"Ministerium der Träume": Zoff zwischen den Generationen
Mit ihrer "taz"-Kolumne "All cops are berufsunfähig", die - nach konservativer Lesart - Polizisten zu Müll erklärt haben soll, löste sie im vergangenen Juni fast eine Staatskrise aus. Zwischenzeitlich machte Hengameh Yaghoobifarah auch Werbung für Markenklamotten. Wenn eines dieser Fotos irgendwo auftaucht, erklären einem ältere weiße Geschlechtsgenossen ungefragt, was sie davon halten, dass sich die 30-jährige Journalistin und Autorin aus Kiel als geschlechtlich nichtbinärer Mensch versteht.
Hengameh Yaghoobifarah hat Roman "Ministerium der Träume"geschrieben
Nun hat Hengameh Yaghoobifarah ihren ersten Roman geschrieben. Der eine oder andere Markenname fällt, ohne dass von Product Placement ausgegangen werden müsste. Die deutsche Polizei kommt auch vor: in Gestalt zweier Beamter, die den Tod der Schwester der Ich-Erzählerin sogleich mit Clankriminalität in Verbindung bringen und einfach zu faul sind, sich den im Vergleich zu Yaghoobifarah simplen persischen Familiennamen Behzadi zu merken.
Auch wenn das Buch teilweise in der Geburtsstadt seiner Autorin spielt, dürfte es nur in Spurenelementen autobiografisch sein. Hengameh Yaghoobifarahs Eltern sind Apotheker, sie selbst hat Medienwissenschaft studiert. Die Figuren des Buchs sind trotz Abitur keine Akademiker geworden, ziemlich abgestürzt und prekär beschäftigt. Die Frage der Geschlechtsidentität spielt in "Ministerium der Träume" auch keine Rolle: Die Ich-Erzählerin ist eine Lesbe ohne Wenn und Aber, die als Türsteherin einer queeren Bar in Berlin arbeitet.
Coming-of-Age-Geschichte in Yaghoobifarahs Roman
Voyeure seien gewarnt: Sex hat die bindungsscheue Hauptfigur nur einmal, und der wird keusch beschrieben. Das Buch streift zwar die (post-) migrantischen Problemfelder, aber Hengameh Yaghoobifarahs Roman ist in erster Linie das, was man eine Coming-of-Age-Geschichte nennt: Sie erzählt vom Erwachsenwerden in einer Kieler Hochhaussiedlung und dem Stress mit Eltern, der auch deutschen Jugendlichen nicht erspart bleibt.
Hengameh Yaghoobifarah huldigt, wie es bei solchen Büchern Pflicht ist, der Popmusik ihrer Generation. Die Hauptfigur raucht exzessiv und konsumiert Drogen. Das eine oder andere Wort müssen ältere weiße LeserInnen womöglich im Internet nachschlagen. Und es wird rotzig gesprochen, wie es Privileg der Jugend ist.
Buch erzählt in einer Engführung zweier Generationen vom Erwachsenwerden
Gelungen ist das Buch insofern, als es in einer Engführung zweier Generationen vom Erwachsenwerden erzählt. Während die nicht übermäßig lebenstüchtige Ich-Erzählerin anlässlich des mutmaßlichen Selbstmords ihrer Schwester in der gemeinsamen Jugend kramt, hat sie sich als Vormund und Bezugsperson mit ihrer 15-jährigen Nichte auseinanderzusetzen, zu der sie ebenso wenig Zugang findet wie ihre eigene Mutter zu ihr.
Dieses doppelte Unverständnis ist solide in Szene gesetzt, wobei die psychologische Seite dominiert. Dass die Autorin Anekdoten aneinanderreiht und auf Entwicklungen weitgehend verzichtet, mag dem Debüt geschuldet sein. Situationen wie der typische Elternabend und die Sprachlosigkeit zwischen Mutter und Tochter werden treffend geschildert.
Dass die Ich-Erzählerin als Kind mit ihrer Mutter aus dem Iran nach Deutschland floh und ihr Vater als Oppositioneller vom Regime hingerichtet wurde, bleibt ein Randthema. Das gilt auch für die gegen Ende auftretenden Nazi-Schläger. Sie sind, wenn man an die politische Wirklichkeit der letzten Jahre denkt, bloße Staffage, die ähnlich stiernackig auch in einem "Tatort"-Krimi vorkommen könnte.
Die Ich-Erzählerin leidet selten an Deutschland und kaum an ihrer verlorenen Heimat. Sie ist selbst ihr größtes Problem, weil sie auch mit 40 Jahren unerwachsen wirkt, ihre Bindungsunfähigkeit hinter ruppiger Coolness versteckt und an ihrem komplizierten Verhältnis zu Mutter und Schwester und der allgemeinen existenziellen Ortlosigkeit leidet, ohne sich daraus befreien zu können.
Deutsche treten eher eher als Karikaturen auf
Als Coming-of-Age-Geschichte ist der Roman gelungen, als Lagebeschreibung der zweiten Generation Zugewanderter taugt er wenig, weil die Autorin ihre Ich-Erzählerin kaum aus der Blase ihrer Familie und dem migrantischen Umfeld hinaustreten lässt. Deutsche treten - wie eine Lehrerin mit dem unvermeidlichen superdeutschen Doppelnamen - eher als Karikaturen auf. Aber verletzend oder gar wütend ist das nicht geschrieben. Das Reihenhaus, in dem zwei ehemalige Mitschüler vorbildlich assimiliert leben, wird in seiner Familienharmonie am Ende fast zu einem Sehnsuchtsort.
Die anfangs zäh in Bewegung kommende Handlung beschleunigt sich gegen Ende, wobei sich die Autorin als Virtuosin des Cliffhängers am Kapitelende erweist. Aber Hengameh Yaghoobifarah hat letztendlich viel zu viel Respekt vor dem Kulturgut Roman, um richtig loszulegen. Über Körperpolitik, nervige Deutschness, Ausländerfeindlichkeit und linke Spießigkeit hat sie andernorts viel schärfer geschrieben.
Hengameh Yaghoobifarah: "Ministerium der Träume" (Blumenbar, 381 Seiten, 22 Euro, auch als E-Book)