Neues Buch "Der Osten: eine westdeutsche Erfindung": Grau und humorlos

Dirk Oschmanns Buch "Der Osten: eine westdeutsche Erfindung" arbeitet noch einmal den Beitritt und seine Spätfolgen auf.
Robert Braunmüller
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Vor 1990 der Inbegriff des Ostens: Die Werbung für "Plaste und Elaste aus Schkopau" auf der Transitstrecke zwischen Hof und Berlin.
Vor 1990 der Inbegriff des Ostens: Die Werbung für "Plaste und Elaste aus Schkopau" auf der Transitstrecke zwischen Hof und Berlin. © Foto: Matthes/Imago

Dieses Buch könnte übergangen werden, stünde es nicht auf Platz zwei einer angesehenen Sachbuch-Bestsellerliste. Dirk Oschmanns "Der Osten: eine westdeutsche Erfindung" ist eine Jeremiade über das (angeblich) vom Westen verkannte Beitrittsgebiet.

Autor Dirk Oschmann: Der Westen definiert sich als Norm

Der Titel suggeriert zwar einen mentalitätsgeschichtlichen Ansatz, doch davon ist in diesem Buch nichts zu finden - trotz eines wissenschaftlichen Anstrichs mit Endnoten. Es wird gejammert, doch die Argumentation gerät nicht schlüssiger als in Petra Köppings verwandter Zeterschrift "Integriert doch erst mal uns!"

Vor 1990 der Inbegriff des Ostens: Die Werbung für "Plaste und Elaste aus Schkopau" auf der Transitstrecke zwischen Hof und Berlin.
Vor 1990 der Inbegriff des Ostens: Die Werbung für "Plaste und Elaste aus Schkopau" auf der Transitstrecke zwischen Hof und Berlin. © Foto: Matthes/Imago

Der Westen definiere sich als Norm, findet der Autor, ein in Leipzig lehrender Germanist. "Der Westen", das sind Medien, Politiker, Wirtschaftsvertreter und Wissenschaftler. Sie schreiben - von echter Ortskenntnis ungetrübt - dem Osten einen Hang zum Populismus, mangelndes Demokratieverständnis, den Hang zu Verschwörungsmythen und Armut zu.

Gibt es keine zweistelligen Wahlergebnisse für Rechtsextremisten im Osten?

Schon bei dieser Behauptung reibt man sich die Augen. Gibt es zweistellige Wahlergebnisse für Rechtsextremisten in Sachsen, Thüringen und den anderen einschlägigen Bundesländern gar nicht? Oschmann führt triumphierend ins Feld, dass Björn Höcke aus dem westfälischen Lünen stammt und in Hessen als Gymnasiallehrer arbeitete.

Warum man in Thüringen und Co. solchen Leuten nachläuft, bleibt allerdings unerklärt. Ein Literaturwissenschaftler muss kein Soziologe sein. Aber warum schreibt er dann 200 Seiten über ein Thema, zu dem ihn allenfalls etwas Lebenserfahrung qualifiziert?

Dirk Oschmann idyllisiert die DDR

Nazis sind für Oschmann generell ein Westimport. Auf mehr als einer Seite wirft er der Bundesrepublik eine unbewältigte Vergangenheit vor, ohne die diesbezüglichen Verhältnisse in der angeblich so antifaschistischen DDR auch nur zu streifen.

Er behauptet von sich, ein "bildungsfernes Arbeiterkind" gewesen zu sein. Tatsächlich stammt er aus einem Handwerkermilieu, einer in der DDR dank der Möglichkeiten der Schattenwirtschaft privilegierten Schicht. Und auch an Westpakete erinnert er sich.

Die DDR idyllisiert Oschmann: Mauer und Stacheldraht kommen ebenso wenig vor wie ökologisch ruinierte Landschaften und die wenig produktive, mit Westkrediten am Leben gehaltene Wirtschaft im letzten Jahrzehnt des anderen deutschen Staats.

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Oschmann vermisst, dass sich Deutschland 1990 keine neue Verfassung gegeben habe. Allerdings stimmte der Osten für den schnellstmöglichen Beitritt und die rasche Einführung der D-Mark. Das mag man bedauern, aber an der demokratischen Legitimität für die Wiedervereinigung fehlte es nie.

Oschmann beklagt die (angebliche) Missachtung der DDR-Literatur

Die Folgen dieser Eile sind bekannt. Kritische Stimmen blieben damals ungehört, der Osten rettete mit seinen Stimmen die abgewirtschaftete Regierung Kohl und bekam die Marktwirtschaft samt Treuhand. Die Transferleistungen des westdeutschen Steuerzahlers hält Oschmann - in schlechter Ost-Tradition - allerdings für eine Selbstverständlichkeit, die der Westen offenbar aus der Portokasse bezahlt hat.

