Interview

Auf eine Maß mit Thomas Linsmayer

Der Direktor des Deutschen Theaters über sein Wiesn-Gefühl, kulturelle Aneignung, die Pläne für ein Wiesn-Musical und die Gründe für die Spielpause seines Hauses während des Oktoberfests.
von  Robert Braunmüller
Thomas Linsmayer auf der Wiesn.
Thomas Linsmayer auf der Wiesn. © Daniel von Loeper

Gebürtige Münchner gelten eher als Wiesn-Muffel. Der AZ-Redakteur, der dieses Interview geführt hat, schließt da von sich gern mal auf andere. Thomas Linsmayer, ebenfalls in der Oktoberfest-Metropole geboren, ist da das schiere Gegenteil, denn er ist nicht nur ein bekennender Wiesngänger, sondern ein leidenschaftlicher. Vor zwei Jahren wurde der Jurist und Kunsthistoriker über Nacht Direktor des Deutschen Theaters. Zuvor hatte er zwei Jahrzehnte die Pasinger Fabrik nach vorne gebracht.

AZ: Herr Linsmayer, Sie sind ein bekennender Wiesnfan. Ist das der Grund, wieso das Deutsche Theater während dieser Zeit nicht spielt - damit Sie in Ruhe das Oktoberfest genießen können?
THOMAS LINSMAYER: So weit geht diese private Vorliebe doch nicht. Erfahrungsgemäß ist der Zuspruch des Publikums während der Wiesn geringer. Wir haben viele Besucher aus dem Umland, und die fahren während des Oktoberfests nicht so gern in die Innenstadt. Außerdem sind wir ein Gastspieltheater. Wir müssen bis zu 100 Mitwirkende irgendwo unterbringen und das ist wegen der rekordverdächtigen Hotelpreise in dieser Zeit schlicht zu teuer. Daher spielen wir erst wieder nach dem Oktoberfest.

Man könnte vielleicht einen Versuch mit einem Wiesn-Musical wagen. Was halten Sie von dieser Idee?
Es gibt ein Wiesn-Musical mit Musik von Harold Faltermeyer, das 2016 in Los Angeles herauskam und 2024 mit den Geschwistern Pfister in Berlin gezeigt wurde. Aber das erzählt etwas verzerrt vom Oktoberfest, so dass es für München nicht geeignet ist. Aber es gibt ein Projekt, sogar schon mit fertiger Musik. Ich möchte zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Namen nennen. Aber es könnte ein Dauerbrenner werden, den wir auch außerhalb der Wiesn zeigen könnten - ähnlich wie das St.-Pauli-Musical "Heiße Ecke“ in Hamburg. Noch aber ist die Sache nicht ganz ausgereift.

Das Deutsche Theater in der Schwanthalerstraße.
Das Deutsche Theater in der Schwanthalerstraße. © picture alliance / Felix Hörhager/dpa

Was mögen Sie an der Wiesn?
Ich bin Münchner, sogar mit Großeltern aus München, was eher selten ist. Meine Eltern haben sich 1963 beim Anstich kennengelernt. Daher hat die Wiesn für unsere Familie eine besondere Bedeutung und ist mehr als eine Gaudi.

Haben Sie Verständnis für Wiesn-Muffel wie mich?
Ja. Ich verstehe, dass einem der ganze Trubel der Partymeile, die billigen Trachten und die ganzen Besoffenen auf die Nerven gehen können, wenn man keinen besonderen familiären oder historischen Bezug zur Wiesn hat. Aber das Oktoberfest hat, wie alles im Leben, zwei Seiten. Und ich sehe das Positive.

Wo finden Sie das auf der Festwiese?
Altersbedingt bin ich nicht mehr so der Partytyp. Daher gehe ich lieber auf die Oide Wiesn. Und weil ich auch Brauchtum schätze, mag ich das Festzelt Tradition, wo Gruppen aus dem Oberland auftreten und bairische Musik gespielt wird. Der Schottenhamel, zu dem wir den familiären Bezug haben, ist heute mehr was für meine Tochter, die da gerne zum Feiern hingeht.

Das Deutsche Theater.
Das Deutsche Theater. © imago/HRSchulz

Was ziehen Sie an, wenn Sie aufs Oktoberfest gehen?
Teile meiner Familie stammen aus dem Werdenfelser Land, daher habe ich eine entsprechende Tracht mit gestickten Hosenträgern, die mir ein Bauernmädl gemacht hat. Außerdem habe ich noch Sachen von meinem Vater und meinem Großvater, die ich in der Wiesnzeit trage.

Auf gar nicht so alten Fotos sieht man gar keine Tracht.
Ich erinnere mich selbst noch an die 1970er-Jahre. Da haben alle Jeans getragen. Das hat sich erst in den letzten Jahren entwickelt. Und wenn man eine schöne Tracht hat, die sich an dem orientiert, was auch örtliche Vereine tragen, hat das nicht nur einen Heimatbezug, sondern auch etwas Ästhetisches. Man spricht oft kritisch von "Kultureller Aneignung“, aber kaum jemand stört sich an schlechter, kommerzieller Tracht. Wenn Leute in Bayern solche Fetzen tragen, ist das eigentlich auch eine Form kultureller Aneignung unserer Tradition. Trotzdem finde ich: Jeder kann anziehen, was er möchte.

