Kritik

Nicht ohne meine Familie

Paul McCartney und viele andere Beteiligte erzählen in einem sehr unterhaltsamen Buch die Geschichte der Wings
Dominik Petzold
|
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
1971 gründete Paul McCartney mit seiner Frau Linda die Wings. Der Gitarrist und Sänger Denny Laine (rechts) blieb bis zum Ende 1980 dabei, die anderen Musiker wechselten oft. Der Schlagzeuger Denny Seiwell (Mitte) etwa stieg schon 1973 wieder aus.
1971 MPL Communications Ltd / Photographer: Barry Lategan 4 1971 gründete Paul McCartney mit seiner Frau Linda die Wings. Der Gitarrist und Sänger Denny Laine (rechts) blieb bis zum Ende 1980 dabei, die anderen Musiker wechselten oft. Der Schlagzeuger Denny Seiwell (Mitte) etwa stieg schon 1973 wieder aus.
Paul und Linda McCartney mit Fahrrädern auf dem Weg zu einem Konzert auf der Berliner Waldbühne.
imago images/BRIGANI-ART 4 Paul und Linda McCartney mit Fahrrädern auf dem Weg zu einem Konzert auf der Berliner Waldbühne.
Paul McCartney.
imago/ZUMA Press 4 Paul McCartney.
Paul und Linda McCartney.
imago/ZUMA Press 4 Paul und Linda McCartney.

Familie und Job unter einen Hut zu bringen: Vor dieser Aufgabe stehen die meisten Väter von heute. Anfang der Siebziger machten sich viele Männer darüber noch weniger Gedanken, zumal wenn sie von Beruf Rockstar waren. Paul McCartney aber schon, wie er sich in seinem neuen Buch erinnert: „Ich wollte nicht einfach irgendwohin zum Aufnehmen verschwinden, wie ich das bei so vielen Musikerfreunden gesehen hatte - sie ließen ihre Frau und ihre Kinder zu Hause sitzen, nahmen eine neue Platte auf oder gingen monatelang auf Tour. Ich dachte: Wir machen das nicht so, wie es üblich ist. Wir bleiben zusammen und machen zusammen Musik.“

In der Praxis hieß das: Das Popgenie gründete nach Ende der Beatles eine Band mit einer musikalischen Anfängerin, seiner Frau Linda. Anfangs waren auf ihren Keyboard-Tasten bunte Punkte gemalt, mitunter brach sie in Tränen aus, weil sie von Kritikern so viel Spott abbekam. Aber sie zog die Sache tapfer durch, und ihr durchdringender Background-Gesang und ihre Synthie-Motive trugen bald zum speziellen Sound der Wings bei. Und die wurden zu einer der erfolgreichsten Bands der Siebziger.

Ihre Story erzählen Paul McCartney, seine Töchter, die Bandmitglieder und viele weitere Beteiligte und Bewunderer jetzt in dem Buch „Wings: Die Geschichte einer Band on the Run“. Filmemacher Morgan Neville führte mit ihnen Interviews für seinen noch nicht veröffentlichten Dokumentarfilm „Man On The Run“, und der Autor und Historiker Ted Widmer reihte die transkribierten Zitate sehr gekonnt aneinander und schuf so eine mündlich erzählte Geschichte der Wings. Sie liest sich flott und unterhaltsam.

Ein Hippie-Projekt

Paul McCartney startete die Band als höchst exzentrisches Hippie-Projekt: 1972 setzte er die erste Wings-Besetzung - Linda, Denny Laine, Denny Seiwell, Henry McCullough - und seine Kinder in einen Transporter und fuhr einfach quer durch Großbritannien. Sie hielten an Universitäten und fragten, ob sie am nächsten Tag in der Mensa auftreten könnten. Die ungläubigen Studierenden konnten für 50 Pence einen leibhaftigen Beatle erleben - und die Musiker sich abseits der Blicke der kritischen Presse warmspielen.

Paul und Linda McCartney mit Fahrrädern auf dem Weg zu einem Konzert auf der Berliner Waldbühne.
Paul und Linda McCartney mit Fahrrädern auf dem Weg zu einem Konzert auf der Berliner Waldbühne. © imago images/BRIGANI-ART

Drei Jahre und viele Hits später unternahmen die Wings dann die bis dahin größte und erfolgreichste Welttournee überhaupt. Und so erzählt McCartney in dem Buch, wie er mit den Wings noch mal ganz von vorne anfing und sich die Band auf einer „Ochsentour“ hocharbeitete. Er mag das selbst so empfunden haben, und doch wirkt diese Aufstiegsgeschichte ein wenig konstruiert. Schließlich hätte der Weltstar auch gleich große Arenen füllen können, er hatte neben Linda fähige Profis an seiner Seite, und schon die frühen Wings hatten Riesenhits wie „My Love“ und den Bond-Song „Live And Let Die“, den McCartney auf Anfrage innerhalb von 15 Minuten schrieb.

