Interview

Neuer Roman von Mario Giordano: Der südliche Blick

Mario Giordano hat einen Familienroman geschrieben: "Terra di Sicilia - Die Rückkehr des Patriarchen" pendelt spannend zwischen Sizilien und München.
| Adrian Prechtel
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Die Kunst des Verkaufens: Südfrüchtestände in der Großmarkthalle, Thalkirchnerstraße, 1951. Da war Barnaba Giordano schon ein halbes Jahrhundert im Müchen-Geschäft.
Die Kunst des Verkaufens: Südfrüchtestände in der Großmarkthalle, Thalkirchnerstraße, 1951. Da war Barnaba Giordano schon ein halbes Jahrhundert im Müchen-Geschäft. © Stadtarchiv

München - AZ-Interview mit Mario Giordano: 1963 in München geboren studierte der Schriftsteller und Drehbuchautor in Düsseldorf Psychologie und Philosophie.

Sein Roman "Black Box" wurde als "Das Experiment" von Oliver Hirschbiegel verfilmt. Neben einer Sizilianischen Krimireihe hat er auch viele Kinderbücher und Kunstbücher für Kinder verfasst.

Sein Urgroßvater wanderte von Sizilien nach München aus und wurde mit dem Handel von Zitrusfrüchten reich: Autor Mario Giordano.
Sein Urgroßvater wanderte von Sizilien nach München aus und wurde mit dem Handel von Zitrusfrüchten reich: Autor Mario Giordano. © Video-Screenshot SWR1 Leute

Vor vielen Jahren hatte er die Idee, die Familiengeschichte der Giordanos aufzuschreiben. Urgroßvater Barnaba stammte aus armen sizilianischen Verhältnissen und stieg zum Südfrüchtegroßhändler auf, der ein wildes Doppelleben führte: in Catania und München. Jetzt ist ein Roman daraus geworden.

Mario Giordano: "München bleibt die nördlichste Stadt Italiens"

AZ: Herr Giordano, der Roman hält die Waage zwischen München und Sizilien. Wäre auf deutscher Seite eine andere Stadt möglich gewesen?MARIO GIORDANO: Einmal davon abgesehen, dass mein Urgroßvater halt in München sein zweites Standbein inklusive zweiter Familie hatte, nein: München bleibt die nördlichste Stadt Italiens. Ich bin einmal eher zufällig über den den Alten Südlichen Friedhof geschlendert. Allein wie viele Italiener da schon im späten 18. und dem 19. Jahrhundert begraben sind - mit Berufsbezeichnungen, an denen man Händler und Staatsbedienstete ausmachen kann. Dass ich meine Hauptfigur Figur, den Südfrüchtegroßhändler und Patriarchen Barnaba Carbonaro, hier 1960 begraben lasse, ist Fiktion. Mein echter Urgroßvater liegt in Sizilien.

Was zu der Frage führt: Was ist wirklich Ihre Familiengeschichte?
Ich habe das, was ich über meine Familie wusste und was ich noch recherchiert habe nur als Inspirationsquelle genommen. Die letzten, die meinen Urgroßvater noch kannten, sind auch verstorben - aber natürlich gab es ihn, wie auch einige alte Fotos aus München zeigen... Auch die erwähnten Artikel in der Abendzeitung über ihn gab es wohl so nicht. Man muss ja eine Romanfigur auch "bigger than life" gestalten und verdichten.

"Ich bin jemand, der gefühlt zwischen den Stühlen sitzt"

Das Sizilienbild von 1890 bis 1960 im Roman ist gleichzeitig romantisch, aber eben auch völlig unsentimental: Alle schlagen Kinder und Frauen, wie Ehemänner oder Priester. Männer wiederum werden auf den Plantagen verprügelt. Es gibt sexuellen Missbrauch, Vergewaltigungen… Dann wiederum die Schönheit der Landschaft. Aber das Leben bleibt hart.
Ich bin jemand, der gefühlt zwischen den Stühlen sitzt - zwischen Deutschland und Italien und da besonders Sizilien als ein Deutschitaliener, der dort viele Sommer verbracht hat, das auch als eine Art Heimat empfinde, aber ich bin eben kein Sizilianer - so wenig wie ich komplett Deutscher bin. Das ermöglicht einen Blick mit viel Wärme, aber eben von Außen und ohne Italienkitsch. Das Brutale und Raue hat sich aber schon gemildert - seit Ende der 1980er Jahre, als Italien erfolgreich war, die Mafia zu bekämpfen, ist Italien doch in der Mitte Europas angekommen, und Sizilien hat natürlich seine archaische Brutalität innerhalb der Jahre, in denen mein Roman spielt, verloren.

Im Roman kommen auch historische Figuren vor, wie der homosexuelle Baron Wilhelm von Gloeden, der in Taormina um die Jahrhundertwende antikisierende Nacktfotografien von Jünglingen machte… War in dieser Hinsicht die sizilianische Gesellschaft liberaler?
Ja. Schon allein, weil Homosexualität nicht strafrechtlich verfolgt wurde. Ich habe anfangs gezögert, diesen Baron als Figur aufzunehmen, weil das ja wie Missbrauch und Ausbeutung aufwerfen kann, die über den Roman hinausgehen. Aber dann bin ich auf ein Buch gestoßen vom Bürgermeister von Taormina und Anthropologieprofessor. Und der hat recherchiert, dass die Gesellschaft dort ein sehr wohlwollendes Bild von diesem Mann hatte und hat, weil er sein ganzes Leben dort verbracht hat, auch Sizilianisch sprach und vor allem, weil er fair war: Er hat die Jungs und Familien an seinen Einnahmen beteiligt, Konten für sie eingerichtet und so einen Teil des Wohlstandes mancher Familien dort geschaffen - auch durch den Tourismus, den er in dieses "Arkadien" angezogen hat.

