Angeber im Sexbusiness

Patrick Steinwidders Inszenierung des einstigen Skandal-Stücks von Arthur Schnitzler im Marstall
Mathias Hejny |
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Patrick Steinwidders Inszenierung des einstigen Skandal-Stücks von Arthur Schnitzler im Marstall

Theaterskandale zu entfachen, wenigstens einen Aufreger zu lancieren, ist schwer geworden. Dabei buhlt Patrick Steinwidder in jedem Augenblick seiner Inszenierung flehentlich um Entrüstung. Nach 20 Minuten verlassen zwar wenige Zuschauer still die Premiere im Marstall, aber die Mehrheit im Saal ist abgebrüht genug, um nur immer öfter auf die Uhr zu schauen. Beim wenig emphatischen Schlussapplaus treffen vereinzelte Buhs auf wenige trotzige Bravos.

Arthur Schnitzler hatte die zehn Szenen, bei denen es ausschließlich um das Eine geht, 1897 in einer Privatausgabe als Geschenk unter guten Freunden verteilt. Erst gut 20 Jahre später ließ er sich zu einer Uraufführung in Berlin überreden. Das anschließende Verbot und der Gerichtsprozess erschreckten Schnitzler so tief, dass er selbst weitere Aufführungen untersagte.

Im Programmheft zur aktuellen Staatstheater-Produktion erläutert die Dramaturgie, der Text „verortet das Geschehen deutlich in den Kontext von Wien des Fin-de-siècle“. So weit, so unbestritten. Patrick Steinwidder folge nun „der Tragweite von Schnitzlers Gesellschaftsanalyse ins Heute“. Das war möglicherweise der Plan, aber der ist nicht aufgegangen.

In Wirklichkeit folgt Steinwidder nicht in ein Heute, sondern in ein dramaturgisches Schwarzes Loch, das jegliche Energie und Materie aus der Handlung und seinen Figuren in sich aufsaugt. Ohne irgendeinen Kontext, einen Ort, eine Zeit erledigen sich Schnitzlers Dialoge von selbst.

Auf dem von Bob Bailey entworfenen Kampfplatz der Geschlechter, bei dem die Anmutungen von Schlachthof und Unterwäscheberg gekreuzt wurden, stimmt nur Eines: Das süße Mädel. Anne Stein ist wirklich süß. Kurioserweise entstehen ausgerechnet beim berührungsfreien Telefonsex zwischen ihr und dem Dichter Spurenelemente des Dramatischen.

Ansonsten sieht man Schauspieler auf verlorenem Posten: Guntram Brattia kann sich in allen fünf Männerrollen vom Soldaten zum Grafen noch hinter Macho-Posen verstecken, doch Sophie von Kessel bleibt irgendwo zwischen dem Sexbusiness der Prostituierte und dem berechnenden Schlampentum einer koksenden Schauspielerin im Stich gelassen.

Dort, wo der Autor den Höhepunkt mit zwei Gedankenstricken markiert, setzt Steinwidder auf Grelles. Im Französischen wird der Koitus als „kleiner Tod“ umschrieben - der österreichische Jungregisseur brüllt ihn in seinem hohl tönenden Angebertheater mit schrillen, lauten Gewaltfantasien als kleinen Mord heraus.

Marstall, 26., 29., 31. Oktober, 8., 15., 26., 27. November, 4. Dezember, 20 Uhr, Telefon 21851940

 

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