Scheu vor Schattierungen: Angelika Steideles Roman „Ins Dunkel“

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Berlin, in den zwanziger Jahren, eine Bar. Greta Garbo kommt, interessiert sich für zwei tanzende Frauen, Klaus Mann setzt sich zu ihr, dann erscheinen noch Pamela Wedekind und Marlene Dietrich, um dem Leser oder der Leserin einen VHS-Kurs in Filmtechnik zu erteilen. Und ja, zuletzt erscheint kurz Leni Riefenstahl, die im gleichen Club wie die Dietrich boxt.
Das hat die Anmutung einer Fernsehdoku mit Spielszenen. Diesem didaktischen Stil bleibt Angela Steidele in ihrem neuen Buch bis zur letzten Seite treu. „Ins Dunkel“ schneidet mit vielen Rückblenden und einer Menge Abschweifungen die Biografien von Erika Mann und Greta Garbo gegeneinander. Wer nach einem roten Faden oder einer psychologischen Entwicklung der Hauptfiguren sucht, wird allerdings eine Enttäuschung erleben.
Die Autorin hat viel gelesen. Aber es gelingt ihr nicht, ihren Stoff literarisch zu bewältigen und in eine Form zu gießen. Den ganzen eifersüchtigen Hollywood-Klatsch präsentieren die von Angela Steidele geplünderten Autobiografien süffisanter. Und ein Roman ist nicht die Form erster Wahl, wenn man sich über Filmgeschichte oder die Biografie der in dem Buch auftretenden Personen informieren möchte.
Die Giehse redet bairisch
Und ist es wirklich so wichtig ob die Garbo verklemmt lesbisch und Gründgens womöglich impotent war? Jedenfalls nicht in der Form, in der es die Autorin schildert. Steidele scheut es, die diversen Schattierungen von Sexualität in Konflikte und Handlung zu übersetzen. Richtig leidenschaftlich liebt in dem Buch niemand, aber die Autorin wundert sich auch nicht darüber, wie brav und spießig ihre Figuren letztendlich leben.

Der Titel „Ins Dunkel“ bezieht sich auch nicht auf seelische Abgründe, sondern auf die mäßig einfallsreiche Idee, größere Abschnitte der Erzählung mit Szenenanweisungen im Stil eines Drehbuchs zu beginnen. Statt etwas über die Figuren zu erzählen, redet der zeitweise in Hollywood weilende Sergej Eisenstein über Schnitt. Dann haut er wie Chrutschtschow mit dem Schuh auf den Tisch, später breitet Salka Viertel in aller Ausführlichkeit die verwickelte Entstehung des Garbo-Klassikers „Königin Christine“ aus.
Viel Freude an der Recherche, aber wenig Literatur
Gegen Ende diskutieren Erika Mann und ihre letzte Geliebte Signe von Scanzoni lang und breit in einem Skilift über den Wert und Unwert von Klaus Manns „Mephisto“. Natürlich wird auch die Geschichte des Kabaretts „Die Pfeffermühle“ wie in einem mit verteilten Rollen gesprochenen Wikipedia-Artikel nacherzählt. Da hat dann Therese Giehse mehrere Auftritte. Sie redet von Annemarie Schwarzenbach als „dem Annamirl“ und spricht auch sonst auf eine unangenehm dümmliche Weise bairisch. Aber sie sagt auch einige kluge Sätze über Peter Stein, ehe sich zuletzt noch Marlene Dietrich am Sterbebett von Erika Mann mit den Stonewall Roots in New York solidarisiert.

Lichtere Momente sind die wenigen Stellen, in denen die Autorin selbst auftritt und ihren Schreibstil reflektiert. Aber das bleiben isolierte Einsprengsel. Es mag sein, dass jede Generation die deutschen Klassiker der Queerness für sich neu entdecken muss. Und es teilt sich durchaus mit, mit welcher Freude die Autorin Erika Mann und der Garbo nachgespürt hat. Wer aber über die deutsche Exil-Szene in Hollywood nur ein Sachbuch gelesen hat, erfährt aus „Ins Dunkel“ nichts Neues. Und das ist für 350 Romanseiten eindeutig zu wenig.
Angela Steidele: „Ins Dunkel“ (Suhrkamp, 357 S., 26 Euro). Die Autorin stellt ihr Buch am 10. September um 19.30 Uhr bei Rauch und König in der Herzogstraße 84 vor. Anmeldung unter hallo@rauchundkoenig.de
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