Interview

André Eisermann spricht, bis die Tränen fließen

André Eisermann gastiert mit Goethes „Werther“ im Kleinen Theater Haar
von  Volker Isfort
Der Schauspieler André Eisermann tourt mit Goethes „Werther“.
Der Schauspieler André Eisermann tourt mit Goethes „Werther“. © Andreas Arnold/dpa

Im Jahr 1774 erschien Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“, in dem ein junger Rechtspraktikant über seine unglückliche Liebesbeziehung zu Lotte berichtet, die bereits mit einem anderen Mann verlobt ist. Das Werk wurde ein europäischer Erfolg, selbst Napoleon las das Buch etliche Male und wollte unbedingt den Verfasser kennenlernen - was er dann auch tat. André Eisermann und der Pianist Jakob Vinje machen aus dem Buch eine emotional mitreißende Literaturshow, mit der Eisermann auch gegen die „Verrohung der Sprache“ ankämpfen möchte.

AZ: Herr Eisermann, Sie sind mit „Werther“ schon ihr halbes Leben unterwegs, warum?
ANDRÉ EISERMANN: Ich habe die Bühnenfassung vor 26 Jahren von einem Museumsleiter in Wetzlar bekommen, der meinte, ich solle das mal spielen. Jakob Vinje hat dann die Musik dazu komponiert. Wir haben in 26 Jahren nun über 800 Veranstaltungen, gemacht, die uns auch bis nach Amerika geführt haben. Und wir machen mit der Tour immer weiter.

Sie spielen die Fassung unverändert?
Der Text ist unverändert, aber die Stimmung ist für mich an jedem Abend eine andere. Es wird für mich auch deswegen nie langweilig, weil die Emotionen in diesem Stück so groß sind und ich schauspielerisch, salopp gesagt, die Sau rauslassen kann.

Der Schauspieler André Eisermann tourt mit Goethes „Werther“.
Der Schauspieler André Eisermann tourt mit Goethes „Werther“. © dpa

Sie sind aber mit 57 Jahren nicht mehr ganz der von Liebespein zermarterte junge Held.
Ich spüre auch immer mehr, was das auf der Bühne für eine Schwerstarbeit ist, den „Werther“ lebendig werden zu lassen mit allem Pathos, das auch dazugehört. Ich bin schon nach einer Viertelstunde nassgeschwitzt. Und ich frage meinen Pianisten Jakob jeden Abend, bevor wir auf die Bühne gehen: „Meinst Du, ich kann das noch, schaffe ich das noch?“ Aber wenn ich dann auf der Bühne in der Rolle bin, denke ich nicht mehr darüber nach. Erst nach dem Stück spüre ich, dass es mich doch mehr Kraft gekostet hat als früher. Es ist eine zwei Mal vierzig Minuten lange Tour de Force.

Haben Sie den „Werther“ schon in der Schule gemocht?
Nein, ich bin mit dem Text nicht in der Schule konfrontiert worden, weil ich als Kind von Schausteller-Eltern auf gar keiner richtigen Schule war.

Können Sie mit dem „Werther“ noch die junge Generation erreichen?
Wir gehen auf jeden Fall gezielt auch in Schulen. Aber für eine normale Theatervorstellung ist das schwieriger geworden. Erfreulicherweise merkt man aber, dass die jungen Zuschauer, die es zu uns geschafft haben, dann schon emotional von uns mitgenommen werden. Wir versuchen ja auch einen anderen Zugang zum Stück zu.

"Goethe war aus heutiger Sicht ein Popstar"

Sie lesen nach all den Jahren „Werther“ wahrscheinlich nicht mehr vor?
Nein, nach über 800 Auftritten kann ich den „Werther“ natürlich inwändig sprechen, wie das Will Quadflieg nannte.

„Werther“ war ja auch ein großer Influencer, von der Mode her gesehen, leider natürlich auch für die Selbstmordwelle, die er auslöste.
Goethe hat den „Werther“ mit 21 Jahren geschrieben und wurde mit dem Text so etwas wie ein Popstar aus heutiger Sicht.

Die Sprache wirkt nicht veraltet?


Werther zittert am ganzen Körper, als er sagt, dass er davon träume, Lotte im Arm zu halten und ihre Lippen zu küssen: Dann sagt er: „Mein Auge schwamm in der Trunkenheit der ihrigen.“ So spricht natürlich niemand mehr, aber man spürt sofort, um was es geht. Und es fließen durchaus Tränen im Publikum.

Ihr Kollege Ben Becker geht ja auch seit Jahren als Vortragskünstler durchs Land, wechselt aber alle paar Jahre das Programm. Sie bleiben beim „Werther“.
Erstens finde ich es toll, welche Stoffe Ben immer findet und ich halte ihn für einen ganz großen Vortragskünstler, einer der wenigen auf diesem Gebiet. Er ist ein großer Komödiant und wir sind auf gewisse Weise auch Seelenverwandte. Ich habe aber ehrlich gesagt das Programm nie gewechselt, weil ich kaum etwas gefunden habe, was dem „Werther“ gleich kommt, auch wenn ich durchaus mal Abende mit anderen Texten gestalte.

Wann sieht man Sie wieder im Fernsehen oder im Kino?
Ich habe zwei Projekte, bei denen ich das schöne Gefühl des Hoffens in mir trage. Es gibt zwei schöne Dinge im Leben, das ist einmal das Verliebtsein und das Gefühl, hoffen zu können. Aber sprechen darüber kann ich noch nicht.

17. Oktober 2025  um 19 Uhr im Kleinen Theater Haar

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