Nichts ist, wie es scheint: „Quert“ von Walter Moers

Um etwas herzustellen steht der Autor Walter Moers gern früh auf und wird zum Schreibtischtäter: Moers: „Er setzt sich an des Tisches Mitte, nimmt zwei Bücher, schreibt das dritte.“ Das ist von Wilhelm Busch, beschreibt meinen Schreibprozess aber sehr treffend.“ Das Ergebnis dieses Prozesses ist der neue Fantasyroman „Qwert“, der im November erschienen ist.
Mit einer Mischung aus kitzeliger Spannung und innerer Unruhe schlägt man dieses Buch auf - voller Erwartungshaltung. Die Erinnerung an viele vorangegangene Geschichten aus der Fantasiewelt Zamonien und die Figuren darin wird lebendig - und dann, nach wenigen Seiten, merkt man: hier ist einiges anders, als gedacht!
Die Erwartung zum Beispiel, dass „Qwert“ ein neuer Zamonienroman ist, erfüllt sich nicht richtig. Denn tatsächlich stammt die Hauptfigur von dem fantastischen Kontinent, den Walter Moers vor 26 Jahren in „Die 13 1/2 Leben des Käpt’n Blaubär“ erschaffen hat. Aber sie ist gleich zu Beginn des Romans in einem wilden Dimensionslochsturz weitergepurzelt und in der neuen, noch unbekannten Welt Orméa gelandet, einem Ort voll von Kristallskorpionen, duellwütigen Rittern und fliegendem Treibsand. Hier ist zwar alles nicht weniger abstrus, als in Zamonien, aber doch etwas anders. Vor allem aber: nicht weniger gefährlich!
Das mit der Liebe ist kompliziert
Und so ist Sorge angebracht - um den Titelhelden Qwert, jenen nicht sonderlich mutigen Gallertprinzen, eine sympathische Nebenfigur aus dem frühen Blaubär-Buch. Aber der Untertitel „Ein Prinz-Kaltbluth-Roman in 43 Aventiuren“ lässt aufhorchen. Geht es hier also um einen Ritterroman?
Und tatsächlich: als Schwindel und Sprachstörung (Nebenwirkungen seines Dimensionslochsturzes) nachlassen, muss Qwert (der sein bisheriges Leben zufrieden in unförmiger Wackelpudding-Gestalt verlebt hat) feststellen, dass er im Körper des Ritterbeau Prinz Kaltbluth steckt.
Wer wie ein Ritterprinz aussieht, von dem erwartet seine Umwelt mutiges, abenteuerlustiges und draufgängerisches Gebaren. Und dann wird man natürlich aufmerksam, als ein Love Interest auftaucht und fiebert fortan: Werden Qwert und Janusa zueinander finden?
So viel sei verraten: es kommt anders, als erwartet. Die Figur, in die Qwert sich verliebt, ist eine sogenannte Janusmeduse, die einerseits zwei Antlitze hat: ein betörend schönes-sympathisches und ein biestig-greisliges. Und sie hat ein wenig liebreizendes Hobby: medusenhaft versteinert sie alles Lebendige. Das mit der Liebe wird also kompliziert.
Das Ideal: Ein Roman ohne Handlung
Was beim Roman „Qwert“ aber am meisten überrascht, befindet sich nicht zwischen den Buchdeckeln, sondern darauf. Seit Jahrzehnten beansprucht Walter Moers ‘kurioses Alter Ego „Hildegunst von Mythenmetz“ die Autorenschaft wichtiger Zamonienwerke, in die er sich selbstbewusst ins Zentrum schreibt. Moers selbst trat nach außen lediglich als „Übersetzer aus dem Zamonischen“ auf. Nun schüttelt er den Pseudonym-Umhang ab und verschafft damit altbekannten Zamoniern und neuen Fabelfantasiefiguren in Orméa einen eigenen Abenteuerspielraum. Und das ist intelligent und anspielungsreich und auf mehreren Ebenen gleichzeitig unterhaltsam - wie in den frühen Werken.
Und wie geht es weiter? Am Ende des nächsten kreativen Prozesses von Walter Moers wird wohl kein weiterer „Qwert“-Roman stehen. Da kehrt er zu den Ursprüngen zurück und die Zamonien-Fangemeinde darf ein mysteriöses Wiedersehen erwarten: „Die Hauptfigur meines nächsten Romans wird voraussichtlich wieder Blaubär sein. Aber in einer Form, in der ihn wohl niemand mehr von mir erwartet. Und die Geschichtenform wird nicht die Heldenreise, sondern ein Horrorroman sein“, erzählt Walter Moers der AZ und fügt hinzu: „Ich würde gerne mal einen Roman schreiben, in dem es keine Handlung mehr gibt, sondern nur Dialoge. Dialoge fallen mir beim Schreiben nämlich leicht, Handlung eher nicht so“.
Walter Moers: „QWERT“ (Penguin, 592 Seiten, 42 Euro)