Oschmann möchte demokratische Teilhabe auf dem silbernen Tablett serviert haben

Der Autor hat seinen Kindern verboten, Sächsisch zu sprechen, um ihre Karrierechancen nicht zu mindern. Gleichzeitig fordert er aber eine Ost-Quote. Oschmann beklagt die (angebliche) Missachtung der DDR-Literatur, hat sich als Literaturwissenschaftler aber selbst gehütet, darüber zu forschen oder gar Lehrveranstaltungen anzubieten. Eine Bundeskanzlerin und ein Bundespräsident aus dem Osten ist ihm aber auch nicht recht, das Amt eines Bundesbeauftragten für Ostdeutschland hält er für eine Beleidigung.

Ein Paar auf einer der Leipziger Montagsdemos von 1990.
Ein Paar auf einer der Leipziger Montagsdemos von 1990. © picture alliance / dpa

Oschmann möchte demokratische Teilhabe auf dem silbernen Tablett serviert haben. Er unterschlägt, dass man sich überall auf der Welt für Teilhabe auch engagieren muss. Natürlich operiert er mit dem tendenziösen Begriff einer "Spaltung" der Gesellschaft und suggeriert ein Halbe-Halbe-Verhältnis zwischen Ost und West. Tatsächlich aber leben nur 18 Prozent der Deutschen in den neuen Bundesländern (ohne Berlin). Weshalb man durchaus behaupten kann, dass das Thema in seiner Bedeutung aufgeblasen wird.

Gesamtdeutsch ist an diesem Buch vor allem seine Humorlosigkeit

Auf mehreren Seiten schreibt er über einen Streit zwischen dem Maler Neo Rauch und dem Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich, ohne zu erwähnen, wie Rauch Ullrich gemalt hat: auf einem Nachttopf sitzend und mit einer Kackwurst am Hintern - was Oschmann verschweigt, weil es ihm nicht in den Kram passt. Seltsam ist auch, dass ihm als Kulturwissenschaftler entgeht, wie sehr gerade im Theater- und Musikbereich Ost und West zusammengewachsen sind - etwa dank der Hochschule "Hanns Eisler" in Berlin, die sogar ihren alten Namen behalten hat.

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Bei einem Literaturwissenschaftler erstaunt, wie fremd ihm das journalistische wie literarische Stilmittel der Ironie bleibt. Die "taz" hat Oschmann wieder abbestellt, weil er als seriöser Mensch nicht ertragen kann, dass der Sportteil dort mit "Leibesübungen" überschrieben wird.

Der Tonfall des Buchs ist grau wie eine wegen der Transferleistungen nach Osten nicht sanierte Fassade im Ruhrgebiet. Wer hin und wieder mit ehemaligen DDR-Bürgern spricht, kennt alle Themen und Uralt-Missverständnisse, die Oschmann in geballter und leider auch ziemlich bornierter Form auftischt.

Und dann unterbricht man die Lektüre des ärgerlichen Buchs, um sich im Internet zur Erholung über das Zimmerklima beim Wäschetrocknen zu informieren. Und siehe da: In einem öffentlich-rechtlichen Erklärvideo erläutert ein Wissenschaftler mit sächsischer Färbung den Taupunkt. Und man erkennt: Die deutsche Einheit ist längst viel normaler, als ein zum Selbsthass neigender Literaturwissenschaftler in seiner Verblendung glaubt.


Dirk Oschmann: "Der Osten: eine westdeutsche Erfindung" (Ullstein, 222 Seiten, 19,99 Euro)

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  • Holm Krieger am 22.03.2023 09:37 Uhr / Bewertung:

    Diese Artikel ist eine wunderbare Illustration von dem, was der Autor des Buches paternalistische, hegemoniale Sichtweise nennt. Die "westliche" Sichtweise spielt sich als die richtige auf mit der Definitionsmacht über "Demokratie", "Bildung" oder "Kommunikation". Das Buch ist eine (durchaus spürbar genervte) Darstellung des Zustandes. Eines Zustandes, der in jedes wache Auge fällt. Doch ist der erste Schritt zur Lösung eines Problems zu erkennen, dass es eines gibt. Die Abendzeitung bleibt blind (und mit ihr ihre Leser und Leserinnen). Grüße an den Chemnitzer AFD-Direktkandidaten nach München!

  • Junglist am 21.03.2023 20:54 Uhr / Bewertung:

    Man fragt sich ob der Author irgendetwas vom Buch auch nur ansatzweise verstanden hat, er tut alles wie im Buch beschrieben ab, er wertet es ab. Er war.noch nie wirklich in Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg Vorpommern, Thüringen oder Sachsen, so scheint, bestenfalls auf Durchreise. Wenn von Handwerkermileu schreibt begreift man dass er nichts vom Osten weis, so etwas gab es einfach nicht wer er das versteht. Die Eltern waren Metallarbeiter und Kauffrau.
    Auch hat er sich mit dem im Buch geschriebenen nicht ansatzweise auseinandergesetzt, nicht im geringsten für den Artikel recherchiert. Er kennt Demokratie nur aus der Sicht der Altbundesbürger, nicht wie wir beide Perspektiven.
    Im Übrigen haben wir uns die Freiheit und Demokratie erkämpft, und nicht wie der Author auf dem Silbertablett serviert bekommen. Der Artikel ist das schlechteste was mir je untergekommen ist, dagegen ist ein Bildartikel vollendete Kunst.

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