Der leidenschaftliche Wiesn-Gänger Thomas Linsmayer vor dem Augustiner-Zelt. Foto: Daniel von Loeper
Der leidenschaftliche Wiesn-Gänger Thomas Linsmayer vor dem Augustiner-Zelt. Foto: Daniel von Loeper

Dem Lokalpatrioten in mir gefällt allerdings auch, dass jeder Mensch für 24 Stunden ein Bayer werden kann, indem er eine Lederhosn oder ein Dirndl anzieht.
Ich bin da etwas gespalten. Vielleicht sollte doch jeder zu seiner Identität stehen. Andererseits, wenn sich auf diese Weise ein Gemeinschaftsgefühl entwickelt, ist das auch was Schönes. Denn das Sympathische an der Wiesn ist doch, dass man - wie im Biergarten - über alle soziale Grenzen hinweg gesellig beieinandersitzt. Wenn die Kleidung dazu etwas beiträgt, richtet das keinen Schaden an.

Gestern habe ich in der Tram einen Schotten gesehen, was mich auf die Idee gebracht hat, dass es schön wäre, wenn Auswärtige ihre eigenen Trachten tragen würden.
Hin und wieder sehe ich das auch. Gestern habe ich einen Freund getroffen, der kürzlich in Tansania war. Er hat sich dort seine bayerischen Trachtenhemden im landestypisch bunten Stoff schneidern lassen. Wir haben lange diskutiert, ob das ein Schmarrn ist oder ein guter Einfall. Ich finde: Warum nicht! Warum sollte man nicht kreativ sein?

Thomas Linsmayer auf der Wiesn.
Thomas Linsmayer auf der Wiesn. © Daniel von Loeper

Leben und leben lassen! Nach dem Wiesn-Schnupfen geht es ab dem 7. Oktober im Deutschen Theater wieder los.
Wir beginnen mit "Ghost“, der Musicalversion eines Kinofilms, die schon vor zwei Jahren bei uns mit großem Erfolg gelaufen ist. Dann kommt das Bee-Gees-Musical "Saturday Night Fever“, das derzeit durch Deutschland tourt. Das sind Sachen, die unser Stammpublikum schätzt. Ende Oktober ist dann "Kinky Boots“ zu sehen, ein Broadway-Musical, das noch nie hier war. Da müssen wir uns beim Kartenverkauf noch etwas anstrengen, weil sich weniger bekannte Sachen in München etwas schwerer tun - wir leben eben in keiner typischen Musicalstadt.

Gibt es Aufführungen in der neuen Saison, die Ihnen besonders am Herzen liegen?
Enrique Gasa-Valgas Limonada Dance Company aus Innsbruck wird im Februar, Mai und Juli vier tolle Tanzstücke zeigen, für die wir ein eigenes Abo aufgelegt haben. Diese getanzten Biografien mit Live-Band sind ein großer Erfolg, den wir einem Stück über Richard Wagner fortsetzen. Außerdem gibt es "Dorian Gray“ nach Oscar Wilde und eine "Carmen“-Version.

Thomas Linsmayer mit Enrique Gasa Valga.
Thomas Linsmayer mit Enrique Gasa Valga. © IMAGO/Lindenthaler

Die Lach & Schieß, die bisher im Silbersaal gespielt hat, zieht in den Gasteig um.
Das war mehr eine Hilfe unsererseits, solange das Lokal renoviert wurde. Eine Lücke im Programm mit Weltmusik und anderem entsteht dadurch ab Januar nicht. Mich freut es, dass Till Hofmann die Lach & Schieß übernimmt und ihr hoffentlich eine Zukunft gibt.

Wie treffen die städtischen Sparmaßnahmen das Deutsche Theater?
Wir erwarten wie die anderen Institutionen Kürzungen um die 10 Prozent. Das ist einerseits hart. Aber beim Deutschen Theater ist der Zuschuss verhältnismäßig gering, weil wir den Großteil unserer Kosten selbst erwirtschaften. Andere Theater, bei denen der Zuschuss höher ist, tun sich mit den Kürzungen schwerer. Aber wir müssen uns um einen möglichst hohen Zuspruch beim Publikum bemühen, um finanziell stabil zu bleiben.

Was die neue Spielzeit bringt 

Im letzten Jahr haben 300.000 Besucher 413 Veranstaltungen des Deutschen Theaters besucht. "Zu fast 80 Prozent können wir unsere Kosten selbst decken“, sagte Thomas Linsmayer kürzlich bei einer Pressekonferenz.

Die Saison beginnt am 7. Oktober mit "Ghost“. Darauf folgen Bühnenversionen von "Saturday Night Fever“ (ab 17. Oktober) und "The Bodyguard“ (ab 6. Januar). Dazwischen ist das ab 28. Oktober das Musical "Kinky Boots“ in einer Produktion aus dem Londoner West End zu sehen. Erzählt wird die wahre Geschichte des Erben einer Herrenschuhfabrik, der zufällig eine Drag Queen kennenlernt. Die schildert ihm ein Problem: Für Drag-Queen-Performer gibt kein hochhackiges Schuhwerk, das stabil genug wäre für glamouröse Showauftritte. So entsteht die rettende Geschäftsidee: sexy Schuhwerk für Drag Queens – eben echte "Kinky Boots“.

Eine Szene aus dem Musical „Kinky Boots“
Eine Szene aus dem Musical „Kinky Boots“ © Pamela Raith

Die Musik stammt von der US-Sängerin und Songschreiberin Cindy Lauper. Sie gewann dafür 2013 als erste Frau, den Tony-Award für die "beste Musik“, sowie einen Grammy-Award für das Showalbum.

Im weiteren Verlauf der kommenden Saison sind im Deutschen Theater noch das Pur-Musical "Abenteuerland“, Tribute Shows wie "Beat It!“ oder "Simply The Best“ sowie Wiederaufnahmen von "Dracula“, "Six The Musical“ und "Sister Act“ zu sehen.

Für die vier Produktionen der Limonada Dance Company gibt es ein Abo mit einer Ermäßigung von 30 Prozent.

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