Interview

Rebekka Reinhards neues Buch "Wach denken": Gegenwart, Leichtigkeit, Liebe

"Wach denken": Das neue Buch von Rebekka Reinhard will uns aus unserer computerbestimmten Denkkultur befreien - hin zu einem "zeitgemäßen Vernunftsgebrauch", der dann auch spielerisch sein darf.
von  Adrian Prechtel
Die Philosophin Rebekka Reinhard promovierte über französische und amerikanische Gegenwartsphilosophie, ist philosophische Unternehmensberaterin und stellvertretende Chefredakteurin des Magazins "Hohe Luft". Sie hat eine philosophische Lebensberatungspraxis in München. Von ihr sind unter anderem Bücher zum Umgang mit "Schönheit" oder dem Perfektionswahn ("Die Sinn-Diät") erschienen
Die Philosophin Rebekka Reinhard promovierte über französische und amerikanische Gegenwartsphilosophie, ist philosophische Unternehmensberaterin und stellvertretende Chefredakteurin des Magazins "Hohe Luft". Sie hat eine philosophische Lebensberatungspraxis in München. Von ihr sind unter anderem Bücher zum Umgang mit "Schönheit" oder dem Perfektionswahn ("Die Sinn-Diät") erschienen © Sung-Hee Seewald / Körber Stiftung

Für unseren Umgang mit unserem Leben und der Welt schlägt die Münchner Philosophin vor, dem Chaos der Welt mit einer Lust an der Vieldeutigkeit zu begegnen anstatt immer zu versuchen, alles schnell und eindeutig zu kategorisieren. Das macht uns frei, meint sie.

AZ: Frau Reinhard, Ihr Buch "Wach denken" ist eine Anleitung zum Glücklichsein in unübersichtlichen Zeiten.
REBEKKA REINHARD: Das ist ein Kompliment. Ich versuche, uns erst einmal zu erklären, was unser Leben zu stark prägt und einschränkt. Es ist genau die Antwort auf die vielen Auflösungserscheinungen in der Welt, die zu viele in der "Computerlogik" suchen. Bei den ständigen vielen Fragen und Entscheidungen, die auf uns einprasseln, gilt: Schnell ist das neue schlau! Und in unserer vernetzten, smartphone-durchdrungenen High-Tech-Welt gilt da dann eben vor allem das Binäre: Entweder-Oder: Problem oder Lösung, Erfolg oder Scheitern, Echt oder Fake bis hin zu Mann oder Frau. Das schafft scheinbare Klarheit und damit schnell Sicherheit. Es bleibt viel zu wenig Raum für Zweifel und Innehalten. Die würden uns Menschen aber erst frei und wirklich selbstbestimmt und damit glücklich machen. Vielleicht ist das ein Paradox: Aber genau, dass man Unsicherheit und Verunsicherung zulässt, schafft Glück.

Meinungsblasen als Betätigungsfeld für Populisten, Autokraten und Sexisten

Als eine Zustandsbeschreibung unserer Gegenwart benutzen Sie den paradoxen Begriff: "verblödete Vernunft".
Ja, weil ich die Grundlage der Computer-Logik gar nicht verteufeln will. Sie ist ja erst einmal etwas Rationales, Wissenschaftliches, Aufklärerisches - und damit ein positives Produkt unserer abendländischen Kultur seit Aristoteles. Aber in der Vereindeutigung aller Dinge, liegt auch die Gefahr: Wir geraten in sogenannte Echokammern und Meinungsblasen, wo am Ende gilt: "Ich habe recht, weil ich recht habe." Das ist dann das Betätigungsfeld für Populisten, Autokraten und Sexisten. Sind wir in so einer Blase, glauben wir zwar, die Welt klar teilen zu können in falsch-wahr, gut-böse oder mein Rudel-Wir und die Anderen. Aber das ist eine maximale Unfreiheit, die zwar belohnt wird durch die digitale Gemeinschaft der Gleichgesinnten mit Community-Gefühlen und Likes, aber letztlich einsam und unglücklich macht.

