Bertolt Brechts "Baal", inszeniert von Frank Castorf
Schon das Bühnenbild ist ein Déjà-vu-Erlebnis. Doch anders aber als bei der Céline-Zubereitung „Reise ans Ende der Nacht“ vor eineinhalb Jahren am gleichen Ort handelt es sich nicht um ein Kolonisten-Fort in Zentralafrika, sondern Bühnenbildner Aleksandar Denic baute ein Ostasien, in dem der Indochina-, der Korea- und der Vietnam-Krieg zu einem allumfassenden Untergangs-Szenario zusammenwuchern.
Ein turmartiger Aufbau zeigt filigran verschnörkeltes Tempel-Design, um ihn herum gruppieren sich Mannschaftszelte mit einem Käfig im Wassergraben und einem portalbreit geparkten Army-Hubschrauber. Mit dem tarngrünen Fluggerät huldigt Frank Castorf „Apocalypse Now“ von Francis Ford Coppola. Ausführlich zitiert er das lange Tischgespräch zwischen den US-Soldaten und französischen Pflanzern über den Kolonialismus und lässt es live nachspielen.
Der Schrecken, den die Europäer über ihre Kolonien brachten, ist hier Castorfs zentrales Thema, das er mit oszillierend gegensätzlichem Material umschreibt: Bibiana Beglau etwa trägt Jean-Paul Sartres Vorwort zum Dekolonisierungs-Fanal „Die Verdammten dieser Erde“ von Frantz Fanon vor oder Hong Mei nervt in einer komischen Nummer mit „Un bel di, verdremo“ – der Arie, mit der eine traurige Geisha ihrem untreuen Liebsten aus dem fernen Amerika hinterher singt.
Frauenverbrauch und das Spanferkel zeigen: Männer sind Schweine
Fast vergisst man angesichts des energetischen, von reichlich Kunstnebel und aufdringlich duftendem Räucherstäbchendunst eingehüllten Polit-Pamphlets, dass eigentlich Bertolt Brecht und sein exaltiertes Dramatiker-Debüt „Baal“ auf dem Spielplan des Residenztheaters stehen.
Der sich genialisch gebärdende Poet Baal mit dem hohen Frauenverbrauch hat sogar die erste Szene, in der sein bester Freund Ekart die Grundthese des viereinhalbstündigen Hysterienspiels illustriert. Er trägt ein Spanferkel über der Schulter, was in diesem Zusammenhang so viel heißt wie: Männer sind Schweine. Später wird Baal mit dem toten Tier kopulieren, noch später wird es zu einer Grillparty bei Kerzenschein serviert.
Die Ebene, auf der Frank Castorf Künstlerdrama und Kapitalismus-Kritik kurzschließt, ist die schließlich selbstzerstörerische Gewalt der Kolonisten, die über ganze Völker herfielen wie der triebgesteuerte Hedonist Baal über die Frauen.
Kapitalismus hin, Kolonialismus her: „Castorf“ ist schon seit Jahrzehnten ein Markenzeichen wie Coca-Cola. Man weiß zuverlässig, was man bekommt. Und auch die Münchner „Baal“-Übermalung des Berliner Volksbühnen-Intendanten ist überraschungsfrei bürgererschreckend mit ein paar starken Theaterbildern, der einen oder anderen voraussehbaren Provokationen und manchen Leerlauf.
Ein rundes Viertel der Premierenbesucher floh zwischendurch, der Rest applaudierte schließlich ermattet, doch gut gelaunt.
Wirklich Spaß aber hatten die Schauspieler: Aurel Manthei (Baal), Franz Pätzold (Ekart), Andrea Wenzl (Sophie) und Bibiana Beglau (Isabelle, die Höllengemahlin) suhlen sich lustvoll im Sumpf aus Sex und Drogen.
Die Beglau als dazu erfundener Mephisto-Klon erklärt zwischendurch auch diesen und jeden anderen Castorf-Abend der letzten 30 Jahre: „Eine Geschichte, die man versteht, ist nur schlecht erzählt“.
Residenztheater, 24. Januar, 6., 13., 28. Februar, 19 Uhr, Karten unter Telefon 21 85 19 40