Auftakt für das Theater HochX im vormaligen i-camp
Was in der Erinnerung hängen bleibt, ist unberechenbar. Wobei zumindest klar ist, dass bestimmte Inhalte sicherer im Gedächtnis bleiben, wenn sie mit Gefühlen besetzt sind. Und Musik hilft, eine Melodie… Was mag von der Eröffnung des HochX in der Au in Erinnerung bleiben, fragt man sich, während der erste Abend, parallel zum Wiesn-Auftakt, sich entfaltet: zwei Performances, dazu ein Konzert der Soundtüftler-Band Joasihno. Zwischendrin Sekt und ein Buffet mit Falafel und anderen fleischlosen Speisen. Also, das Fingerfood schmeckt jedenfalls, der Bauch will schon mal verweilen.
Und beim Essen kann man die umgebauten Räumlichkeiten weiter bewundern: So licht und weit kann also das Foyer dieses Theaters wirken, am Rand die Bar mit hohem, kleinteiligem Holzregal. Zwischen 1993 und 2015 firmierte alles hier unter „i-camp“, betrieben vom Theaterverein München und nun, nach dreivierteljähriger Umbaupause, neu eröffnet unter der Leitung eines vierköpfigen Teams, das sich ohne viel Tam-Tam auf der sich aus dem Foyer hochwindenden Treppe präsentiert.
Ulrich Eisenhofer, Ute Gröbel, Benno Heisel und Susanne Weinzierl heißt das Quartett, und diese Vier wollen nun der Freien Szene Münchens ein Zuhause anbieten. Das hat auch schon das i-camp getan, nur sahen allein die Räumlichkeiten karger aus, und so richtig festgehakt hat sich diese Spielwiese für Performer und Tänzer nicht im Hirn der Münchner.
Es lässt sich hübsch an
Das soll nun anders werden, mit frischem Elan, einer attraktiveren, zum Einstieg tierisch überwältigenden Website (www. theater-hochx.de) und einem Konzept, das noch mehr die Theatermacher zum Schaffen animieren und unterstützen soll. Ein eigenes Ensemble hat das HochX nicht, sondern dient sich allen möglichen freien Künstlern und Kollektiven als Probenraum und Aufführungsort an. Die Stadt schießt jedes Jahr 200 000 Euro zu und zahlt die Miete. 120 anvisierten Veranstaltungen pro Saison sollen so finanziert werden, und die KünstlerInnen was zum Leben haben. Was sie an Energie in ihre Projekte hineinstecken, soll auch der Zuschauer wissen, weshalb in Zukunft für jede Produktion die künstlerisch investierte Arbeitszeit angegeben wird.
2 Hoch 10, also 1024 Stunden stecken in „lost yesterdays“ der Gruppe inter:ference, mit der die ebenfalls umgebaute Bühne des HochX eingeweiht wird: eine Produktion der Theaterakademie, die bereits im Januar 2016 im Akademietheater seine Premiere hatte.
Was sich dem Vergessen entzieht
Dass ausgerechnet diese Produktion eingeladen wurde, mag auch damit zu tun haben, dass Ute Gröbel und Benno Heisel an der Theaterakademie studiert haben. Zudem spielt Ruth Geiersberger, die Grande Dame der hiesigen Freien Szene, die Hauptrolle, was sich zunächst hübsch anlässt, gerade weil Geiersberger sich ganz unsentimental und feinsinnig in die Haut einer unter Demenz leidenden Frau einfühlt.
Diese Hartnagel hockt in ihrem Wohnzimmer, darum herum ein überdimensionaler Bilderrahmen, der schon ahnen lässt, dass es sich bei dieser Performance um ein Porträt handelt: mehr der Versuch, die Krankheit Demenz in klaren Strichen darzustellen, als irgendeine Geschichte zu erzählen. Dennoch kommt die Erinnerung in Bewegung: Hat Frau Hartnagel es zunächst nur mit ihrem Pfleger Mario (Andreas Mayer) zu tun, animiert ein Tanztrio um und bald auch im Rahmen das vermeintliche Stillleben, machen das, was sich nicht mehr in Worte fassen lässt, sichtbar. Besonders anschaulich, wenn sie eine Kette bilden, die in zu arger Dehnung reißt, ähnlich wie mancher Gedächtnisfaden.
Doch es gibt auch einiges, was sich dem Vergessen entzieht: der Werbesong zur „Bärenmarke“ etwa oder manches alte Lied, das Frau Hartnagel noch singen kann. Die 45 Minuten laufen dabei jedoch allzu gemächlich ab, wenig Veränderung im Spielrhythmus wie in der Beziehung der Hartnagel zu ihrem Pfleger. Als impressionistische Bestandsaufnahme einer Krankheit ist diese Performance mit ihrem Mix aus Musik, Spiel und Tanz ausreichend, als Eröffnungsinszenierung jedoch etwas dürftig.
Klänge zwischen Terrarien
Auch die zweite Performance und erste Uraufführung im HochX an diesem Abend beschäftigt sich mit dem Gedächtnis, dem eines ganzen Stadtviertels: In „Audiogramm. Eine Stadtteilkomposition“ nimmt sich Clara Hinterberger die Geschichte der Au vor, konzentriert sich dabei auf die Klänge, die sie dort vorfand: Allerlei Geräuschkulisse, Sprachschnipsel der Einheimischen, ein Fünfziger-Jahre-Weltuntergangs-Hit von Will Glahé und modernistische Textschleifen von Gertrude Stein mengen sich zu einer Soundcollage inmitten einer Bühnenlandschaft von Terrarien.
Durch diese wandelt die Schauspielerin Ines Hollinger als gesangskräftige Conférencieuse und seltsames Stadtteilmedium, wenn sie nicht gerade selbst in einem Terrarium sitzt und sich die fremde Spezies Publikum anschaut. Aus einem Orchestergraben, der bei der Renovierung im Bühnenraum entdeckt wurde, tritt ein Chor aus Haidhausen und singt das russische Wiegenlied „Bajuschki Baju“.
Schön. Doch auch bei diesem Erinnerungsspiel der Klangspuren mag sich nichts mitreißend zusammenfügen, allein schon, weil der Sound sich nicht gut in den Zuschauerraum überträgt. Ein verhaltener Start für das HochX. Aber vielleicht ist das ja auch eine Ansage: Hier geht’s nicht ums Spektakel, sondern ums Nachdenken und Erforschen. Auch wenn sich die ersten Ergebnisse wohl kaum im Gedächtnis festsetzen werden.
Theater Hoch X, Entenbachstraße 37 in der Au, Telefon 20 97 03 21, „lost yesterdays“ und „Audiogramm. Eine Stadtteilkomposition“ noch einmal am heutigen Dienstag, 20 Uhr.
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