Auch an anderen Stellen wirkt das Buch milde verklärend. Alle Beteiligten reden nur in den allerhöchsten Tönen von Paul, und obwohl die Besetzung der Band häufig wechselte, erfährt man nicht viel von Dissonanzen - abgesehen von einer Ohrfeige des Chefs für den wilden Gitarristen Jimmy McCulloch, der sich einmal keck weigerte, eine Zugabe zu spielen.

Geerdet bleiben

Für Fans ist das Buch dennoch höchst lesenswert, zumal es die exzentrische Seite des kommerziell erfolgreichsten Musikers aller Zeiten beleuchtet: Mal nahmen die Wings ein Album in einem halbfertigen, kläglich ausgestatteten EMI-Studio in Nigeria auf („Band On The Run“), mal auf einem Boot vor den Jungferninseln („London Town“), mal in einem mittelalterlichen englischen Schloss („Back To The Egg“). Für das Cover-Foto von „Wings Greatest“ flogen Grafiker des Studios Hipgnosis mit einem Helikopter auf den Gipfel des Rothorns in den Alpen, um eine Statue im Schnee zu fotografieren. Toll, meinte Paul trocken, aber das Ergebnis hätte man auch mit einem Haufen Salz im Studio hinbekommen.

Einige Exzesse des Seventies-Rock machten die Wings also mit, doch das Buch zeichnet den Megastar auch als Mann, der bewusst daran arbeitete, geerdet zu bleiben. Auf seiner schottischen Farm scherte er die Schafe selbst, und auf US-Tournee übernachtet die Familie einmal im bescheidenen Heim des Schlagzeugers Joe English und aß Hausmannskost. „Dad hat es gern schön schlicht. Nur so hat er die außergewöhnliche Situation durchgestanden, in der er sich fast sein ganzes Leben lang befunden hat“, sagt seine Tochter Mary McCartney.

Paul McCartney.
Paul McCartney. © imago/ZUMA Press

Sie und ihre Schwester, die Modeschöpferin Stella McCartney, waren stets im Tross der Wings. Bei der Aufnahme von „Mull Of Kintyre“ hatten die kleinen Mädchen die Aufgabe, die schottischen Dudelsackbläser mit Getränken zu versorgen - das Bier gab ihr Vater allerdings erst frei, als der Song im Kasten war. Dieser wurde dann zur seinerzeit bestverkauften englischen Single überhaupt und löste „She Loves You“ ab.

Ein Ende in Japan

Den Schatten der Beatles konnten die Wings aber trotz aller Riesenerfolge nie abstreifen - auch nicht in Paul McCartneys Wahrnehmung: In dem Buch schweben die Beatles durchgängig durch die Seiten, der Streit nach der Auflösung und die Versöhnung im Lauf der Siebziger nehmen viel Raum ein, vor allem das Verhältnis zu John Lennon. Als sich dieser und Yoko Ono Mitte der Siebziger getrennt hatten, so schreibt Paul, habe er zwischen den beiden erfolgreich vermittelt. Wenig später kam deren Sohn Sean Ono Lennon zur Welt - und auch er kommt im Buch immer wieder als glühender Verehrer McCartneys zu Wort.

Paul und Linda McCartney.
Paul und Linda McCartney. © imago/ZUMA Press

Der ließ die Wings 1980 einschlafen: Die letzte Band-Besetzung begeisterte ihn nicht, und endgültig verlor er die Lust, als er bei der Einreise zu einer Tournee von japanischen Zöllnern festgenommen wurde, mit einem halben Pfund Marihuana im Koffer.

Neun Tage lang saß er im Knast, ein Wärter urteilt im Buch, McCartney habe „einen guten Eindruck hinterlassen“, aber er war zurecht nervös: Ihm drohte eine siebenjährige Haftstrafe. Doch sein Anwalt und Schwager John Eastman bekam ihn frei. Wie es ansonsten weitergegangen wäre? Da sind sich Vater und Töchter sicher: Linda McCartney wäre mit den Kindern nach Tokio gezogen, um die Familie beisammenzuhalten.

Paul McCartney: „Wings. Die Geschichte einer Band on the Run“ (herausgegeben von Ted Widmer, C.H. Beck, 549 Seiten, 44 Euro).

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.