"Die Familie Carbonaro hat auf München ja auch einen Außenblick"

Im Roman kommen auch die "Patruneddi" vor, Menschen, die oft mit einem Verbrechen und Ort verbunden sind und als Hausgeister Frieden suchen.
In Sizilien gibt es das Sprichwort: "Wir glauben nicht an Hexen, aber es gibt sie natürlich trotzdem". Ich habe mich nach einigem Zögern entschieden, diese traditionellen Gespenster auch auftreten zu lassen, was die Geschichte barocker und magisch-realistischer macht. Sie sind ja auch psychologisch nicht anderes als aus dem Unterbewussten materialisierte Figuren. Und ob sie dann Projektionen der psychischen Energien sind, die in uns allen toben, oder real, das kann dann der Leser für sich entscheiden.

Vorbild für die Romanfigur des sizilianischen Patriarchen: Urgroßvater Barnaba Giordano.
Vorbild für die Romanfigur des sizilianischen Patriarchen: Urgroßvater Barnaba Giordano. © Foto: Privatbesitz Familie Giordano

München wird hier auch bin in die 60er Jahre hinein porträtiert, als joviale, konservativ-liberale Stadt mit Bier und Weißwürsten.
Auch da muss ich mich auf Recherchen und Archive verlassen, weil ich selbst nur als jüngeres Kind zeitweise in München gelebt habe und bei München auf der Grundschule war. Aber es ist keine Stadt, in der ich aufgewachsen bin. Aber ich habe ja Sizilienkrimis geschrieben - die "Tante Poldi"-Reihe -, obwohl ich eben auch kein Sizilianer bin, und das hat mir Selbstvertrauen gegeben, dass man auch von Außen schreiben kann. Und die Familie Carbonaro hat auf München ja auch einen Außenblick, wenn auch nicht den der Gastarbeiter, weil Barnaba Carbonaro ja als Unternehmer hierher kommt und sich in der Westermühlstraße ansiedelt.

Stellen Sie sich denn Ihren Urgroßvater so vor, wie Sie ihn beschreiben haben?
Er war zumindest die Initialzündung, auch weil er eben nicht das Gastarbeiterelend repräsentiert hat, auch wenn er selbst sich noch aus prekären Verhältnissen in Sizilien hochgearbeitet hatte und zwar nicht lesen konnte, aber eben gut rechnen. Das ist erzählerisch zumindest sehr interessant. Aber das Bild, das ich mir aufgrund der wenigen Zeugnisse machen konnte, war dann natürlich nur Grundlage für die Geschichte, wie ich Sie mit vorgestellt, sie ausgeschmückt und verdichtet habe. So wie ich ihm die Idee geschenkt habe, dass man plötzlich begann, Südfrüchte in Seidenpapier zu verpacken, um sie zu Edelprodukten zu machen.

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"Sizilien ist ein barockes farbenfrohes Land" 

Lothar Günther Buchheim zum Beispiel war ein Sammler solcher Orangenpapiere.
Aber ich war auch in Palermo bei einem Südfrüchtekonsortium, wo der Vorsitzende auch diese bedruckten Papiere sammelt und noch die Druckvorlagen hat. Diese Illustrationen waren anfangs eher kindlich, aber Sizilien ist ein barockes farbenfrohes Land. Und man bemerkte das Marketingpotenzial, s dass man Künstler beauftragte: Für die USA druckte man dann Cowboys drauf und für Deutschland zum Beispiel Heidi oder Kasperle.

Viele Volten der Geschichte kann man in so einem Roman nur andeuten. Der Leser weiß dann entweder Bescheid und in ihm laufen weitere Informationen und Bilder ab oder er weiß nicht näher Bescheid und bekommt eine Grundinformation wie zum Flugzeugabsturz auf die Münchner Trambahn an der Paulskirche 1960. Oder zum Wahnsinn, dass die Amerikaner den Vielfachmörder Lucky Luciano aus dem Knast freigelassen haben, weil er als US-Mafioso den Kontakt zur Sizilianischen Mafia herstellen sollte, um in der Bevölkerung den Boden für die Landung der Alliierten auf Sizilien 1943 zu bereiten.
Ich bewundere immer die großen südamerikanischen Autoren, die in ihren Romanen - seien sie groß oder kürzer - auf ein paar Seiten ganze Schicksalswege mit großer Leichtigkeit verdichten können. Und dieser Lucky Luciano ist dann auch erst in hohem Alter im weißen Anzug auf seiner Dachterrasse mit einem Campari in Neapel gestorben.


Mario Giordano: "Terra die Sicilia - Die Rückkehr des Patriarchen" (Goldmann, 544 Seiten, 22 Euro) - am heutigen Dienstag (22. März, 20 Uhr) liest Giordano aus seinem Roman im Literaturhaus. 15 bzw. 10 Euro im Saal, 5 Euro für den Stream; www.literaturhaus-muenchen.de

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