aus Algorithmen“ geschaffen.

Starke Bilder, poetische Momente

Das Geschöpf, das wir gerade in die Welt entlassen, ohne genau zu wissen, wie es sie verändern wird, ist die Künstliche Intelligenz. Die Idee, das auf der Frankenstein-Folie zu verhandeln, ist relativ naheliegend, der Stoff gerade so etwas wie ein kleiner Theaterrenner. Einiges hier wirkt ein wenig eindimensional und moralisch.

Cedric Stern, Nina Noé Stehlin
Cedric Stern, Nina Noé Stehlin © Arno Declair

Trotzdem hat dieser Abend einiges zu bieten: Philipp Arnold schafft starke Bilder und poetische Momente, die zeigen, wie nah Schönheit und Zerstörung beieinander liegen können. Und dass kein Mensch die Geschichte rückgängig machen kann. „Heutzutage ist alles real“, sagt Shelley l zu Viktor. Auch das, was scheinbar virtuell ist.

Wieder am Fr, 30. Mai sowie am 7., 17., 26. Juni und 3. Juli im Volkstheater

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