Mareike Fallwickls neuer Roman "Und alle so still"
Ihr Roman "Die Wut, die bleibt" war 2022 so etwas wie ein empowernder Aufschrei, ein Buch von einer seltenen und seltsamen Intensität, ein einziger Protest gegen das Patriarchat, gegen eine Familien- und Gesellschaftsordnung, in der Männer vor allem mit ihrer Außenwirkung, Frauen vor allem mit Überleben beschäftigt sind.
"Haben wir kein Salz?" Diese Frage, gestellt vom Vater beim Abendessen, wurde zum Auslöser einer Katastrophe. Auf nur einer Seite schildert die Salzburger Autorin Mareike Fallwickl das gesamte Drama der immensen Belastung eines Alltags mit kleinen Kindern, die - noch immer - viel zu oft an den Müttern hängen bleibt, weil die Väter "arbeiten müssen".
Helene hört aus der Frage nach dem Salz ein "du" heraus, das sich in eine ganze Reihe "dus" einreiht, die allesamt Forderungen an sie sind und in eine einzige große Überforderung münden, in der Johannes, der Vater, ihr kein gleichberechtigter Partner ist.
Die schwierige Care-Arbeit
Wie da immer nur Lärm ist und niemals Ruhe; wie rund um die Uhr die Kinder an ihr kleben und sie niemals alleine ist; wie ein Tag dem anderen gleicht und sich endlos vor ihr ausbreitet, voll mit dem Wollen der anderen. Die Frage nach dem Salz also wird zum Auslöser einer Katastrophe, die sich lange angebahnt hat. Helene steht wortlos vom Tisch auf, geht zum Balkon und springt.

Selten oder nie war ein Romananfang so dicht und intensiv wie dieser, war das Drama eines ganzen Lebens (und das einer ganzen Familie) so präzise auf den Punkt gebracht. Was folgte, war die "Zeit ohne Mama". Nicht nur die quälende Frage nach dem Warum und die Schuldgefühle, sondern auch die Lücke, die Helenes Tod reißt. Eine Lücke, die deutlich macht, dass diese Gesellschaft noch immer wenig Alternativen bietet zur Care-Arbeit von Müttern. Das Buch erzählte vom "Danach" aus zwei wechselnden Perspektiven: der von Helenes ältester pubertierender Tochter Lola und der von Helenes bester Freundin Sarah.
Figuren im Alltag
Anhand dieser beiden Frauen erzählte Fallwickl zwei sehr unterschiedliche Reaktionen auf die Situation: Während Sarah selbstverständlich funktionierte, radikalisierte sich Lola im Kampf für Geschlechtergerechtigkeit. Eine wirkliche Lösung für all diese Probleme hatte "Die Wut, die bleibt" natürlich leider nicht, es war eher eine Bestandsaufnahme. Und genau an die knüpft nun Fallwickls neuer Roman an, der schon im Titel eine entgegengesetzte Richtung anschlägt: "Und alle so still" heißt er.
Drei Figuren folgt die Autorin durch ihren Alltag, die auf den ersten Blick gar nicht so viel miteinander zu tun haben: Elin arbeitet als Influencerin und wohnt im Wellness-Hotel ihrer Mutter. Nuri hat die Schule abgebrochen und kämpft sich als Fahrradkurier, Bettenschubser und Barkeeper durch Tag und Nacht. Ruth arbeitet als Pflegekraft in einem Krankenhaus bis zur Erschöpfung. Beim näheren Hinsehen treten dann doch Gemeinsamkeiten und Beziehungen zwischen diesen Figuren ans Licht, strukturelle, biographische wie verwandtschaftliche. Da ist Elin, die bei ihrer Mutter ohne Vater und Beziehung zu anderen Verwandten aufwuchs, weil das der Vorstellung von Unabhängigkeit ihrer Mutter entsprach. Ruth, die Elins Tante ist und sich nie aus der Dominanz ihres Arzt-Vaters befreien konnte. Und Nuri, der seine Mutter aus der toxischen Beziehung mit seinem Vater befreien will. Sie alle haben Gewalt erlebt, psychische und physische, und sie alle haben keine Lobby.
Wenn Pflegekräfte rebellieren
Fallwickl begibt sich tief hinein in diese sonst unsichtbaren Leben am Rande. Wie bereits in ihrem ersten Roman zieht sie einen hinein in die Welten ihrer Figuren, in die sie sich recherchierend hineingefuchst hat. Wo die jungen Frauen im Vorgängerbuch eskalieren und auf Gewalt mit Gewalt antworten, breitet sich hier ein stummer Streik aus.

Ausgehend von Pflegekräften im Krankenhaus legen sich immer mehr Frauen (und Männer) im stummem Protest vors Krankenhaus. Es werden immer mehr, und das System, das auf ihrer zu großem Teil unbezahlter Arbeit aufbaut, bricht von innen heraus zusammen. Fallwickls Buch ist ein großes "Was wäre, wenn?", sie spielt diesen Gedanken durch und baut ihn aus, lässt auch Figuren aus "Die Wut, die bleibt" wieder auftauchen.
Leider bleibt hier allerdings alles deutlich konstruierter und man spürt dem Roman ein wenig an, dass die Figuren eher Erfüllungsgehilfen der Grundidee "Was wäre, wenn all die Unterbezahlten und Überarbeiteten in den Streik treten würden?" sind als wirklich eigenständige Charaktere. Auch wenn die Handlung also nicht ganz so in ihren Bann zieht wie bei "Die Wut, die bleibt": Auch bei diesem Buch bleibt etwas hängen, hallt nach. Das Bewusstsein, dass etwas schief läuft. Und der Aufruf zu mehr Solidarität.
Mareike Fallwickl: "Und alle so still" (Rowohlt, 368 S., 23 Euro). Die Autorin stellt ihr Buch am 6. Juni im Literaturhaus vor
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