Auftakt mit Strauss und Henry Purcell
Der Blick auf die Zugspitze reißt alles raus. Am Freitag war das gesamte Wettersteinmassiv aber mit düsteren Wolken verhangen. Es schien gar nicht da zu sein. Vielleicht sind die Berge nur eine Erfindung der lokalen Tourismus-Industrie? Alles, was einen abhält, nach Garmisch zu fahren, trat deutlicher hervor: der stets stockende Verkehr vom Autobahnende bis Oberau, das trostlose Gewerbegebiet am Ortseingang und die Gegend um den Bahnhof, die seit 20 Jahren vergeblich auf bessere Zeiten wartet.
Garmisch könnte eine oder auch gleich mehrere Metamorphosen vertragen. Mit diesem griechischen Begriff für Verwandlung hat Richard Strauss ein in der Marktgemeinde entstandenes Spätwerk überschrieben. Alexander Liebreich wählte den Titel als Motto für den Neuanfang beim vor 30 Jahren gegründeten Richard-Strauss-Festival, dem er mit einer ordentlichen Geldspritze des Freistaats ein Update verpassen will.
Metamorphosen mit Darmsaiten
Der ehemalige Künstlerische Leiter des Münchener Kammerorchesters eröffnete das Festival natürlich mit der „Studie für 23 Solostreicher“, gespielt von der Akademie für Alte Musik Berlin auf Darmsaiten und in tieferer Stimmung als üblich. Zwar dürften sich zur Entstehungszeit die Saiten aus Stahl bereits flächendeckend durchgesetzt haben. Aber das Stück profitiert eindeutig von der älteren Klangvorstellung.
Liebreich verstand die „Metamorphosen“ schon immer nicht als reine Klang-Etüde, sondern als konfliktreiches Stück. Auch diesmal gliederte er den unendlichen Fluss mit der diskreten Hervorhebung einer rhythmischen Figur aus dem Themen-Material. Die Darmsaiten sorgen für einen eher fahl-gepressten Schmerzensklang. Das vertreibt den unangenehmen Beigeschmack von Selbstmitleid, der dieser Klage über die Verheerung Deutschlands im Zweiten Weltkrieg durch einen Mann anhaftet, der anfänglich in naiver Weise mit den Nazis paktierte.
In einem kleineren Raum wäre Liebreichs feingliedriger Ansatz noch besser herausgekommen. Die mittlere Halle des Eissportzentrums ist zwar als Konzertsaal nicht völlig untauglich. Aber Maßnahmen zur Verbesserung der halligen Akustik würden nicht schaden.
Halbszenisch ist keine halbe Sache
Viel besser wirkte Henry Purcells „Dido and Aeneas“ in der recht großen Halle. Mit Kostümen, einem Vorhang im Hintergrund und einem Mittelgang durch das Orchester hatte Ingo Kerkhof die Aufführung weit mehr als halbszenisch eingerichtet. Zusammen mit der sehr gestischen Interpretation kam mit exzellenten Sängern wie Marie-Claude Chappuis und dem von Howard Arman trefflich einstudierten Chor des Bayerischen Rundfunks eine Aufführung zustande, bei der nichts fehlte und die am Ende bei der Klage Didos auch bewegte.
Purcells „Dido and Aeneas“ sollte nicht einmal auf dem Spielplan jenes Opernmuseums kommen, das Strauss am Ende seines Lebens einrichten wollte. Vom einen oder anderen Besucher des Konzerts war daher die spitze Frage zu vernehmen, was diese Barockoper denn mit Richard Strauss zu tun habe. Die Antwort liegt eigentlich nahe. Der Komponist war ein Mann mit historischem Bewusstsein. Am Ende seines Lebens verstand er das eigene Werk sogar als Schlusspunkt der Musikgeschichte, wenn nicht gar der gesamten Kulturgeschichte seit den alten Griechen.
Von Strauss lernen
Das ist geradezu eine Einladung, das Programm des Festivals beziehungsreich zu erweitern. Dafür ist Liebreich, der beim Münchener Kammerorchester kluges dramaturgisches Denken bewiesen hat, der richtige Mann.
Für die Opern und Sinfonischen Dichtungen von Richard Strauss gibt es in Garmisch nur Not-Spielorte. Das kann man als Chance verstehen, andere Konzertformate und ungewöhnliche Räume zu auszuprobieren. Auch da war der Komponist ein Pionier: 1904 dirigierte er seine „Sinfonia domestica“ im New Yorker Kaufhaus Wanamaker. Das hat zwar in Garmisch keine Filiale, aber dafür gibt es oberhalb der Marktgemeinde die Natur.
Richard-Strauss-Festival, bis 1. Juli, richard-strauss-festival.de
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