Van Zandt-Autobiografie "Soulfire!": Der unbekannte Superstar

Der Musiker und Schauspieler Stevie Van Zandt hat eine sehr unterhaltsame Autobiografie verfasst.
von  Dominik Petzold
Stevie Van Zandt (Mitte) mit Bono (links) und Jimmy Cliff 1985 beim "Sun City"-Protestprojekt.
Stevie Van Zandt (Mitte) mit Bono (links) und Jimmy Cliff 1985 beim "Sun City"-Protestprojekt. © Rewen Kopitchinski

Wenn bekannte Menschen auf einem Buchrücken zur Lektüre raten, muss das nicht viel bedeuten: Eventuell haben nur Kollegen oder Kumpel dem Autor etwas Gutes tun wollen. Möglicherweise ist das auch bei der Autobiographie von Stevie Van Zandt der Fall, doch selbst das wäre schon bemerkenswert: Denn nicht nur sein langjähriger Boss Bruce Springsteen empfiehlt das Buch in höchsten Tönen - sondern auch Paul McCartney und Bob Dylan. Der äußert sich praktisch nie zu irgendetwas, diese "lehrreiche Geschichte voller haarsträubendem Humor" aber preist er an.

Hohe Superstar-Dichte in Van-Zandt-Autobiografie

Diese Troika der Jahrhundertfiguren stimmt darauf ein, was den Leser auf den herrlich unterhaltsamen 528 Seiten erwartet: Stevie Van Zandt mag zwar es trotz seiner gewaltigen Talente nur zu mittelgroßem Ruhm gebracht haben, im engsten Zirkel der Rockstar-Welt aber gilt er viel, und so taucht in diesem Buch so gut wie jeder auf, der darin Rang und Namen hat, und zudem manche Größe aus angrenzenden Disziplinen.

Die Superstar-Dichte ist teilweise bizarr hoch, etwa, wenn Stevie Van Zandt 2019 in L. A. zu einer Party anlässlich Bruce Springsteens siebzigstem Geburtstag geht: Da erblickt er Francis Ford Coppola, dem er schon lang eine Drehbuchidee unterjubeln will, doch kurz bevor er dessen Tisch erreicht, setzt sich Leonardo DiCaprio dorthin und nimmt den Regisseur stundenlang in Beschlag. Van Zandt wartet am Nebentisch - da kommt Bob Dylan vorbei und leistet ihm Gesellschaft. Mit seiner Freundin übrigens, von der die Öffentlichkeit bis zum Erscheinen dieses Buchs noch gar nichts wusste.

Der gute Freund der großen Stars: Paul McCartney kam 2017 bei Stevie Van Zandts Konzert in London auf die Bühne.
Der gute Freund der großen Stars: Paul McCartney kam 2017 bei Stevie Van Zandts Konzert in London auf die Bühne. © Kirsten Donovan

"Soulfire" bietet viel mehr als nur Klatsch für Rockfans

Ja, man taucht besonders gern in diese pralle Starwelt ein, weil Stevie Van Zandt es mit der Diskretion nicht gerade übertreibt. Und er hat auch nicht für alle Kollegen gute Worte übrig. Wer es sich mit ihm im Lauf der Jahre verscherzt hat, bekommt es in "Soulfire! Meine Rock'n'Roll-Odyssee" mit barer Münze zurück: egal ob er noch lebt wie Paul Simon oder schon tot ist wie Frank Zappa.

Aber "Soulfire" bietet viel mehr als nur Klatsch für Rockfans. Schließlich blickt Stevie Van Zandt auf eine unglaubliche Lebensgeschichte, und die weiß er süffig zu erzählen. In den Siebzigern war der Gitarrist, Komponist, Arrangeur und Produzent aus dem provinziellen New Jersey der Kopf hinter "Southside Johnny & The Asbury Jukes", die in dem heruntergekommenen Küstenörtchen Asbury Park residierten und mit ihrem Bar-Rock mehrmals in der Woche über tausend Zuschauer anlockten. Ab 1975 war er zudem die rechte Hand seines Jugendfreundes Bruce Springsteen, 1980 co-produzierte er die Single "Hungry Heart" und das Album "The River", die dessen Erfolg auf ein ganz neues Level hoben.

