Interview

Ohne Rollkoffer d'Nasn vorn

Die 150. Ausgabe der Zeitschrift "Literatur in Bayern" ist erschienen.
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Gerd Holzheimer.
Gerd Holzheimer. © Carmen Kubitz

München - Ein bisschen staatstragend kommt das Jubiläumsheft daher, Minister und Ex-Minister haben es sich nicht nehmen lassen, für die 150. Ausgabe "Literatur in Bayern" in die kulturelle Zukunft zu blicken. Das vergessen sie im realpolitischen Leben manchmal, aber sei's drum. Der Zuspruch zählt, und in der vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift finden sich ja auch herrliche Sticheleien, etwas vom Lyriker Tobias Roth. Franz Xaver Kroetz' fordert, die Blutenburg endlich als Austragshäusl vom Bayerischen Staat spendiert zu bekommen. Außerdem verzaubert Ulrike Draesners Liebeserklärung an ein Bayern, das sie nicht zu fassen bekommt, "weder in Weiß-Blau noch im Wurstzipfel noch in der Unendlichkeit der Brezenverknotung". Ein Gespräch mit dem Herausgeber, Dauerschreiber und überhaupt Ermöglicher Gerd Holzheimer.

AZ: Herr Holzheimer, das ist doch mal eine sympathische Werbung: "Probeabo abschließen und keinen Rollkoffer bekommen."
GERD HOLZHEIMER: Ja, wir wollen, wenn Sie unsere Eigenanzeige weiterlesen, durch Inhalt eigentlich nicht bestechen, sondern sogar verführen!

Typisch, mit einer jungen Frau.
Einer zigarettenrauchenden jungen Frau aus der Ausstellung "Frau darf..." vor zwei Jahren im Museum Fürstenfeldbruck. Es geht um die ersten Künstlerinnen, die sich an der Akademie einschreiben "durften". In dem Fall war das eher eine politisch emanzipatorische Avantgarde als eine künstlerische. Der Schriftsteller Romain Gary bezeichnet Avantgardisten als Menschen, die nicht genau wissen, wo sie hinwollen, aber als erste da sind. "Wegbereiter" klingt schon besser. Auf gut bairisch heißt es: "D'Nasn vorn ham!" Aber nicht "mir san mir", im Gegenteil: erspüren, wo sich Neuland auftut, Aufbruch - auf dem gesicherten Boden eines Herkommens freilich, dessen man sich gewiss sein kann. Meinethalben mit dem Rollkoffer eines geistigen Unterwegsseins.

Von den Agilolfindern bis zum Poetry Slam ist alles dabei 

Sie bringen heute die 150. Ausgabe heraus und - Hut ab - die wichtigsten Köpfe Bayerns haben zur Feder gegriffen.
Danke für den Hut, und dass die Abendzeitung mit diesem Interview etwas hineinwirft. Was die wichtigsten Köpfe betrifft: Es sind auch viele dabei, die gar nicht wissen konnten, dass sie für uns zur Feder gegriffen haben. Das beginnt bei den Agilolfingern, setzt sich fort über den Domberg von Freising zum Kloster Tegernsee bis zum Poetry Slam unserer Tage. Wir ham einfach ein Pfund, mit dem darf man auch wuchern, wenn's nicht protzert ist, sondern man sich drüber freut.

Wie ist das denn mit dem Bayerischen oder Bairischen?
"Literatur in Bayern" bedeutet Literatur von Autorinnen und Autoren, die hier leben - oder von irgendwoanders her über dieses Land, seine Leute und seine Kultur schreiben. Also gehört zum Beispiel ein Thomas Mann dazu und auch viele Migranten der Gegenwart. Rudi Hurzlmeiers wunderbares Bild vom "Einwanderer" oder "Einwandererland" sagt alles dazu.

Bayrisch gehört laut UNESCO zu den bedrohten Sprachen 

Spielt der Dialekt überhaupt eine Rolle? Und wie ist das mit Schwäbisch, Fränkisch oder Allgäuerisch?
Obgleich es nicht unser Schwerpunkt ist, spielt Dialekt - beim Bairischen sprechen wir von einer "Sprache" - eine Rolle. Und heuer haben wir sogar den "Dialektpreis Bayern" bekommen. Bairisch gehört laut UNESCO zu den bedrohten Sprachen, von daher ist uns das Thema ein Anliegen, wie das aller bedrohten Sprachen. Und das Eigne liegt uns besonders am Herzen: Wir können nur das, was wir selbst können, auch glaubhaft repräsentieren. So befinden sich in unseren Reihen zum Glück Native-Speaker aus dem Altbairischen, also auch dem Oberpfälzischen, dem Schwäbischen und dem Fränkischen, wobei es ja auch d a s Fränkische nicht gibt, aber das führt jetzt zu weit.

