Kritik

Philosophie im Comic: Sokrates will doch nur grillen

Die Zeichnerin Catherine Meurisse entdeckt hinter den Erkenntnissen der großen Denker "Allzumenschliches" - und trifft ins Schwarze
Christa Sigg |
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Catherine Meurisse beamt sich durch die Philosophiegeschichte und trifft bedeutende Vertreter wie Sokrates. Von dem gibt es keine Aufzeichnungen, was man weiß, ist von seinen Schülern überliefert. Und jetzt stellt Meurisse endlich alles klar. Beim Zeus!
DARGAUD 2022, by Meurisse 3 Catherine Meurisse beamt sich durch die Philosophiegeschichte und trifft bedeutende Vertreter wie Sokrates. Von dem gibt es keine Aufzeichnungen, was man weiß, ist von seinen Schülern überliefert. Und jetzt stellt Meurisse endlich alles klar. Beim Zeus!
Was viele nicht wissen: Immanuel Kant stand auf Karaoke. Die Philosophie-Geschichte hat den Mantel des Schweigens darüber gebreitet. Logisch, oder?
DARGAUD 2022, by Meurisse 3 Was viele nicht wissen: Immanuel Kant stand auf Karaoke. Die Philosophie-Geschichte hat den Mantel des Schweigens darüber gebreitet. Logisch, oder?
Feminismus einfach mal umgedreht: Jean-Paul Sartre hat bei Simone de Beauvoir gelernt, wie es so ist mit den Rollen.
DARGAUD 2022, by Meurisse 3 Feminismus einfach mal umgedreht: Jean-Paul Sartre hat bei Simone de Beauvoir gelernt, wie es so ist mit den Rollen.

Natürlich kreisen auch die Großen vor allem um sich selbst und ihre Bedürfnisse. In der Karaoke-Bar schmettert der sonst völlig auf sein Werk fixierte Immanuel Kant am liebsten "Kan't get no satisfaction", und Sokrates will einfach bloß grillen: riesige Rinderkotelettes. Was der Übervater des abendländischen Denkens von sich gegeben hat, weiß man sowieso nur über seine Schüler. Da könnten sich auch Verständigungsfehler eingeschlichen haben.

Für Catherine Meurisse ist das ein gefundenes Fressen. Die Zeichnerin geht den Dingen gerne auf den Grund, um sie lustvoll auf ihrem Rost aus Scherz, Spott und Tiefendeutung zu drehen und zu wenden. Trainiert hat die Französin das beim Satiremagazin "Charlie Hebdo". Bis zum islamistisch motivierten Terroranschlag 2015 war sie dort zehn Jahre lang Redaktionsmitglied.

Nach dem Waxing geht es ins Bett mit Descartes

Die spitze Feder ist geblieben und doch feiner, raffinierter geworden. Besonders, wenn sich Meurisse die Heroinen der Kulturgeschichte vornimmt. Édouard Manets Olympia zum Beispiel will sich unter gar keinen Umständen hochschlafen. Das ist bei einer der prominentesten Kurtisanen der Malerei eine herrliche Haltung. Sie bekommt aber ihre Chance, weil das vom Salonmaler Bouguereau bevorzugte Starmodell unter Heuschnupfen leidet und bei der bald angesagten Plein-Air-Malerei aufgeben muss.

"Olympia in Love" zählt neben "Die Leichtigkeit" mit der Verarbeitung des Charlie-Hebdo-Attentats zum Besten aus Meurisses Bild-Text-Werkstatt. Jetzt sind es die großen Denker, die ihr Fett abbekommen. Einmal im Monat durfte sich die 44-Jährige im französischen Philosophie-Magazin austoben. "Allzumenschliches", frei nach Friedrich Nietzsche, reiht nun 46 dieser vielsagenden kurzen Episoden aneinander, fiktive freilich, bei denen die Meurisse meistens mit von der Partie ist.

Gleich am Anfang liegt sie nach einer selbstironisch fiesen Waxing-Prozedur neben René Descartes im Bett und tauscht sich mit ihm über das viel zitierte Stück Wachs aus, mit dem der die "Einsicht des Geistes" erklärt. Søren Kierkegaard, der wie Caspar David Friedrichs "Wanderer" über einem vernebelten Abgrund taumelt und passend dazu die Angst mit dem Schwindel vergleicht, wird von Meurisse vor dem Absturz bewahrt. Sie löchert Martin Heidegger vor seinem Rückzugshäusle mitten im Schwarzwald zur Theorie des "Daseins" und kapituliert schnell vor der Partizipienreiterei um das Seiende - noch ohne Gendern.

Das ist köstlich, zwischendurch kalauernd, bringt einen aber dazu, mit ihr zu grübeln. Manches gerät etwas verquast, gerade in der Kürze. Wenn Meurisse den feministischen Spieß umdreht, entwickelt sich allerdings großes Philo-Theater. Dann bekennt Jean-Paul Sartre - toll getroffen mit Colabodenbrillengläsern - frei nach Simone de Beauvoir: "Man wird nicht als Mann geboren, man wird es." Und Odysseus wartet 20 Jahre lang stricknadelklappernd auf Penelope, während die sich unterwegs mit diversen Nymphen vergnügt. Der Held hält durch, denn am Ende weiß er die "offizielle Mythologie" auf seiner Seite.

Bei Sokrates sind es Platon und Konsorten, die nicht müde wurden, von dessen hartnäckigen Frage-Attacken zu berichten. Den Athenern ging das auf die Nerven und mehr noch die "Gotteslästerei" und "Verführung der Jugend". Also wurde der Wahrheitssuchenden zum Tode verurteilt. Vielleicht hätten ihn seine Landsleute besser zum Grillabend eingeladen. Mit sehr viel Wein.

Catherine Meurisse: "Allzumenschliches" (Carlsen Verlag, 96 Seiten, 25 Euro)

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