Kritik

Adliger Ehrengast zwischen Patienten: Oper im Klinikum Großhadern

Die freie Gruppe Opera Incognita zeigt Musiktheater im Mitarbeiter-Casino des Klinikums.
Robert Braunmüller
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Algin Özcan als Admète mit Carolin Ritter als Alceste in Glucks Oper im Casino des Klinikums Großhadern.
Aylin Kaip 6 Algin Özcan als Admète mit Carolin Ritter als Alceste in Glucks Oper im Casino des Klinikums Großhadern.
Glucks "Alceste“ in Großhadern.
Aylin Kaip 6 Glucks "Alceste“ in Großhadern.
Glucks "Alceste“ in Großhadern.
Aylin Kaip 6 Glucks "Alceste“ in Großhadern.
Glucks "Alceste“ in Großhadern.
Aylin Kaip 6 Glucks "Alceste“ in Großhadern.
Markus Lerch, Der Ärztliche Direktor des Klinikums Großhadern.
picture alliance/dpa 6 Markus Lerch, Der Ärztliche Direktor des Klinikums Großhadern.
Das Hauptgebäude des Universitätsklinikums Großhadern.
picture alliance/dpa/Tobias Hase 6 Das Hauptgebäude des Universitätsklinikums Großhadern.
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Bei der Ankunft am gleichnamigen U-Bahnhof erweist sich das Klinikum Großhadern zuallererst als autogerecht: Hinweise auf einen Fußweg zum Haupteingang sucht man an der Oberfläche vergebens. Irgendwo in der Nähe des 50 Meter hohen Bettenhauses wird er wohl sein. Dort erwarten einen die an einem solchen Ort unvermeidlichen Raucher mit mobilem Tropf und im Morgenmantel, was die Lust auf eine Oper an diesem Schauplatz für Momente stark schwinden lässt.

Dann fährt Herzog Franz in einem Auto mit E-Nummernschild vor, und ehe man noch nach Hinweisschildern in Richtung Mitarbeiter-Casino suchen kann, taucht jemand auf, um den höchstrangigen Besucher zum Spielort zu führen. Einmal wird ihm zur Überwindung einer kurzen Treppe die Benutzung eines Aufzugs angeboten. Das wehrt der 92-Jährige freundlich ab: So gut zu Fuß sei er schon noch.

An einer Tür wartet ein weiterer Schock auf Empfindsame: Schilder bitten darum, OP-Schutzkleidung vor dem Betreten des Casinos abzulegen. Über eine Treppe geht es an stillgelegten Haustelefonzellen vorbei in einen riesigen, mit bunter Ornamentik aus den 1970er-Jahren geschmückten Saal. Dort spielt die freie Gruppe Opera Incognita im 20. Jahr ihres Bestehens die 1776 uraufgeführte Oper "Alceste“ von Christoph Willibald Gluck.

Das Hauptgebäude des Universitätsklinikums Großhadern.
Das Hauptgebäude des Universitätsklinikums Großhadern. © picture alliance/dpa/Tobias Hase

Historische Aufführungspraxis

Damals, in der Pariser Académie Royale de musique, war wohl die französische Königin Marie Antoinette dabei: als Fördererin und ehemalige Schülerin des Komponisten. Man könnte fast von historischer Aufführungspraxis sprechen, wenn nun in Großhadern der Chef des Hauses Wittelsbach in der ersten Reihe der Premiere beiwohnt.

Admète bricht hier bei einer Familienfeier zusammen und wird ins Krankenhaus eingeliefert, was dem Regisseur Andreas Wiedermann die Gelegenheit gibt, das örtliche Kolorit zu mobilisieren: mit der Unterzeichnung von viel Papierkram, elektronisch gelesenen Karten (eine Zusatzversicherung für das Einzelzimmer mit Chefarztbehandlung?) und einem genervten Chirurgen, der auf die Armbanduhr schaut, wenn Alceste mehr über den Zustand des Mannes erfahren möchte.