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Wie ist das in Zeiten, wo Nationalitäten gerade in der Kultur keine entscheidende Rolle mehr spielen.
Ich habe einmal in meinem Bayern-Lexikon "Denk Dir nix" im Reclam Verlag den Gen-Pool der Bayern als urindoeuropäischspanischskythischlevantinischhunnischslawische Universalnation beschrieben, quasi als ethnische Sauhaufentheorie. Genau das ist es, wir waren noch nie etwas anderes als ein Mischprogramm, und genau deshalb haben wir auch so eine Superkultur: vom Barock über den Blauen Reiter und die Münchner Moderne in Wahnmoching bis zu den vielen Autoren der Gruppe 47.

"Gute Literatur ist immer Grenzüberschreitung"

Im Jubiläumsheft schreibt der im Nahen Osten geborene Münchner Pierre Jarawan über Grenzüberschreitungen.
Literatur ist Literatur. Gute Literatur ist immer Grenzüberschreitung. Und Bildsprache ist Bildsprache: in Worten, in Noten und auch in Comics.

Man kann bei einer bayerischen Literaturzeitschrift durchaus an den "Simplicissimus" denken. Spielt der irgendwo im Hirnkastl der Redaktion eine Rolle, oder ist das Satire-Schnee von gestern?
Satire ist ebenso wenig wie Dialekt unser erstes Anliegen, spielt aber, je nach Schwerpunkt-Thema, immer wieder eine Rolle. So gehören erfreulicherweise auch Menschen wie Gerhard Polt, Christian Springer, Michael Well zu denen, die immer wieder unsere Zeitschrift bereichern. In die Hirnkastl des Redaktionsteams vermag ich Gott sei Dank nicht zu schaun, aber was mich betrifft: das Logo des "Simplicissimus", die rote Bulldogge des Thomas Theodor Heine als löwengroße 3-D-Nachbildung, die 1996 von der Kuppel des Amerikahauses auf die "100 Jahre Simplicissimus"-Ausstellung herabschwebte, steht heute in meiner Bibliothek.

"Literatur in Bayern" ist eine Kulturzeitschrift 

"Literatur in Bayern" ist 1985 aus der Universität heraus gegründet worden, Dietz-Rüdiger Moser war lange Lehrstuhlinhaber für Bayerische Literaturgeschichte. Nun gibt es das Institut nicht mehr. Ein Zeichen?
Die Literatur in Bayern ist seit ihrer Gründung eine "Kulturzeitschrift". Das hängt mit ihrem Begründer Dietz-Rüdiger Moser zusammen, der Volkskundler und Musikwissenschaftler gewesen ist - und in Berlin geboren. Von allem Anfang an also surft diese Zeitschrift nicht im Schatten weiß-blau geringelter Maibäume, und das bei aller Liebe zu ihnen. Das Institut fiel einer universitären Sparmaßnahme zum Opfer, bei der von elf Lehrstuhlinhabern zehn der gleichen Meinung waren, welcher eingespart wird: der Lehrstuhl für Bayerische Literaturgeschichte. Ein Zeichen? Na klar. Die ursprünglich vorgegebene Tradition führen wir als Zeitschrift fort.

Sie arbeiten nicht mehr an der Universität, machen "Literatur in Bayern" seit vielen Jahren ehrenamtlich. Wie finanziert sich das Heft?
Zum Teil durch Abonnenten und Mitglieder des "Vereins der Freunde der Literatur in Bayern e. V", zum Teil durch Stiftungen und Sponsoren. Und ein lebenslang ausgesponnenes Netzwerk führt dazu, dass man in übler Weise ständig Künstlerfreunde ausbeutet: "Hättst Du was für uns?"

Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte: Rudi Hurzlmeiers Kommentar zur Einwanderung.
Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte: Rudi Hurzlmeiers Kommentar zur Einwanderung. © Rudi Hurzlmeier

Jubiläen sind immer auch eine Gelegenheit, über den eigenen Kurs nachzudenken. Sich vielleicht sogar neu zu verorten.
Das tun wir am laufenden Band, da brauchen wir gar kein Jubiläum dazu. Wir sind sozusagen mobile Verorter.

Der Titel mit dem Pink von Rupprecht Geiger ist so energiegeladen, dass es kraftvoll in die Zukunft gehen müsste.
Vielen Dank! Geiger sagte: "Farbe ist mein Thema, Farbe ist mein Motiv". So ist das bei uns mit der Literatur, mit der Kultur insgesamt.


"Literatur in Bayern" für 9 Euro im Buchhandel zu bestellen und unter www.literaturinbayern.de

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