Wie erklären Sie die große Anfälligkeit der Gegenwart für diese Meinungsblasen?
Im Bedürfnis nach Sicherheit in einer wilden Wandelzeit. Aber das ist nur deshalb so stark, weil wir dem Bunten, dem Anderen immer weniger begegnen: Kirche, Tanztee, Sportverein, Familienverbund mit schwarzen Schafen - viele Gesellschaftsräume, die bei aller Problematik ein Heimatgefühl gegeben haben, sind weggefallen. Also wärmen wir uns am digitalen Stammtisch der Gleichgesinnten und begeben uns in das Feld der "verblödeten Vernunft".

"Liebe bleibt ein Schlüsselwort"

Die zweite Hälfte des Buches widmen sie aber dem Ausbruch und Aufbruch aus diesen Gewohnheiten und Lebensformen in die Freiheit. Vom Stumpfen und Dumpfen ins Wache, ins wache Denken.
Es geht darum unsere Konditionierung auf das Entwerder-Oder zu durchbrechen. Ich bin keine Freundin von Esoterik, weil auch die etwas Ausschließendes, Totalitäres in sich hat. Es geht darum, etwas taoistische Weisheit in unsere Lebensform zu integrieren, das Irrationale im besten Sinn: Dingen Resonanz geben, etwas Tänzerisches im Leben zu wagen, etwas völlig Unideologisches, Paradoxiefreundliches, weil weder Leben noch Welt eben eindeutig sind.

Drei Untugenden als Tugenden schlagen Sie vor: Gegenwärtigkeit, Leichtigkeit und Liebe.
Die Leichtigkeit hat der Schriftsteller Italo Calvino schon vor Jahrzehnten vorgeschlagen, als er gegen Ende seines Lebens in Harvard über Literatur und Leben reflektierte. Es sind Lebenshaltungen, die genau das ermöglichen, was Glück schafft. Ich bin im Hier und Jetzt und nehme mir Zeit, die Gegenwart als komplexes Abenteuer zu sehen. Belohnt wird man dabei mit einem Gefühl der Angstlust. Denn natürlich ist dann plötzlich nichts mehr eindeutig, aber dafür abenteuerlich und vieldeutig. Das schafft die Freiheit, in der Gegenwart möglichst nah bei mir zu bleiben, außerhalb der Computer-Logik. Leichtigkeit ermöglicht mir, eine heitere, vielleicht manchmal auch selbstironische Distanz zu allen Problemen zu schaffen, was eben erleichternd ist. Und Liebe bleibt natürlich auch ein Schlüsselwort. Es ist der Schutz gegen Zynismus, Verbitterung, Grausamkeit.

Das wären ja auch alles Tugenden, mit denen man wieder in Kontakt zu den abgeschotteten Menschen in ihren Meinungsblasen kommen kann.
Ich halte nicht so viel von der Idee: "Mit den Rechten im Gespräch bleiben", denn wenn einer die gemeinsame menschliche, demokratische, rechtsstaatliche Grundlage aufgekündigt hat, gibt es keinen Punkt mehr, von dem aus man erst Gemeinsamkeiten schaffen und sich dann ergebnisoffen austauschen könnte. Das gilt übrigens auch für Intellektuelle und Wissenschaftler, die sich ebenfalls oft in selbstverliebte digitale Echoräume auf Twitter und Facebook begeben haben und damit genau das ausschließen, was Wissenschaft eigentlich erst unschlagbar macht. Nämlich den Diskurs im Dialog. Aber wenn ich mit Gegenwärtigkeit, Leichtigkeit und Liebe in der Welt stehe, dann schaffe ich auch für Andersdenkende einen emotionalen Raum, in dessen Richtung er sich öffnen kann, wenn Argumente erst einmal nicht mehr nützten.


Rebekka Reinhard: "Wach denken" (Edition Körber, 200 Seiten, 20 Euro)

Am Mittwoch, 25. November um 18 Uhr, diskutiert Reinhard live mit der Piper-Verlegerin Felicitas von Lovenberg und Zeit-Online-Chefredakteur Jochen über den Wert "wachen Denkens". Zu sehen im Livestream unter www.koerber-stiftung.de oder später in der Mediathek der Körber Stiftung

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