Alban Bergs "Wozzeck" - Ein Mensch in Stahlgewittern

Salzburger Festspiele: Alban Bergs "Wozzeck", fantastisch inszeniert von William Kentridge im Haus für Mozart.
Robert Braunmüller |
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William Kentridge findet als Regisseur einen zwingenden Zugang zu Alban Bergs "Wozzeck", indem er ihn künstlerisch mit der Entstehungszeit im Ersten Weltkrieg verbindet.
Salzburger Festspiele / Ruth Walz William Kentridge findet als Regisseur einen zwingenden Zugang zu Alban Bergs "Wozzeck", indem er ihn künstlerisch mit der Entstehungszeit im Ersten Weltkrieg verbindet.

Salzburg - Die Idee ist naheliegend und wohl nicht neu. Aber zwingender wurde Alban Bergs "Wozzeck" noch nie in seine Entstehungszeit verlegt, wie in dieser Neuinszenierung der Salzburger Festspiele. William Kentridge bringt die Oper mit den "Letzten Tagen der Menschheit" von Karl Kraus zusammen und verlegt sie in die Ruinen, toten Wälder und Granattrichter des Ersten Weltkriegs.

Plausible Inszenierung

Der Neo-Expressionismus des südafrikanischen Multi-Künstlers passt wie ein Handschuh auf die Faust des historischen Expressionismus der Oper. Die Bühne ist ein Haufen zersplitterter Treppen, Balkone und Stühle. In einem riesigen Schrank praktiziert der Doktor. Später sitzt da die Wirtshauskapelle. Auf das Gerümpel und den Rundhorizont projiziert Kentridge seine Kohlezeichnungen mit dem Grauen an der Front.

Die Weitung ins Weltgeschichtliche deckt sich mit der überlebensgroßen Musik, die Alban Berg dem armen Soldaten des Fragments von Georg Büchner verpasst hat – und zur Biografie des Komponisten, der hier eigene unschöne Erlebnisse verarbeitete, auch wenn er als Asthmatiker nur an der Heimatfront Wache schieben musste.

Wenn der Tambourmajor über Marie herfällt, bewegen sich Armeen auf einem flandrischen Schlachtfeld, Zeppeline fliegen vorbei, Flugzeuge stürzen ab – immer in den etwas wackligen, absichtsvoll unfertig wirkenden Animationen, die für Kentridge typisch sind. Umbauten werden von beinamputierten Lemuren mit Gasmasken vorgenommen. Die Brutalisierung und Militarisierung der Gesellschaft wird einerseits in die Vergangenheit gerückt und zugleich kenntlich gemacht. Es ist eine Stilisierung, die das Theater nicht verleugnet und viel besser zur Opernform passt als jeder Versuch eines szenischen Naturalismus.

Matthias Goerne mit samtiger Stimme

Kentrigde entkommt auf diese Weise auch der schalen Sozialkritik vieler "Wozzeck"-Aufführungen. Die Allgegenwart des Militärs wird ebenso plausibel gemacht wie die Wahnvorstellungen der Titelfigur: Der Soldat fabuliert von Verschwörungen und Feuer-Erscheinungen, weil er an einem Kriegstrauma leidet. Und die ganzen grotesken Nebenfiguren wirken dem Horrorkabinett des legendären Lesedramas von Karl Kraus entsprungen – ein Schriftsteller, den Berg tief verehrte. Matthias Goerne ist als Wozzeck neben Marie der einzige Mensch unter lauter grotesken Karikaturen. Er singt die Rolle samtiger und bassiger als gewohnt. Und auch eine Spur genauer. Der deutsche Bariton hat keine Mühe mit dem Changieren zwischen Gesang und Sprechgesang. Dass er nicht der allergrößte Darsteller ist, geht in Kentridges Bildergewitter gnädig unter.

Bestes "Wozzeck"-Ensemble seit langem

Asmik Grigorian macht die Marie mehr zu Lulus kleiner Schwester. Sie ist viel zarter, burschikoser und weniger mütterlich als sonst. Eine stimmige Deutung gegen das Klischee, dem weder dem Text noch Musik widersprechen.

Gerhard Siegel sieht als Hauptmann mit Federbusch und Schnurrbart aus wie eine Kreuzung der beiden Kaiser Wilhelm II. und Franz Josef. Mit John Daszak (Tambourmajor), Jens Larsen (Doktor), Mauro Peter (Andres) und anderen formt er das wirklich beste "Wozzeck"-Ensemble seit langem.

Dass die Wiener Philharmoniker vor allem den hohen Anteil an spätromantischer Rückschau von Bergs Musik herausstellen, überrascht wenig. Das Grelle wird mit k.&.k.-Charme abgetönt. Maries Gebet und das große Zwischenspiel dirigiert Vladimir Jurowski als schönheitstrunkenen Protest gegen die Zeichnungen anonymer Kriegsopfer, die Kentridge dazu projiziert.

Frenetischer Applaus

Aber auch dieser Widerspruch wirkt so stimmig wie die Darstellung des Kindes durch eine Puppe in der menschenfeindlichen Welt dieser Inszenierung. Es reitet am Ende nicht auf einem Steckenpferd, sondern auf einer Krücke. Die Aufführung wurde so frenetisch gefeiert wie die "Aida" im Großen Festspielhaus nebenan. Mit Recht: Es ist die bisher rundeste Premiere des neuen Intendanten Markus Hinterhäuser.

Wieder am 14., 17., 24., 27. August, www.salzburgfestival.at
Das Museum der Moderne zeigt bis 5. November im Rupertinum und am Mönchsberg Installationen und Materialien zu Inszenierungen von William Kentridge.

Lesen Sie auch: Verdis "Aida" mit Anna Netrebko - die AZ-Kritik

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