Kommentar

Bayerische Staatsoper: Unbehagen an der "Nacht vor Weihnachten"

Warum es nicht völlig gelingen kann, die Aufführung der Oper von Nikolai Rimski-Korsakow im Nationaltheater zu ukrainisieren
Robert Braunmüller
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Schlussapplaus in der Premiere von „Die Nacht vor Weihnachten“ mit dem Sänger Dmitry Ulyanov als Tschub in den Farben der Ukraine.
Schlussapplaus in der Premiere von „Die Nacht vor Weihnachten“ mit dem Sänger Dmitry Ulyanov als Tschub in den Farben der Ukraine. © Geoffroy Schied

Ein analoges Gespräch mit einer Gogol-Leserin und ein digitaler Meinungsaustausch auf dem Twitter-Nachfolger Bluesky half mir, mein Unbehagen an der "Nacht vor Weihnachten" etwas zu klären. Die Oper ist derzeit in Barrie Koskys Inszenierung als Edel-Märchen im Nationaltheater zu sehen. Und deshalb gibt’s hier ausnahmsweise einen Nachtrag zur Besprechung der Premiere am Samstag.

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Das Unbehagen an Nikolai Rimski-Korsakows Oper lässt sich an einem Ortsnamen festhalten: In der Szene am Zarenhof wird mehrfach Saporischschja am Dnepr erwähnt. Die fünftgrößte Stadt der Ukraine kommt immer wieder in den Nachrichten vor, weil das 60 km weiter flussabwärts gelegene Atomkraftwerk nach ihr benannt ist: Es ist das größte Europas.

Der Name der Stadt bedeutet "Hinter den Stromschnellen". In ihrer Nähe befand sich auf einer Insel im Fluss der Hauptort des Kosakenstaats. Der ist geschichtspolitisch umkämpft: Die Ukrainer verstehen ihn als Vorläufer ihrer Eigenstaatlichkeit und wegen der freien Wahl des Hetmans als Gegenentwurf zur russischen Autokratie.

 "Nacht vor Weihnachten" in der Bayerischen Staatsoper: Großrussische Perspektive

Die Reste des Kosakenstaats wurden aber 1775 unter der Zarin Katharina II. aufgelöst, weil sie der imperialen Expansion ihres Favoriten Potemkin nach Süden im Weg waren. Die Elite ging im russischen Adel auf, untere Schichten waren über die Einführung der Leibeigenschaft wahrscheinlich weniger erbaut.

"Die Nacht vor Weihnachten" blickt im dritten Akt aus großrussischer Perspektive auf dieses Ereignis: Die Kosaken bitten die Zarin an ihrem Hof in einem klagenden Chor um Gnade. Der mit ihnen gekommene Wakula unterbricht sie und bittet Katharina um ihre Pantoffeln. Die politische Mission wird komödiantisch abgeräumt, und am Ende gehen Ukrainer und Russen im Werk des Dichters Nikolai Gogol zusammen auf.

Der Dirigent Vladimir Jurowski macht es sich etwas zu leicht, wenn er im Programmheft die Oper unter Verweis auf zahlreiche nationale Melodien mehr oder weniger ukrainisiert. Rimski-Korsakow hingegen ging es eher darum, Gegensätze zwischen Ukrainern und Russen in einer Idee höheren Slawentums zu vernebeln. Und damit steht er nicht allein: Seine Verklärung des Dorfs und angeblich altslawischer Bräuche ist typisch für die Slawophilen, einer gegen den westlichen Liberalismus gerichtete (kultur-) politische Bewegung im Russland des 19. Jahrhunderts.

Was den Zarismus, den Stalinismus und den Putinismus vereint

Die Slawophilen hielten die Russen für die Slawischsten aller Slawen. Daraus leiteten sie dem Anspruch einer naturwüchsigen politischen Vormachtstellung Russlands über Osteuropa und dem orthodoxen Orient ab. In diesem Imperialismus finden der Zarismus, der Stalinismus und Putinismus zusammen.

Zerstörungen nach einem russischen Raketenangriff in Saporischschja im Südosten der Ukraine.
Zerstörungen nach einem russischen Raketenangriff in Saporischschja im Südosten der Ukraine. © - (Ukrinform)

Die musikalischen Revolutionäre des "Mächtigen Häufleins" um Rimski-Korsakow und Modest Mussorgski waren politische Reaktionäre und Imperialisten. Als Beleg reicht ein Blick auf die dämonisierende Darstellung der Polen (und Jesuiten) in Mussorgskis "Boris Godunow", die sich ähnlich in der älteren Oper "Ein Leben für den Zaren" von Michail Glinka finden.

Das sind Problematiken, die man aushalten kann, aber nicht zukleistern sollte. Und sie sind auch nicht überraschend: Oper war in Russland fast immer Hof- und Staatskunst.

Rimski-Korsakow mag dem politischen System seiner Zeit skeptisch gegenübergestanden haben. Aber er war, wie viele heutige russische Kritiker des Putinismus ein imperial denkender Nationalist. Das schimmert auch hinter seinem Weihnachtsmärchen durch. Und das können wohlmeinende Kostüme in ukrainischen Farben nicht völlig verdecken.

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