Interview

Neue Quellen: Ludwig II. war unerträglich, ritterlich, reaktionär und schutzlos

Der totale Horrorjob: König Ludwig ließ kaum Menschen an sich ran – bis auf seine Flügeladjutanten. Berichte von ihnen sind jetzt aufgetaucht und erzählen über Ludwig aus nächster Nähe.
Adrian Prechtel
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Fotografien Ludwig II von 1860 bis 1886.
Fotografien Ludwig II von 1860 bis 1886. © Imago / Heinz Gebhardt

Mittlerweile ist fast alles bekannt über König Ludwig II., der am 13. Juni 1886 im Starnberger See einen rätselhaften Tod gefunden hat. Aber immer wieder lässt sich dann doch Unbekanntes aus dem Leben dieses faszinierenden Königs entdecken. Vor wenigen Jahren entdeckte der Ludwig-II.-Sammler Sepp Schleicher den Nachlass eines ehemaligen Flügeladjutanten Ludwigs II. und konnte ihn erwerben. Es handelte sich um 185 Briefe von Major Karl Theodor von Sauer, die dieser in den Jahren 1863 bis 1872 schrieb und darin von seiner Tätigkeit als Flügeladjutant berichtete. Die Briefe enthalten alltägliche und intime Eindrücke über Ludwig. In zweijähriger Arbeit entzifferte Schleicher die Briefe, in denen man dem Alltagsleben des Königs so nahekommt wie sonst selten. Ludwigforscher Alfons Schweiggert hat – zusammen mit dem Sammler Sepp Schleicher – aus diesen Quellen das Buch "König Ludwig II. Flügeladjutanten, Bodyguards, Geheimdienste" verfasst.

Alfons Schweiggert (* 11. Mai 1947 in Altomünster, Oberbayern) ist ein deutscher Schriftsteller und Illustrator und vor allem ein Forscher über Ludwig II.
Alfons Schweiggert (* 11. Mai 1947 in Altomünster, Oberbayern) ist ein deutscher Schriftsteller und Illustrator und vor allem ein Forscher über Ludwig II. © wikipedia

AZ: Herr Schweiggert, liest man die Briefe und Aufzeichnungen, so gibt es vor allem zwei Dinge, die auffallen: Ludwig war anscheinend gar nicht der verdruckst Schuldige, der die Verlobung mit Prinzessin Sophie aufhob, sondern es war sie! Und die Homosexualität des Königs war ein sehr offenes Geheimnis.
ALFONS SCHWEIGGERT: Ja, Sauer berichtet relativ unverblümt darüber: Ausritte und nächtliche Feiern mit den "Rössern", was die Stallknechte und Rittmeister meinte. Dann gibt es die Begegnung mit der von Ludwig mütterlich verehrten Zarin Maria Alexandrowna 1868, die bei Ludwig zeitweise eine Lebensumstellung bewirkt. Sie warf ihm in einer "eiskalten" Zurechtweisung neben seinem Richard-Wagner-Fimmel seine "Stallknechtlieben und Einsamkeit" vor. Es war also alles allen bekannt.

Getreu bis zuletzt: Alfred Graf Eckbrecht von Dürckheim-Montmartin.
Getreu bis zuletzt: Alfred Graf Eckbrecht von Dürckheim-Montmartin. © Foto: Sammlung Sepp Schleicher

Und die Auflösung der Verlobung mit Sophie?
Die offizielle Sicht war bis heute so: Ludwig verlobt sich leichtsinnig mit seiner Cousine Sophie, die ebenfalls für Richard Wagner schwärmt. Dann verschiebt der König immer wieder den Hochzeitstermin und schreibt der "armen" Braut am 7. Oktober 1867 einen Abschiedsbrief. Aber aus der Quellenlage wird immer deutlicher, dass Sophie in der Verlobungszeit eine Liaison mit dem Hoffotografen Hanfstaengl hatte, die ins öffentliche Gerede kam und jetzt per weiteren Zeugnissen bewiesen werden kann.

Warum sind die Aufzeichnungen von Flügeladjutanten wie Sauer für die Sicht auf Ludwig so wichtig?
Sie waren die einzigen, die dem König wirklich nahe und eigentlich zu totaler Verschwiegenheit verpflichtet waren, woran sich aber nicht alle hielten. Natürlich gab es auch Lakaien und Kammerdiener, die in den Schlössern und bei den Ausflügen anwesend waren. Kontakte zur Regierung herzustellen, war wiederum die Aufgabe der Kabinett- und Hofsekretären, die allerdings nur von Zeit zu Zeit zu Vorträgen von Ludwig empfangen wurden, was alle Regierungsmitarbeiter extrem nervte. Spannend sind also die von Ludwig persönlich ausgesuchten Flügeladjutanten. Denn sie waren seine Vertrauten. Aber sie hatten einen Horrorjob: Tag und Nacht dem König zur Verfügung stehen, den vom König so vermiedenen Kontakt zu Außenwelt organisieren – und dann die Extremtouren: Ausritte von vielen Stunden. Bei einem hätte Ludwig fast seinen Adjutanten Paul von Thurn und Taxis umgebracht, als sein Pferd auf ihn stürzte. Und dann war es eine ständige emotionale Achterbahnfahrt: mit Geschenken überschüttet, dann wieder gemaßregelt, das ständige Misstrauen des Königs vergiftete die Atmosphäre – und er wollte Freundschaft und gleichzeitig absolute Untergebenheit. Das alles setzte die Flügeladjutanten unter Dauerstress.

