"Antigone" von Sophokles mit Valery Tscheplanova
MÜNCHEN - Eigentlich ist die Antike mitsamt ihren Göttern längst auf dem Weg ins Museum, eingepackt in schwarzen, mannsgroßen Kisten, die zum Transport gedacht sind, aber doch noch auf der Bühne des Residenztheaters stehen. Zwei dieser Kisten befinden sich geöffnet an der Seite, zwei Statuen stehen mittels Styropor gesichert aufrecht da. Teils fehlen ihnen Gliedmaßen wie ein Bein oder die Hände.
Und wenn am Ende König Kreon als Menschenknäuel halbnackt und blutverschmiert auf dem Boden liegt, dann wirkt er genauso versehrt wie die Götter, mit denen er einen Machtanspruch teilt, der aber längst ins Museum gehört. Bespuckt wird Kreon von acht Gefolgsmännern in Schwarz, die ihm mal gehorchten, sich aber nun wie Blättchen im Wind gegen ihn wenden. Es wird Zeit für was Neues.
In einer Umbruchszeit spielt sich diese „Antigone“ in der Inszenierung von Hans Neuenfels ab. Irgendwo dämmert der Gedanke von Demokratie an und noch viel weiter entfernt die Idee, dass auch Frauen ein politisches Mitspracherecht haben könnten. „Der Krieg ist vorbei. Das Lied der Vögel könnte beginnen“ prangt auf dem bläulichen Gemälde, das gigantisch die Bühne hinten abgrenzt.
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Die Sätze leuchten manchmal wie von Innen, auf der Soundspur ist einmal bereits Vogelzwitschern zu hören, es bricht aber einfach ab. Der Krieg ist zu Ende, aber tobt doch in manchen Köpfen weiter, gerade bei Kreon, der darauf besteht, dass Antigone gerichtet wird, weil sie wider des Bestattungsverbots ihren toten Bruder, den erklärten Staatsverräter Polyneikes, beerdigte.
Auf die Sprache kommt es Neuenfels an: Er hat diverse Übersetzungen des Stücks von Sophokles, vor allem die von Ernst Buschor, zu einem Text geformt und Eigenes hinzugefügt. Aus den Mündern der Darsteller entweichen diese Worte meist höchst emotionsgeladen, sehr laut, sehr intensiv, sehr deutlich.
Schicksal und Rebellion
Im Programmheft ist zu lesen, dass Antigone den König Kreon mit ihrem offenen Bekenntnis zu ihrer Tat in die Bredouille bringt, viel mehr als mit der Tat selbst. Die Macht des Sprechakts – demonstrativ streckt Valery Tscheplanowa als Antigone beim Wort „Zunge“ dieselbe heraus, vor den Augen Kreons. Er muss sie verbannen, um sie endlich zum Schweigen zu bringen. Aber es ist zu spät.
Dem Schicksal kann keiner in der antiken Tragödie entkommen, aber an die Rebellion dagegen wird bei Neuenfels schon gedacht. Seine Frau Elisabeth Trissenaar spielt die „Frau aus Theben“, in der sich die Stimmen des Chors zu einer einzigen vereinen. Als mitfühlendes Zentrum der Inszenierung beschwört sie wie Antigone die Kräfte der Menschlichkeit. Der Mythos muss sich doch durchbrechen lassen. Da kniet Kreon, in Umkehrung der Machtverhältnisse von Chef und Beraterin, vor ihr nieder, aber ihren Ratschlag, Antigone frei zu lassen, befolgt er nicht. Erst von der untergangstrunkenen Weissagung des Sehers Teiresias lässt er sich umstimmen. Aber es ist zu spät: Die Tragödie gewinnt.
Und das Theater guter alter Prägung gewinnt bei Neuenfels. Was seltsam wirkt: als ob da jemand im Museum der Inszenierungen nochmal nachgeschaut hat und auf dem Weg zurück ein paar Kisten aufgeplatzt sind, aus denen dann die traditionellen Vorstellungen von Spiel und Rolle und Sprechen herausquellen. Da trennt gar ein weißer Vorhang schön verheißungsvoll zu Beginn das Publikum von der Bühne. Valery Tscheplanowa haut davor kniend ihren Kopf, ihre Haare ein weiterer Vorhang, wiederholt auf den Boden und erzeugt einen gleichmäßigen Rhythmus: den Takt des Abends. Aber wenn der Vorhang verschwindet, wird man ob des wenig sinnlichen Bühnenbilds von Katrin Connan, in dem der Raum seine Tiefe verliert, bitter enttäuscht: Verführung zum Zuschauen sieht anders aus.
Starke Schauspieler
Auch das Spiel der Darsteller zieht wenig ins Geschehen hinein, wobei die Spielweisen sich stark unterscheiden: Norman Hacker legt sich überpräzise in den Habitus des Herrschers, voller Fingerzeige, die Arme machtvoll öffnend, die Worte herausstanzend, was, wenn man es positiv deutet, so wirkt, als ob dieser Kreon so lange schon seine Machtrolle gespielt hat, dass er gar nicht mehr echt sein kann. Der Bogen zum Gefallenen am Ende kann so augenfällig geschlagen werden.
Ganz Emotion hingegen ist Valery Tscheplanowa, deren Spiel den Tumult im Innern mehr als erahnen lässt. Ihre Antigone ist eine Schicksalsgeschlagene, unter deren Hass die Trauer liegt, allein die Augen erzählen es. Aber ihre Kraft lässt sich kaum bändigen: Selbst wenn man ihr die Füße fesselt, bewegt sie sich vorwärts. Ein Leiden am Mythos, an ihren Aufgaben darin liegt in allen Figuren, das macht Neuenfels stark sichtbar, auch beim blinden Seher Teiresias, den Michele Cucioffo fulminant spielt: böse geplagt von Visionen, und dann doch selbst schroff, wenn er seine Zukunftssichten weitergibt.
Was Teiresias nicht wahrnimmt, ist die Zukunft des Theaters. Dass Neuenfels daran nicht arbeitet, ist gewiss. Aber er zeigt Geschlechterdramen auf, die wohl noch nicht zu Ende sind: Die Frau von Kreon, gespielt von Anett Pachulski, steckt drall in einem Glitzerkleid, der Ausschnitt öffnet den Blick auf die Mutterbrust. Mehr darf sie nicht sein: eine Mutter und ein Ausstellungsstück, deren Körper jedoch weich wird, als sie vom Freitod ihres Sohns Haimon erfährt. Dann rennt sie weg, ohne Worte. Zuvor verschaffte sich Antigone immerhin vehement kraftvoll Gehör: eine Frau im Anbruch der Moderne.
Wieder am 14. 12., 19.30 Uhr, 21. 12., 3., 11., 24. 1., 20 Uhr im Residenztheater. Karten unter Telefon 2185 1940