Kritik

Marcel Prousts Mädchen für alles

Hätte der Schriftsteller Proust jemals den Prix Goncourt ohne seine Haushälterin erhalten? Das fragt man sich ganz ernsthaft beim Blick in Chloé Cruchaudets famose Graphic Novel über die einfühlsam kluge Céleste
von  Christa Sigg
Marcel Proust wäre ohne Céleste aufgeschmissen. Ihr kann er sich mitteilen, sie hört geduldig zu - und packt nicht nur beim anstehenden Umzug an.
Marcel Proust wäre ohne Céleste aufgeschmissen. Ihr kann er sich mitteilen, sie hört geduldig zu - und packt nicht nur beim anstehenden Umzug an. © Chloé Cruchaudet in „Celeste. Es wird Zeit, Monsieur Proust“, Insel Verlag

Linkes Seine-Ufer? Mon dieu, das geht gar nicht. „Maman“ habe ihn zu sehr verwöhnt, erklärt Marcel Proust, der gerade von einer Schale Himbeereis kostet. Im Bett natürlich, wie ständig in den späten Jahren. Ohne seine Haushälterin wäre er ohnehin verloren. Das wird im zweiten Band über das Verhältnis des Schriftstellers und der in die Literaturgeschichte eingegangenen Céleste Albaret endgültig klar. Denn mittlerweile sind die finanziellen Polster dahingeschmolzen, und das im wahrsten Sinne des Wortes himmlische Mädchen für alles darf sogar nach einem neuen „Nest“ Ausschau halten.

Ein Schwächeanfall? Céleste ist zur Stelle und päppelt Marcel Proust wieder auf.
Ein Schwächeanfall? Céleste ist zur Stelle und päppelt Marcel Proust wieder auf. © Cloé Cruchaudet in „Céleste. Es wird Zeit, Monsieur Proust“, Insel Verlag

Céleste erträgt dieses „eigenwillige, geniale Kind“

Chloé Cruchaudet nimmt diese Alltagsmalaise zum Anlass, nicht nur einen Blick auf den verzärtelten Dichter-Schnösel zu werfen, auf sein Kränkeln und all die irrwitzigen Gepflogenheiten, die Céleste mit einer Engelsgeduld erträgt und ermöglicht. Mit aquarellhafter Eleganz und beträchtlichem Esprit lässt die Zeichnerin in ihrer Graphic Novel auch das Paris der 1910er Jahre aufleben. Also die Mode, die Architektur und die bourgeoisen Interieurs mit diesem Zuviel an Staub, der dem Asthmatiker Proust mächtig zusetzt. Freilich ohne sich davon distanzieren zu können. Und noch weniger zu wollen.

Er braucht das mondäne Umfeld, das Gepäppeltwerden mit aufwendig gebrautem Kaffee samt Croissant und das Gefühl, ganz außerordentlich zu sein. Mehr noch: „Proust kann die unbedeutendsten Dinge tun, man meint, man sieht den gesamten Adel Frankreichs in jeder seiner Bewegungen“, resümiert Céleste. Nur einmal streikt die Fee - um doch wieder zu diesem „eigenwilligen, genialen Kind“ zurückzukehren. Denn sie vermisst keineswegs den Luxus, sehr wohl aber „Feinheit, Vornehmheit und Manieren“.

Wie immer in den späten Jahren verbringt Marcel Proust die Tage im Bett und erlebt vieles aus der Ferne. Dass es nach Erdbeeren und Pferdemist riecht, dringt allerdings bis hinauf in seine Wohnung. Haushälterin Céleste am Fenster ahnt noch nicht, dass sie Monsieur gleich wieder „retten“ muss, denn der nächste Asthmaanfall liegt in der Luft.
Wie immer in den späten Jahren verbringt Marcel Proust die Tage im Bett und erlebt vieles aus der Ferne. Dass es nach Erdbeeren und Pferdemist riecht, dringt allerdings bis hinauf in seine Wohnung. Haushälterin Céleste am Fenster ahnt noch nicht, dass sie Monsieur gleich wieder „retten“ muss, denn der nächste Asthmaanfall liegt in der Luft. © Cloé Cruchaudet in „Céleste. Es wird Zeit, Monsieur Proust“, Insel Verlag

Die Erdbeeren duften - und schon kommt es zum Asthmaanfall

Cruchaudet dreht den Spieß kunstvoll um: Wenn Proust in seinem Opus Mangum „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ jede Begebenheit bis in die kleinsten Details und selbst die Gerüche (!) beschreibt, ist es hier Céleste, die in reifem Alter mit derselben Präzision auf die Jahre mit dem schreibenden Kuriosum zurückschaut. Da riecht es etwa vom Wochenmarkt herauf betörend nach frischen Erdbeeren, doch die Atemnot Prousts verlangt das sofortige Schließen der Fenster.

Für Proust geht Céleste sogar auf Wohnungssuche

Es ist ein liebevolles Spötteln, mit dem Cruchaudet den Literaten in Szene setzt, nicht nur durch Zitate aus Briefen und Werken, sondern besonders auch in den Zeichnungen, die einen herrlich dürr und exaltiert in die Länge gezogen Proust zeigen. Céleste drapiert sich um ihn herum, schluckt seine Arroganz, geht auf Wohnungssuche, lacht mit ihm über Bonmots und freut sich schließlich über den Prix Goncourt.

Diesem wichtigsten französischen Literaturpreis galt all sein Sehnen. Und man fragt sich ganz ernsthaft, ob Proust mit solchem Ruhm bedacht worden wäre, wenn ihm nicht Céleste den normalen Lebenskram abgenommen hätte.

Chloé Cruchaudet: „Céleste. Es wird Zeit, Monsieur Proust“ (Insel Verlag, 144 Seiten, 26 Euro)

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