Paul von Thurn und Taxis war von 1864 bis 1866 Flügeladjutant und fiel in Ungnade.
Paul von Thurn und Taxis war von 1864 bis 1866 Flügeladjutant und fiel in Ungnade. © Sammlung Sepp Schleicher

Interessant ist auch, dass Ludwig ständig Angst hatte, es würde ein Attentat auf ihn verübt.
Aber das war keine Paranoia! Als Warnung dienten ihm geglückte Anschläge etwa auf Zar Alexander bzw. Attentatsversuche auf Kaiser Franz Joseph, Bismarck und Kaiser Wilhelm I. Auch Ludwig bekam Drohbriefe. Und er hatte eben keine Bodyguards. Er befürchtete seine Entmachtung, Aufstände, fürchtete Anarchisten und Sozialisten.

Wilhelm Schenk Freiherr von Stauffenberg diente Ludwig von 1873 bis 1879.
Wilhelm Schenk Freiherr von Stauffenberg diente Ludwig von 1873 bis 1879. © Wikepedia

Aber waren die Flügeladjutanten nicht auch seine Leibwächter oder Bodyguards?
Die waren dazu gar nicht ausgebildet oder vorbereitet. Nein, Ludwig II. hatte keine Leibwächter, Bodyguards oder Personenschützer. Wohl deshalb gab es Bestrebungen des Königs, einen Geheimdienst einzurichten.

Wollte Ludwig II. tatsächlich einen Geheimdienst einrichten?
Zwischen 1869 und 1883 beabsichtigte Ludwig tatsächlich einen Geheimbund einrichten zu lassen, dem er den Namen "Coalition" gab. Als Vorbild diente dem König eine russische Geheimorganisation, die den Schutz des Zaren zu gewährleisten hatte.

Getreu bis zuletzt: Alfred Graf Eckbrecht von Dürckheim-Montmartin.
Getreu bis zuletzt: Alfred Graf Eckbrecht von Dürckheim-Montmartin. © Sammlung Sepp Schleicher

Was für Aufgaben waren dem königlichen Geheimdienst zugedacht?
Die "Coalition" sollte den Schutz des Königs gewährleisten und die durch die Stärkung Preußens hervorgerufene Rangminderung des bayerischen Königs und Bayerns verhindern. Dieser Geheimbund sollte vor allem die Idee des absolutistischen Königtums in der Bevölkerung neu verfestigen. Deshalb wollte der König die Presse überwachen lassen und die Verbreitung von Gerüchten gegen ihn unterbinden. Der Einfluss der von Preußen bezahlten Redakteure und Korrespondenten sollte reduziert und dem König feindlich gesinnte Personen und Vereine aus dem Verkehr gezogen werden. Dazu hatte man schon im Schloss Pähl beim Ammersee Geheimtreffen veranstaltet und sogar schon Gefängniszellen im Kellergeschoss eingerichtet.

Aber das Ganze hatte ja keinen großen Erfolg.
Nein, der "Coalition" gelang es in 14 Jahren nie, sich zu entfalten. Ludwigs Versuch, eine "geheime Privatpolizei" zu installieren, wurde übrigens als wahnwitziges, verfassungswidriges Vorhaben und damit als untrügliches Symptom seiner geistigen Erkrankung gewertet.

Witzig ist im Buch das Treffen zwischen Kaiser Wilhelm und König Ludwig beschrieben.
Ludwig hatte eine Abneigung gegen den "Heldenkaiser" und die "räuberische Hohenzollern-Bagage". Das beschreibt Adjutant Sauer wunderbar, der selbst kaisertreu war. Dann setzt der Kaiser ein Treffen in Schondorf und Regensburg durch, weil er auf dem Weg zur Kur nach Bad Gastein war. Ludwig wollte den Kaiser in zivil treffen und eine Uniform nur anziehen, falls der Kaiser in Uniform erschiene. Umgekehrt hatte der Kaiser für sich kurz zuvor in Erfahrung bringen lassen, dass Ludwig in zivil erscheinen würde. So zogen sich beide noch in ihren Zügen schnell um: Ludwig legte eine preußische Uniform an, der Kaiser legte seine ab. Das alles habe zu einer amüsierten und entspannten Situation beigetragen, als man die beiden Züge verkuppelte und zusammen nach Regensburg weiterfuhr.

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Geht womöglich das bis heute rätselhafte Ende Ludwigs II. im Juni 1886 auf das Versagen der Personenschützer zurück?
Ja, Ludwigs II. Tod wäre bei einem ausreichenden Personenschutz sicher zu verhindern gewesen. Aber nicht nur das vom König in einer "Gegenproklamation" aufgerufene bayerische Volk verweigerte die Hilfe, sondern ebenso Ludwigs Lieblingsvetter Prinz Ludwig Ferdinand, dem der König einen Hilferuf sandte. Auch die herbeigerufene Feuerwehr und Gendarmerie versagten in Neuschwanstein und das angeblich aufständische Volk zog sich kleinlaut zurück. Selbst Ludwigs letztem Flügeladjutanten Graf Dürckheim-Montmartin gelang es nicht, den König vor seinem Ende zu bewahren. Und glänzte nicht auch die Gendarmerie-Patrouille im Schlosspark Berg durch Untätigkeit, als der König zu Tode kam?


Alfons Schweiggert / Sepp Schleicher: "König Ludwig II. – Flügeladjutanten, Bodyguards, Geheimdienste" (Battenberg, 160 Seiten, mit Abbildungen, 19,90 Euro)

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