Meisterliche Mini-Dramen von Max Goldt

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Warum freut man sich, wenn es neue Texte von Max Goldt gibt? Weil sein Schreiben uns noch nie, wirklich noch nie enttäuscht hat. Es gibt von ihm eine stattliche Anzahl herausragender Texte, sehr viele großartige, so manchen guten.
Für jüngere Leser: Max Goldt war lange Jahre der Grund, weshalb man die „Titanic“ kaufte, wir verdanken ihm so schöne Begriffe wie die im Badezimmer glücklicherweise längst ausgestorbene, in ihrer sprachkreativen Schönheit aber unsterbliche „resttröpfchengetränkte Klofußumpuschelung“. Und wir rufen es seit Jahrzehnten in die Klassenzimmer der Republik hinein: Wer schreiben lernen will, der soll Max Goldt lesen (fürs Psychologisch-Technische auch Wolf Schneider, aber der ist nicht komisch). Goldts Texte sind frei von Geschwätz, jedes Wort sitzt.
Wissenswertes über die Platzierung des Signiertisches
„Aber?“ enthält 21 Texte, von denen nur einer - „Wie er den Stift hält!“ - bisher in einem Buch erschienen ist: als ein Beitrag zu „Die ideale Lesung“ (2017) von Klaus Siblewski und Hanns-Josef Ortheil. Das wurde aber, wie Goldt selbst schreibt, kaum beachtet. Und heute ist es höchstens noch antiquarisch zu haben. Das ist bedauerlich.

Erfreulich ist also, dass man den Text trotzdem noch lesen kann. Wir erfahren unter anderem von den Herausforderungen von Auftritten in der Provinz: „Ich hatte schon Wespenattacken, Besucher mit Tourette-Syndrom, die unkontrolliert schlimme Wörter ausstießen, auf die Bühne springende Riesenhunde, explodierende Lampen und Boxen, die plötzlich so laut zu brummen begannen, dass das Publikum aufschrie wie in einem Katastrophenfilm.“
Frauenfußball klingt wie Kinderfreibad
Wichtig, so lernen wir aus dem Text weiter, ist die Platzierung des Signiertisches: „In einem seiner Tagebücher beklagte sich Walter Kempowski mehrmals über die ,Zahnarztgattinnen‘, die beim Signieren hinter ihm standen und launig-herablassende Kommentare abgaben. Sie existieren wirklich!“
Gleich im ersten Text schreibt Goldt von seiner Abneigung gegen die Homo-Ehe (wie auch gegen die Institution der Ehe überhaupt) und den Frauenfußball. Er möge an Fußballspielen immerhin die „an- und abschwellende Soundkulisse bei großen Spielen“. Die kriege man bei Frauenfußball freilich nicht geboten: „Diese Spiele klingen, als ginge man an einem heißen Sommertag an einem Kinderfreibad vorbei.“
Max Goldt, geboren 1958, ist ein Meister der Szenen und Dialoge. Manche sind als Miniaturen in Prosatexte eingeflochten, andere Texte sind reine Dramen. „Mit Fjutscherinchen in die Mittelfrist“ ist die Dramenfassung eines Comics des Duos Katz und Goldt aus dem Jahr 2018: die Reise in eine Zeit der Herrschaft des weiblichen Fettes. „Die Büchse der Pandora“ lässt eine Kinderführung im Museum mit den Sprösslingen woker Eltern dramatisch aus dem Ruder laufen. „Sterbeszene“ ist ein dramatisches Kompakt-Kammerspiel: Fünf „sogenannte Angehörige“ sitzen um einen älteren Herrn herum, der im Bett seiner Erlösung entgegendämmert. Und sie reden über ihn in Goldtscher Weltklasse-Pietätlosigkeit.

Einer der für Max Goldt ungewöhnlichsten, weil persönlichsten Texte ist „Erinnerungen an einen Raufbold und angeblichen Feind“ - eine Art Nachruf auf den Wiglaf Droste, mit dem Goldt im Herbst 1991 auf zweiwöchiger Lesereise war. Für eigene Lesereisen waren beide noch zu unbekannt, gemeinsam reisten sie also durch den Norden und Westen der Republik. Goldt nennt Droste seinen „sonderbaren Kollegen“, einen „Polemiker, Rabauken und professionellen Aufbrauser“, der mit seiner Unzuverlässigkeit gerne mal eine Lesung sprengte.
Kichernd aufgeregtes Desinteresse
Mit Droste lebte Goldt aber auch ein „verspätetes Klassenfahrt-Gefühl“ aus: „Wir hatten viel Spaß im Auto, wir sangen, bekrähten kritisch die Nachrichten im Radio und schnabulierten vornehmlich Tankstellen-Kekse und anderen Autobekrümelungs-Unrat, wir lästerten, parodierten Hitler, indem wir uns, Kastanien zwischen Oberlippe und Nase klemmten, stopften unserem Fahrer bei 150 Stundenkilometern faustgroße Mengen Haribo-Produkte in den Mund und pinkelten in Böschungen.“ Schönste Jungkünstler-Phantasien.
Bei der Beschreibung von Goldts Kunst greifen Journalisten und Veranstalter immer wieder zu der Formulierung, er schildere die „Absurditäten des Alltags“ - auch darüber macht der Autor gleich einen Text.
Wie Goldt sich überhaupt immer wieder auch als Medien- und Sprachkritiker betätigt. Er tadelt in „Petra Gerster vs. David Bowie“ die Nachrichten, die nach dem Tod Bowies gedankenlos den Wikipedia-Eintrag übernehmen und den „Maler, Schauspieler, Sänger“ im Nachruf als „wahres Multitalent“ bezeichnen: Als wahres Multitalent könne man ein Kind loben, das „eine einwandfrei aus Legosteinen zusammengebaute Elbphilharmonie präsentiert und gleichzeitig ein Gedicht aufsagt“. Bei einem Künstler, der von vielen als bedeutendster seiner Epoche gesehen wird, klinge „wahres Multitalent“ „herablassend, ignorant und läppisch“.
Und er beklagt Journalisten, die ahnungslos und unvorbereitet zu Künstler-Interviews kommen. Hier trifft es eine junge Frau vom „Spiegel“, die auf den Sänger Morrissey losgelassen wurde. „Das Fürchterliche an dem Interview war die sprachliche Unbedarftheit der jungen Dame, die ohne Sinn und Verstand nach Los Angeles geschickt worden war, um dort ihr kichernd aufgeregtes Desinteresse an ihrem Interviewopfer zu demonstrieren.“
Vielleicht gibt Max Goldt aus diesem Grund keine Interviews. Aber zum Glück gibt es aber nun dieses Buch.
Max Goldt: „Aber?“ (dtv, 160 Seiten, 24 Euro) Buchpräsentation: 9. Oktober,
Einlass, 18 Uhr, Beginn, 20 Uhr, Lustspielhaus, 29 Euro, www.
muenchenticket.de
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