Stefanie Sargnagel in Iowa
Der Ausflug in das Waffengeschäft oder vielmehr das Kaufhaus für Waffen-, Jagd- und Tarnbedarf irgendwo in der Ödnis Iowas ist vielleicht noch das, was am vorhersehbarsten ist in diesem Buch. Die Wiener Autorin und Cartoonistin Stefanie Sargnagel verbrachte im Frühjahr 2022 zwei Monate in Iowa. Sie wurde zu einer Writer's Residence ins Grinnell College eingeladen - und durfte sogar noch eine Begleitung mitbringen: die deutsche Musikerin und Autorin Christiane Rösinger.
Auf ihrem Instagram-Account lud Sargnagel direkt Eindrücke und Videos von ihrem Transatlantik-Abenteuer hoch, verriet aber auch gleich, dass sie vielleicht ein Buch daraus machen würde: "Von Likes kriegt ma schließlich ka Eigentumswohnung", textete sie unter ein Bild von sich in jenem Fernsehsessel, auf dem sie nun auch auf dem Buchcover thront (gezeichnet, wohlgemerkt, ein Selbstportrait). "Iowa - Ein Ausflug nach Amerika" heißt das Buch. Und wie nicht anders zu erwarten, ist es Sargnagel-like alles von lustig über derb bis ganz schön bitter.
Ein Klischee ist eben nicht ohne Grund ein Klischee
Zurück also zum Waffengeschäft, diesem "Epizentrum militärischer Männlichkeitsideale", das mit vollem Namen "Bass Pro Shop" heißt und ein "Disneyland für Jagdbegeisterte" ist. Neben den erwartbaren Waffen aller Art gibt es Fleischwölfe ("Wald und Wiese wollen verwurstet werden"), Tarnmode für die ganze Familie und jede Menge Spielzeug für die Jäger und Jägerinnen von morgen: "Für Babys gibt es Mobiles mit kleinen Rehen, so lernen sie das Spähen nach Beute schon im Gitterbett." Ein Klischee ist eben nicht ohne Grund ein Klischee, und auf dieser Reise bestätigt sich so manches, was Sargnagel aus der Ferne für übertrieben hielt.
Neben dem Erwartbaren entdeckt sie aber auch viel Neues. Denn wenn sie nicht gerade "Komisch Schreiben" unterrichtet, begibt sie sich mit Christiane Rösinger (und später mit ihrer Mutter, die zu Besuch kommt) auf allerlei Erkundungstouren.
Zwischen Depression und kindlicher Abenteuerlust wirft sie sich mutig ins Abenteuer Amerika jenseits der Metropolen, das sich ihr bereits am Flughafen präsentiert als "psychedelisch grelle Farblandschaft, alle Simpsons-Folgen auf einmal". Sie gönnt sich, was es hier eben so gibt an Erlebnismöglichkeiten, probiert irgendwann sogar die "Cooked Turkey Gizzards", die gekochten Truthahnmägen, die als "graue Gewebefetzen" in einem Gefäß voll trüber Flüssigkeit auf dem Tresen der Stammkneipe treiben. So trist zunächst alles wirkt, so skurril sind die Erlebnisse in dieser zivilisatorischen Ödnis.
Hasen mit verknoteten Füßen
Sargnagel wird in einem Amish-Dorf Eier kaufen ("Orthodoxestes Bio, Bio-Extremismus, ungewaschene Eier aus unrasierten Kloaken gottgefälliger Hennen, gefüttert von unbehandelten Bauernhänden ungeimpfter Mädchen") und die esoterische Maharishi International University besuchen, an der man einen "Bachelor in Aromatherapie" machen kann und dreimal am Tag "yogisches Fliegen" praktiziert wird.
Sargnagel beschreibt all das so plastisch, dass man sie tatsächlich "wie Hasen mit verknoteten Beinen" durch den Raum hüpfen sieht, die Anhänger der Transzendentalen Meditation. Sie versucht sich auf Tinder, wo sich alle Männer mit Tieren präsentieren, und es die absolute Ausnahme ist, wenn diese noch leben. Sie vermisst im College die Antis, die Anarchistinnen und depressiven Trinkerinnen, mit denen sie sich identifizieren könnte.
Ein Hoch auf das rote Wien
Aber vielleicht, so ihr Fazit, ist für die eben kein Platz in einer Universitätskultur, in der ein Studienjahr 70 000 Dollar kostet? Ein Hoch auf das rote Wien! Sie besucht Riverside, den Ort, an dem im Jahre 2028 Captain Kirk ("Raumschiff Enterprise") zur Welt kommen wird, und der sich bereits jetzt mit einem Denkmal mit der Gravur "Future Birthplace of Captain James T. Kirk" schmückt. All das sind nur ein paar der Seltsamkeiten, die diese Reise zu bieten hat.

Sargnagel scheut sich nicht, über eigene Schwächen und Ängste zu schreiben. Sie gibt zu, dass sie süchtig ist nach sogenannten Mukbang-Videos im Internet, bei denen man jungen, meist asiatischen Menschen zuschauen - und vor allem zuhören! - kann, wie sie Unmengen von Nahrungsmittel in sich hineinschaufeln, schlürfen, kauen und schlucken.
Mehr Iowa geht kaum
Auch, dass sie sich beim Pie-Contest der Pfarrgemeinde so wohl und geborgen fühlt wie in der Gruppentherapie. Alles, was Sargnagel beschreibt, beschreibt sie mit ihrem ganz persönlichen Blick. Immer feministisch und kämpferisch, aber immer auch bereit zur Inkonsequenz, wenn das Leben eben andere Bedürfnisse und Sehnsüchte hat als die Theorie. Sie schreibt Sätze, für die allein sich das ganze Buch lohnen würden, wäre es nicht ohnehin ein Freude. "Für Hunde hab ich keine Gefühle, ich sehe in ihnen immer nur so erniedrigte Wölfe", ist einer von ihnen.
Rassismus, Trumpismus, Waffenlobby, Obdachlosigkeit - all die Probleme dieses Amerikas kommen vor in diesem Buch. So, wie Sargnagel ihnen begegnet: eingebettet in die Normalität des Alltäglichen. Der ganze Schrecken in seiner beunruhigenden Durchschnittlichkeit.
Vor kurzem hat Donald Trump in Iowa die erste Vorwahl der Republikaner gewonnen. Da war Sargnagel nicht mehr im Lande, ihr Buch bereits erschienen. Schade. Gerne hätte man ihre Schilderung dieses Ereignisses gelesen. Trotzdem: mehr Iowa in einem Buch geht kaum.
Stefanie Sargnagel stellt "Iowa - Ein Ausflug nach Amerika" (Rowohlt, 304 Seiten, 22 Euro) am 11. Mai im Volkstheater vor
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