Neuer Roman "Hard Land": Der Spiegel der Jugend

Der Münchner Benedict Wells erzählt in seinem neuen Roman "Hard Land" eine wunderbar vielschichtige Coming-of-Age-Geschichte.
| Katrin Kaiser
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Autor Benedict Wells in seienr Heimatstadt München.
Autor Benedict Wells in seienr Heimatstadt München. © picture alliance / dpa

München - "In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb." Mit diesem Satz beginnt Benedict Wells' neuer Roman "Hard Land", und der Satz ist eine Art Quintessenz der Handlung - ein guter, verheißungsvoller erster Satz also.

"Hard Land" spielt im Sommer 1985 in einer Kleinstadt im US-Bundesstaat Missouri und erzählt die Geschichte eines jugendlichen Außenseiters, der einen Sommer lang neue Freunde findet, sich verliebt, Mutproben besteht und schließlich mit der allumfassenden Trauer um seine liebevolle und charismatische Mutter zurechtkommen muss, die nach langer Krankheit stirbt.

Sehnsüchte statt egozentrischer Eigenerfahrung

Gerade mal 37-jährig hat Benedict Wells mit "Hard Land" nun bereits seinen fünften Roman veröffentlicht. Für sein 2008 erschienenes Debüt "Becks letzter Sommer", das später mit Christian Ulmen verfilmt worden ist, wurde der Autor als literarisches Wunderkind gefeiert. Sein letzter Roman "Vom Ende der Einsamkeit", in dem er die Geschichte dreier vom Unfalltod ihrer Eltern traumatisierter Geschwister erzählt, wurde in 37 Sprachen übersetzt.

Nach eigenen Worten lässt sich Wells beim Schreiben lieber von Sehnsucht als von eigenen Erfahrungen leiten. Das erklärt, warum er seinen aktuelles Buch - wie schon den Vorvorgängerroman "Fast genial" - in den USA verortet und zusätzlich zu einer Zeit spielen lässt, zu der er selbst ein Kleinkind war.

Coming-of-Age-Story voller literarischer Querverweise

"Ich hätte natürlich auch über die Neunzigerjahre in Bayern schreiben können, die ich nur zu gut kenne - nur wäre dieser Roman dann nie entstanden, weil es mich tödlich gelangweilt hätte."

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Das Prinzip Sehnsucht in Kombination mit guter Recherche scheint zu funktionieren: Mit "Hard Land" hat Wells eine ebenso glaubwürdige wie kunstvoll konstruierte Coming-of-Age-Geschichte voller literarischer Querverweise geschrieben.

Ich-Erzähler Sam kämpft stets mit der eigenen Unsicherheit

Der fast 16-jährige Ich-Erzähler Sam fängt mangels besserer Alternativen in den Sommerferien an, in einem Kino zu arbeiten, und lernt dabei die quirlige Kirstie, den stillen Basketballer Hightower und den offenherzigen Industriellensohn Cameron kennen.

Zwischen Partys, Alkohol- und Marihuana-Räuschen und tiefsinnigen Gesprächen hat Sam durch die immer enger werdende Bindung zu diesen drei älteren Freunden ein paar Wochen lang die Zeit seines Lebens, auch wenn er stets mit seiner eigenen Unsicherheit kämpft und die Sorge um seine krebskranke Mutter ihn immer wieder einholt.

Quintessenz: Erwachsenwerden ist verdammt schwer

Erzählweise und Grundstimmung von "Hard Land" erinnern an die Bücher des amerikanischen Jugendbuchautors John Green - und an Wells' eigenen 2011 erschienenem Jugendroman "Fast genial", in dem sich ein Junge auf die Suche nach seinem vermeintlich genialen Vater macht.

Auch als erwachsener Leser ist man bei Green wie bei Wells ganz nah dran an den jugendlichen Akteuren, an ihrer Verletzlichkeit, ihrer Aufrichtigkeit und ihrer Getriebenheit.

Wie in seinen früheren Büchern zeichnet Wells auch im aktuellen Roman den Protagonisten und sein Umfeld mit größter Liebe zum Detail. Seine Figuren sind komplexe Charaktere, mit befremdlich-liebenswürdigen Eigenarten und tief sitzenden Neurosen. Man entdeckt an den Figuren immer wieder neue Facetten, und man spürt ganz unmittelbar: Auch wenn sich hier alle redlich bemühen, bleibt Erwachsenwerden verdammt schwer.

Filme, Popsongs - und Bücher als Reflexionsebene

"Hard Land" ist dramaturgisch sehr schlüssig erzählt. Jedes Detail bekommt im Laufe der Geschichte seine Funktion. Als kleine formale Pointe teilt Wells das Buch wie ein klassisches Drama in eine Fünf-Akte-Struktur ein. Als Metawerk spielt auf verschiedenen Ebenen immer wieder der fiktive Gedichtband "Hard Land" eine Rolle, dessen Autor aus der Heimatstadt des Protagonisten stammt. Einerseits muss Sam das Buch für die Schule lesen, andererseits tauscht er sich immer wieder mit Kirstie über die Bedeutung der Gedichte aus, so dass das Buch im Buch zu einer Art Seelenspiegel der Jugendlichen wird. Überhaupt geht es immer wieder um Filme, Popsongs und Bücher - und um die Bedeutung erster Sätze.

Seinem eigenen klaren, verheißungsvollen ersten Satz, der auf Tod und Liebe verweist, wird "Hard Land" in jedem Fall gerecht. Eine zutiefst berührende und zugleich wahrhaft vergnügliche Lektüre.


Benedict Wells: "Hard Land" (Diogenes, 352 Seiten, 24 Euro)

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