Solokarriere als "Little Steven"

Und 1982 produzierte Van Zandt den Großteil der Songs, die zwei Jahre später auf "Born In The USA" erscheinen sollten und Springsteen so bekannt wie Coca-Cola und den Weihnachtsmann machen sollten. Doch Van Zandt hatte das Gefühl, dass sein Einfluss auf Bruce allmählich schwand, und stieg aus. Während seine E Street Band-Kollegen nach dem gigantischen Erfolg des Albums zwei Jahre lang in Stadien in aller Welt auftraten und allesamt reich wurden, mühte er sich, seine Solokarriere als "Little Steven" voranzubringen. Rückblickend analysiert er seinen Abgang so: "Was für ein Depp."

Zumal er diese anfangs vielversprechende Solokarriere im Lauf der Achtziger in den Sand setzte, weil er auf jedem Album stilistisch etwas Neues versuchte. Außerdem floss seine Energie zunehmend in den politischen Aktivismus: Mit dem Song und Album "Sun City" protestierte er gegen die Schande, dass viele Popstars für viel Geld in dem gleichnamigen Ressort in Südafrika auftraten. Van Zandt trommelte Superstars wie Dylan und Bono zusammen, sogar Miles Davis kam ins Studio, und das Projekt lenkte viel Aufmerksamkeit auf die Zustände in dem rassistischen Staat.

Van Zandt schildert sein Leben Projekt für Projekt, Platte für Platte

So groß diese Leistung auch war: Van Zandt schätzt seinen persönlichen Anteil am Ende der Apartheid und der Befreiung Nelson Mandelas als sehr hoch ein, was dann doch, nun ja, etwas vermessen erscheint. An Selbstbewusstsein mangelt es ihm ohnehin nicht, auch von seinem gewaltigen Können als Musiker ist er überzeugt - er habe jahrelang "für andere Schlechtes in Gutes, Gutes in Großartiges und Großartiges in noch Großartigeres verwandelt" -, und umso mehr hadert er damit, dass seine eigenen Projekte ab den Neunzigern, als er wieder voll auf die Musik setzte, samt und sonders kommerziell scheiterten, auch sein Comeback als "Little Steven" seit 2017: Das sei mit der 15-köpfigen Band "Disciples of Soul" ohnehin nur dank eines Sponsors finanzierbar gewesen.

Dafür machte Van Zandt in den vergangenen zwanzig Jahren eine erstaunliche Zweitkarriere als Filmmafioso: Bei einer Rede in der "Rock'n'Roll Hall of Fame" hatte er eine derart gute Show abgezogen, dass ihm Regisseur David Chase die Hauptrolle seiner Serie "Die Sopranos" anbot. Das ließen die Fernsehbosse nicht zu, aber der Schauspielnovize überzeugte als Nebenfigur und spielte anschließend die Hauptrolle in der international erfolgreichen norwegischen Mafiakomödien-Serie "Lilyhammer".

Kaum zu erkennen: Stevie Van Zandt als Jerry Vale in Martin Scorseses Film "The Irishman".
Kaum zu erkennen: Stevie Van Zandt als Jerry Vale in Martin Scorseses Film "The Irishman". © Netflix

Die Mafia ist neben der Musik ohnehin das Steckenpferd des heute 71-Jährigen: Das Morden wäre nicht so sein Ding, ansonsten aber hätte er sich einen Job als Mobster gut vorstellen können, schreibt er in dieser wunderbar eigenen und sehr lustigen Autobiographie.

In der verzichtet er auf jegliche Schilderung seines Seelenlebens - beim Sexualleben sieht's anders aus - und auch seines Alltags; der Leser erfährt noch nicht mal, wo er wohnt. Mit solchen Profanitäten hält sich Stevie Van Zandt nicht auf, er schildert sein Leben Projekt für Projekt, Platte für Platte. Und nebenbei fügt er so pointierte wie profunde Exkurse in die Geschichte der Popmusik ein. "Kein Zweifel, der gute Stevie beweist immer wieder aufs Neue, dass er weiß, wovon er spricht", so Bob Dylan auf dem Buchrücken. Und wer um alles in der Rockwelt sollte da widersprechen?


Stevie Van Zandt: "Soulfire. Meine Rock'n'Roll Odyssee" (Hannibal, 528 Seiten, 27 Euro)

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