Anna-Sophie Mahler über Francesca da Rimini
Der Verführer war das Buch. Bei der gemeinsamen Lektüre eines Romans finden die Blicke von Francesca da Rimini und Paolo zusammen. Sie küssen sich. „Weiterlesen konnten wir an diesem Tage nicht mehr“, sagt Francesca zu Dante, der ihr in der Hölle begegnet. Anna-Sophie Mahler untersucht diese Episode aus der „Göttlichen Komödie“ für die Festspielwerkstatt der Bayerischen Staatsoper im Haus der Kunst.
AZ: Frau Mahler, die Geschichte der Francesca da Rimini hat vor allem im 19. Jahrhundert viele Maler und Komponisten beschäftigt. Was interessiert Sie an dem Stoff?
ANNA-SOPHIE MAHLER: Francesca hat alles riskiert. Sie musste sich zwischen dem Leben in der Ehe-Hölle mit einem ungeliebten Mann und einem einen einzigen Moment der Liebe zu seinem Bruder entscheiden. Sie wählte das kurze Glück.
Dafür sitzt sie bei Dante in der Hölle.
Man würde erwarten, dass Dante in der Hölle nur wilden Verbrechern begegnet. Aber er trifft diese Frau. Das ist ein unerwarteter, intimer Moment in der „Göttlichen Komödie“, den ich sehr berührend finde.
Sie verwenden die Dante-Symphonie von Franz Liszt. Wie sind Sie auf dieses sperrige Werk verfallen?
Es gibt Opern von Riccardo Zandonai und Sergej Rachmaninow über „Francesca da Rimini“ und sinfonische Werke von Tschaikowsky und Liszt. Ich habe mir das alles angehört. Am stärksten beeindruckten mich die Schilderung des Höllentors und die anschließende Höllenfahrt am Anfang von Liszts Symphonie. Die Musik nimmt einen bei der Hand und führt den Hörer an einen ungewöhnlichen Ort. Bei uns spielen zwei Pianisten die Musik vierhändig am Klavier.
Gibt es heute noch Frauen wie Francesca?
Ich gehe für meine Theaterprojekte oft an Orte, an denen ich noch nie war, um Leute zu befragen. Diesmal war ich in einem Münchner Frauengefängnis. Ich habe den Gefangenen von Francesca erzählt und sie gefragt, ob sie sich mit ihrer Geschichte identifizieren können. Aus diesem Interviewmaterial habe ich den Theaterabend entwickelt.
Was haben Ihnen die Gefangenen erzählt?
Bedingung war, dass über die Taten der Frauen nicht gesprochen werden soll – auch zu ihrem eigenen Schutz. Mich interessierte die persönliche Beschreibung einer Lebenssituation, in der man mit dem System kompatibel ist und weggesperrt wird. Eine der Frauen sagte, sie habe nur von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht. Vermutlich ging das sehr weit. Das scheint eskaliert zu sein. Aber sie ist eine mögliche Identifikationsfigur für das Publikum.
Diese gegenwärtigen Frauen werden gespielt von Vivien Mahler und dem Kollektiv Bairishe Geisha.
Dieses Projekt ist bei den Proben entstanden. Dafür braucht man Leute, die sich auf eine solche Projektarbeit einlassen – wie etwa die Sängerin Iulia Maria Dan. Sie spielt die Francesca.
Wie bringen Sie in der kommenden Spielzeit an den Kammerspielen Josef Bierbichlers Roman „Mittelreich“ auf die Bühne?
Auch da habe ich einen musikalischen Zugang. Am Ende des Romans steht die Beerdigung von Semis Vater. Dabei wird das Brahms-Requiem gepielt. Es wird in der Aufführung der Ausgangspunkt für die Erinnerung der Figuren. Wir spielen eine Version für zwei Pianisten, Chor und Pauke.
Sie haben lange Christoph Marthalers Inszenierung von „Tristan und Isolde“ in Bayreuth betreut.
Ich habe Opernregie studiert, war aber mit Wagner nicht so eng verbunden. Dann kam die Assistenz bei Marthaler. Ich wusste nicht, dass das zu einem Lebensprojekt werden würde. Im zweiten Sommer war klar, dass Marthaler nicht mehr kommen würde. Ich habe die Inszenierung acht Sommer wieder aufgenommen. Wenn man so lange viel Zeit an einem dubiosen Ort wie dem Grünen Hügel mit Wagners Musik verbringt, dann macht das extrem etwas mit einem. Der „Tristan“ schleicht sich ins Unterbewusste ein.
Wie sind Sie das losgeworden?
Als der „Tristan“ endlich vorbei war, rief mich die Bühnenbildnerin Anna Viebrock an. Sie fragte mich, ob ich nicht einen Stuhl wollte, ehe die Ausstattung vernichtet wird. Ich hatte noch so viele Fragen an Wagners Liebesmythos. Dann habe ich in einer Nacht- und Nebel-Aktion das Bühnenbild vom Verschrotter gerettet. Mit den Resten habe ich in Zürich „Tristan oder Isolde“ inszeniert. Dabei habe ich selbst mitgespielt und Musik gemacht.
Sind Sie eigentlich mit Gustav Mahler verwandt?
Mein Vater sagt: eine Seitenlinie. Aber ich weiß nicht, wie gut das belegt ist.
Premiere 21. Juli, 19 Uhr im Haus der Kunst, Westflügel, ausverkauft. Es gibt noch Karten für die Aufführungen am 23., 24. und 25. Juli, Telefon 2185 1920
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