Bayreuther Festspiele: Bewegende Gedenkfeier für Wieland Wagner
Bayreuth - Alles ist in Harmonie heuer in Bayreuth. Kein Sänger wurde vor der Premiere der "Meistersinger von Nürnberg" kurzfristig umbesetzt. Kein Dirigent reiste ab. Und zwei rivalisierende Fraktionen der Familie Wagner brachten am Vorabend einen würdigen Festakt zum 100. Geburtstag von Wieland Wagner im Festspielhaus zustande. Und das ohne hörbare Störgeräusche, obwohl dessen Nachkommen die herrschende Dynastie seines Bruders Wolfgang zeitweise gern in der Festspielleitung beerbt hätten.
Auf der Bühne: das Festspielorchester. Dahinter, als Projektion mit einem immer wieder in den Ruhemodus springenden Beamer ein Bühnenbildentwurf von Wieland Wagner. Als Prolog leitete der "Parsifal"-Dirigent Hartmut Haenchen die an diesem Ort bislang ungespielte "Rienzi"-Ouvertüre. Wieland Wagner hat das Frühwerk seines Großvaters 1957 in Stuttgart inszeniert.
Dann ein Grußwort der Festspielchefin Katharina Wagner, die erst 22 Jahre nach dem frühen Tod ihres Onkels geboren wurde. Sie beschwor Wieland Wagners Wort von der "Werkstatt Bayreuth", der ständigen Neubefragung des Werks im Festspielhaus. Drei Bruchstücke aus "Wozzeck" mit Claudia Mahnke als Marie folgten. Alban Bergs Oper war 1966 in Frankfurt Wieland Wagners letzte Neuinszenierung.
Die Wagners – eine deutsche Dynastie
Dann kam der perfekte Festredner: Sir Peter Jonas, der ehemalige Intendant der Bayerischen Staatsoper. Ein Außenstehender mit einer engen persönlichen Beziehung zu Wagner und den Festspielen. Er holte weit aus: Über Sizilien, Vincenzo Bellini und dem mit Wieland Wagner fast gleichaltrigen John F. Kennedy näherte er sich anspielungsreich dem Thema, um über das bewegte Liebesleben und den schwierigen Charakter des zu Ehrenden zu sprechen und auch wieder nicht.
"Die Amerikaner haben ihre Kennedys. Die Briten haben ihre Windsors. Und Deutschland hat die Wagners. Bei allem Gedöns, Gerede und Gerangel, bei der ganzen dunklen Geschichte und allen Geschichten von Hinterlist und Betrug – wir wollen dankbar sein, dass diese Dynastie wenigstens aus Kultur heraus geboren wurde", so Peter Jonas. "Angesichts dieser Tatsache kann man eine Menge von dem anderen Zeug sicher großzügig verzeihen."
Die Bayreuther Festspiele seien eine "Wetterfahne". Sie zeige an, wie Deutschland über die Schrecken der Vergangenheit reflektiere. Und "über seine Gegenwart als Europas wichtigstes wirtschaftliches und gesellschaftliches Beispiel, als neues Leuchtfeuer der Hoffnung für Europas Zukunft."
Auch die Nazi-Vergangenheit war kein Tabu
Wenn man den Festakt zum Maßstab nimmt, hat Bayreuth mittlerweile eine deutsche Normalität erreicht. Was keine Selbstverständlichkeit ist: Der Festspielhügel war noch vor 30 Jahren ein Treffpunkt von Rechten und Altnazis.
Dieser Spuk ist verflogen. Über früher tabuisierte Themen wie Wagners Antisemitismus, die Festspiele als Hitlers Hoftheater und sogar über die Homo- oder Bisexualität des Wagner-Sohnes und Wieland-Vaters Siegfried wurde an diesem Abend frei von der Leber weg gesprochen.
Jonas beschrieb eindrücklich den "ödipalen Konflikt" Wieland Wagners, der während des Zweiten Weltkrieg auf einem "offensichtlichen Ruheposten in einem Bayreuther Außenlager des KZ Flossenbürg" seine Theaterideen vorbereitete. In dieser Zeit setzt seine Distanzierung von der Vergangenheit ein, über die er selbst kaum sprach: "Scham macht stumm", zitierte Jonas Wieland Wagners Tochter Nike. Und er fügte hinzu: "Es ist eine tragische Tatsache: Die meisten Menschen finden es leichter, stille Selbstzensur zu üben, als den harten Weg des Infragestellens vorherrschender Orthodoxien zu gehen".
Eine Musik voller Schmerz und Grübelei, passend zum Anlass
Später beschrieb er mit Witz seine eigene Beziehung zu Wieland Wagner: Bereits als Schüler beeindruckte ihn ein Foto aus der "Siegfried"-Inszenierung. 1964 kam er, als zeltender Student, zum ersten Mal nach Bayreuth. Viele Aufführungen erlebte er als heimlicher Besucher von der Beleuchtungsbrücke des Festspielhauses, wo er den Versuch erlebte, das Werk Wagners durch den Rückgriff auf das griechische Theater vom nationalistischen und nationalsozialistischen Missbrauch zu reinigen.
Danach Verdi: ein Ausschnitt aus dem vierten Akt von "Otello" - wiederum ein Werk, das Wieland Wagner inszeniert hat. Sein sichtlich bewegter Sohn kam in sehr persönlich gehaltenen "Worten an meinen Vater" noch einmal auf die "griechische Wendung" seines Vaters zu sprechen: Er wurde 1943 noch Wolf-Siegfried genannt, seine später geborenen Schwestern hingegen tragen die Namen Nike und Daphne.
Der Abend schloss mit der Verwandlungsmusik aus dem ersten Aufzug von "Parsifal" in der doppelt so langen, von Engelbert Humperdinck mit vier Zusatztakten erweiterten Version der Uraufführung. Eine Musik voller Schmerz und Grübelei, passend zum Anlass. Und dann gab es, locker der Zukunft zugewandt, Sekt vor dem Festspielhaus.