Glucks "Alceste“ in Großhadern.
Glucks "Alceste“ in Großhadern. © Aylin Kaip

Wiedermann bespielt die volle Breite des Casinos. Das gibt ihm viel Raum für Auftritte des Chors. Der singt zwar bisweilen ein wenig eckig und scharf. Aber er ist individualisierter geführt als in vielen Inszenierungen großer Opernhäuser und stellt die Familie des Admète nebst Klinikpersonal dar.

Aufforderung zur Knochenmarksspende

Trotz vieler Bewegtheit und Bewegung gelingt es dem Regisseur aber nicht, den zeremoniellen Leerlauf zu bändigen, der französischen Opern des 18. Jahrhunderts innewohnt. Der wunde Punkt dieser Oper lässt sich durch Regie leider auch nicht beseitigen: Im Unterschied zum psychologisch erheblich aufregenderen Drama des Euripides erfährt Admète bei Glucks erst sehr spät, dass seine Frau in die Unterwelt gehen will, um sein Leben zu retten. Das Duett, in dem dies verhandelt wird, ist eher schwach, und auch der heftige Streit mit den Schwiegereltern der Alkestis fehlt bei Gluck, den an diesem Stoff offenbar primär die Chortableaus interessierten.

Die sanft antikisierenden Kostüme der Hauptfiguren (Ausstattung: Aylin Kaip) leuchten im Klinik-Ambiente weniger ein. Wiedermann kann leider auch nicht deutlich machen, worin in seiner Sicht das Opfer der Alkestis besteht. Eine riskante Organspende? Vielleicht. Aber selbst das wäre eine Verkleinerung ihres Kampfs mit dem ungerechten Schicksal dieses Dramas, das in Großhadern auch ein wenig zu billig mit dem Geldkoffer eines Pharma-Vertreters bezwungen wird.

Markus Lerch, Der Ärztliche Direktor des Klinikums Großhadern.
Markus Lerch, Der Ärztliche Direktor des Klinikums Großhadern. © picture alliance/dpa

In der Pause der Premiere rief der Klinikchef Markus M. Lerch im Namen einer Mitwirkenden dazu auf, sich an Ort und Stelle für eine Knochenmarkspende registrieren zu lassen. Das ist natürlich mehr als löblich. Aber der Aufführung hätte es gutgetan, diese Oper stärker gekürzt und im antiken Stil ohne Pause durchzuziehen.

Zu dünnes Orchester

Carolin Ritter ist gewiss nicht die dramatische Sopranistin, die eigentlich für die Alkestis erforderlich wäre. Auch wenn sie als Darstellerin etwas kalt lässt, bewältigt sie die Rolle mit Geschick und Geschmack. Algin Özcan singt den Admète mit einem sauber geführten, schlank-metallischen Tenor, der gut zu französischer Musik passt. Manuel Kundinger vereint mehrere kleinere Rollen zum Bilderbuchporträt eines mäßig emphatischen Krankenhausarztes. Der Opera-Incognita-Veteran Robson Bueno Tavares macht das Beste aus der kleinen, aber wichtigen Rolle des Hercule.

Glucks "Alceste“ in Großhadern.
Glucks "Alceste“ in Großhadern. © Aylin Kaip

Ein einzelnes Horn ersetzt in dieser Aufführung zwar wirkungsvoll eine ganze Blech-Gruppe einschließlich der Posaunen. Aber immer dann, wenn das Instrumentale im Vordergrund stehen sollte, klingt das Orchester in dem großen Raum viel zu dünn und forciert - etwa in der Ouvertüre. Da kann auch Ernst Bartmanns engagierte Leitung nichts ändern: Fünf forciert spielende Streicher sind für den riesigen Raum eine dürftige Besetzung.

Beim Verlassen des Klinikums passiert man noch einmal leicht schaudernd den Friseur in der Besucherstraße, der Perücken für alle im Angebot hat, die sich nach einer erfolgreichen Chemotherapie wieder unter die Leute wagen wollen. Vielleicht sollte man die Krebsvorsorge doch etwas ernster nehmen? Es gibt Aufführungen, aus denen man schon weniger mit nach Hause genommen hat.

Wieder am 5., 6., 12. und 13. September im Casino des Klinikums Großhadern, Karten (57 bis 68 Euro, auch Ermäßigungen) bei Münchenticket

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