Bayerische Staatsoper: Die AZ-Kritik zur Neuinszenierung von "Le nozze di Figaro" von Mozart

Mozarts "Le nozze di Figaro" feiert eine durchwachsene Premiere. Die Inszenierung ist harmlos-nett, das Orchester unter der Leitung von Constantinos Carydis dafür umso dominanter. Die AZ-Kritik.
von  Michael Bastian Weiß
Die Bayerische Staatsoper en miniture: In der Neu-Inszenierung von "Le nozze di Figaro" spielen die Puppen nur anfangs eine Rolle.
Die Bayerische Staatsoper en miniture: In der Neu-Inszenierung von "Le nozze di Figaro" spielen die Puppen nur anfangs eine Rolle. © Staatsoper

München - Opernsänger können einem oft leid tun. Irgendwie setzt ihnen immer jemand zu. In dieser Neuinszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts Oper "Le nozze di Figaro" ist es nicht die Regie, welche die Darsteller auf der Bühne drangsaliert, sondern die orchestrale Begleitung. Denn der Dirigent Constantinos Carydis wählt am Pult des Bayerischen Staatsorchesters derart grotesk überzeichnete Tempi, dass die Sänger sich wie in ein Hamsterrad versetzt fühlen müssen. Viel zu selten können sie ihre Stimmen entfalten, oft können sie förmlich nur markieren.

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Es ist ein Missverständnis, dass sich die Tollheit von Mozarts Figaro-Musik über Geschwindigkeitsrekorde verwirklicht. Carydis fasst mit seinem an sich präzisen Schlag größere Entwicklungen zusammen, doch er erreicht damit nicht Übersichtlichkeit, sondern den Effekt einer zu schnell ablaufenden Schallplatte – "das klingt ja wie in einem Cartoon", wunderte sich ein Hörer in der Pause.

Wie eine Karikatur auf die historisch informierte Aufführungspraxis wirkt auch die Generalbassgruppe: Gleich zwei Spieler sitzen an Hammerklavier und Cembalo, begleiten nicht nur die Rezitative, sondern improvisieren auch in den Arien mit und decken mit ihren kleinen Klavierkonzerten nicht selten die Holzbläser zu. Den Rest besorgen die Blechbläser und Pauken in ihrem übergriffigen Dauer-Fortissimo.

Siebte Inszenierung an der Staatsoper von Regisseur Christof Loy

Wieder einmal ergibt sich ein Ungleichgewicht zwischen Orchester und Inszenierung, wobei sich hier die Regie von Christof Loy in ein Abseits bugsiert, weil sie sich in die Harmlosigkeit rettet. Die Bauten, ein weißer Raum in den ersten beiden, ein Theater in den letzten beiden Akten, sind schön anzusehen, ein guter Gag sind die Türen, die im Verlauf immer höher werden: Je mehr sich die Akteure in ihre Intrigen verstricken, desto kleiner werden sie (Bühne: Johannes Leiacker). Subtil sind auch die Irritationen, die sich durch die nicht zusammenpassenden, teils historisierenden, teils modernen Kostüme von Klaus Bruns ergeben. Zu Beginn wird auf einer Miniaturbühne Marionettentheater gespielt, doch dieser Einfall wird nicht weiter verfolgt. Dabei hätte es sich angeboten, mit den Puppen die Bildinhalte einzelner Arien zu illustrieren.

Die Personenführung ist konventionell, die Sänger stehen quasi an der Rampe oder rennen hyperaktiv auf der Bühne herum wie Alex Esposito, der einen mehr beweglichen als stimmlich markanten Figaro gibt. Dafür wird viel Aufmerksamkeit auf die Rezitative verwendet, in welchen immer wieder aufreizende Stille einkehrt und die Handlung praktisch einfriert. Die Zeit, welche durch die besinnungslosen Tempi in den Arien und Ensembles eingespart wird, wird hier wieder vergeudet. Wenn dies Komik erzeugen soll, dann ist davon im Nationaltheater wenig zu spüren. Publikumsreaktionen gibt es nur sehr selten, die Stimmung ist verhalten.

Federica Lombardi überzeugt als Gräfin

Stimmen brauchen zu ihrer Entfaltung ein Minimum an Zeit. Ihnen bleiben dafür in dieser Produktion nur die Rezitative. Es ist Olga Kulchynska als Susanna und Solenn‘ Lavanant-Linke als Cherubino in diesem Umfeld nicht anzulasten, wenn ihre Rollenporträts blass erscheinen. Nur Federica Lombardi als Gräfin hat ein so reiches Organ und betörend warmes Timbre, dass sie über aller Hektik schwebt. Unter den Nebenrollen ragt Anne Sofie von Otter als Marcellina hervor, die, eher unmotiviert, statt ihrer Arie Mozarts Klavierlied "Abendempfindung" KV 523 anstimmt, vom Dirigenten begleitet. Christian Gerhaher schließlich stellt zwar eine der bedeutendsten Sängerpersönlichkeiten unserer Zeit dar. Ein Graf Almaviva ist er jedoch nicht. Ihm fehlen die Gefährlichkeit, die Komik, er fühlt sich erkennbar nur in den melancholischen Momenten der Handlung wohl. Und er teilt das Schicksal des gesamten Ensembles, vom Orchester oft übertönt zu werden.

Bleibt noch die Frage, warum Constantinos Carydis, ein so erfahrener und kluger Dirigent, solche Manierismen auslebt. Offenbar empfindet man ein sorgfältig zum Klingen gebrachtes Orchester mittlerweile als unzeitgemäß. Doch die Entstellung der Musik ist auch keine Lösung.


Weitere Vorstellungen am 28. und 31. Oktober (18 bzw. 17 Uhr) sowie am 4., 7. und 10. November (jeweils 19 Uhr), Karten unter 089 21 85 19 03 oder unter www.staatsoper.de. Die Vorstellung vom Samstag wird ab 18 Uhr als Livestream auf staatsoper.tv im Internet übertragen

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