Aufbruch ins Land der Freiheit
München - Der Jazzer Jonny, wie er mit der Geige in der Hand katzenhaft geschmeidig aus dem überdimensionierten "Volksempfänger"-Radio herausgleitet: In einem einzigen Bild konzentriert sich diese gesamte Produktion der Oper "Jonny spielt auf" von Ernst Krenek.
Der Titelheld im grandiosen "Zoot suit"
Gekleidet ist der Titelheld in einen grandios gelben "Zoot suit": enge Taille, breite Schultern, wie er in den 1930er und 40er Jahren von US-amerikanischen ethnischen Minderheiten getragen wurde (Kostüme: Daria Kornysheva). Damals war dieses modische Symbol der Selbstermächtigung eine Provokation für die weiße Mehrheit.
"Blackfacing" - zu Recht verpöhnt
Heutzutage ist nicht der Anzug, den der so lyrisch wie prägnant timbrierte Bariton Ludwig Mittelhammer trägt, anstoßerregend, sondern das Make-up: Mittelhammer und sein tanzendes Gegenstück Johannes Thumser sind im Gesicht schwarz geschminkt, also als Afro-Amerikaner, was mittlerweile global als rassistisches "Blackfacing" verpönt ist. Und zwar zu Recht.
Der Tabubruch taugt nicht für einen Skandal
Dennoch taugt dieser aus gegenwärtiger Sicht eindeutige Tabubruch nicht für einen Skandal. Im Gegenteil. In dieser wichtigen Neuinszenierung konfrontiert uns der auf aktuelle Themen spezialisierte Regisseur Peter Lund auf schmerzhafte Weise mit den menschenverachtenden Parolen, mit denen die Nazis die Zeitoper des jungen Komponisten seinerzeit diffamierten: "Die schwarze Schmach" brüllt es da etwa in Plakatgröße von der Bühne des Gärtnerplatztheaters herab, und: "freche jüdisch-negerische Besudelung".
Nazis störten die Uraufführung
Die Münchner Erstaufführung des Stücks wurde 1928 im selben Theater denn auch von einem kleinen, aber brutalen Nazi-Trupp gestört. Obwohl die Mehrheit des Publikums gegen die faschistische Gewalt angeklatscht hatte, wurde der zu erwartende Erfolg der Produktion im Keim erstickt.
Ein Hauch von Utopie
Ein Skandal wäre, diese Widerwärtigkeiten zu verharmlosen. Zu diesen gehört eben auch das "Blackfacing". So gesehen weht ein Hauch von Utopie durch die durchweg beklatschte Premierenaufführung, wenn Mittelhammer-Jonny am Schluss ohne Gesichts-Bemalung in das "unbekannte Land der Freiheit" aufbricht, in dem die Menschen halt einfach so aussehen wie sie aussehen.
Bariton in mondänem Edelgrau
In der alteuropäischen Welt hingegen bleibt auch die herrschende Mehrheit, die sich im halb expressionistischen, halb sachlichen Bühnenbild von Jürgen Franz Kirner tummelt, nicht von der Stereotypisierung verschont. Das mondäne Edelgrau, in das der verführerisch tönende Bariton Mathias Hausmann als frauensammelnder Virtuose Daniello gehüllt ist, erstreckt sich sogar auf sein Antlitz.
Glanzvolle Kostümierung
Die Sängerin Anita trägt die Dekadenz der Zwanziger Jahre in Form einer roten Gummiperücke auf dem Kopf; die Sopranistin Mária Celeng macht jeden einzelnen Satz ihrer höchst anspruchsvollen Partie zu einem Juwel - unbezahlbar allein ihr satt ausgekosteter Triumph über den lukrativen "Kontrakt"!
In der Rolle des Max präsentiert sich der Tenor Alexandros Tsilogiannis mit seiner glanzvollen Höhe gar als bleicher Somnambule, der aus Robert Wienes Stummfilm "Das Cabinet des Dr. Caligari" entsprungen sein könnte. Und Judith Spießer als Yvonne stellt mit genau dosierter Soubrettenhaftigkeit klar, dass das Stubenmädchen eigentlich auch eine Diva ist.
Eine sensationelle Textverständlichkeit
So stolz die einzelnen Figuren auf ihre jeweilige Individualität sind, so glücklich stimmen sie zu einem lebhaft agierenden und aufeinander reagierenden Ensemble zusammen (Choreografie: Karl Alfred Schreiner), in dem noch dazu eine sensationelle Textverständlichkeit erreicht wird.
Das Gärtnerplatzorchester brilliert mit zwei Gesichtern
Sie ist nicht zuletzt auch ein Verdienst des Dirigenten Michael Brandstätter, der Bühne und Graben perfekt gegeneinander austariert. Krenek hat in "Jonny spielt auf" eigentlich mindestens zwei Orchester verwendet: ein symphonisches mit erhabenem Blech für die Gletscherwelt und ein Tanzorchester für die Foxtrotts und Shimmys. Scheinbar mühelos lässt Brandstätter beide Welten wechselseitig ineinander kippen und gibt dem exzellenten Gärtnerplatzorchester damit zwei ganz eigene Gesichter - ohne jedes Blackfacing.
Wieder heute und am 20., 24. und 31. März sowie im April. Karten unter: gaertnerplatztheater.de
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