Kritik

Leif Randt und das Teflon-Lebensgefühl: „Let’s Talk About Feelings“

Eine realistische, vielleicht auch satirische Betrachtung des Lebensgefühls von 40-plus in Romanform
Michael Stadler |
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Leif Randt auf der Frankfurter Buchmesse.
Arne Dedert /dpa 3 Leif Randt auf der Frankfurter Buchmesse.
Zwischen Selbstverwirklichung und Bindungen: Filmszene aus „Marriage Story“ von Noah Baumbach mit Scarlett Johansson, Filmsohn und Adam Driver.
picture alliance/dpa/Netflix 3 Zwischen Selbstverwirklichung und Bindungen: Filmszene aus „Marriage Story“ von Noah Baumbach mit Scarlett Johansson, Filmsohn und Adam Driver.
Am 27.11. liest Leif Randt im Münchner Literaturhaus.
Imago 3 Am 27.11. liest Leif Randt im Münchner Literaturhaus.

Der Winter in München naht, sprich, es ist schon echt kalt, und vielleicht ist es ja ein Trost, dass es in Berlin noch schlimmer ist. „Es gab letztlich an den unmittelbar bevorstehenden Monaten auch nichts schönzureden“, schreibt Leif Randt in seinem neuen Roman. „Alles würde beschwerlicher und düsterer werden, das Aufstehen, das Einkaufengehen, das Sich-Motivieren, man würde sich gebeugt über feuchte Straßen bewegen und das Gefühl haben, dass es mehr darum ging, eine Zeit zu überstehen, als eine Zeit zu erleben.“ Treffender und nicht nur für Berlin gültig kann man das wohl nicht formulieren.


Als Autor, der mit seinen Romanen das Lebensgefühl einer ganzen Generation gekonnt in Worte fasst, ist Leif Randt, Jahrgang 1983, allerspätestens mit „Allegro Pastell“ (2021) bekannt. Das Buch, in dem er von der Liebe zwischen einem Frankfurter Webdesigner und einer Berliner Schriftstellerin erzählte, wurde bereits im Sommer 2024 von Anna Roller, Absolventin der HFF München verfilmt, der Kinostart lässt noch auf sich warten.

Er ist abgeklärt und hat den Zugang zu seinen Gefühlen verloren

Und ja, auch das neue Buch könnte man sich als Film vorstellen, so wenig dramatisch es auf den ersten (und zweiten) Blick daherkommt. „Let’s Talk About Feelings“ heißt es, was im Laufe der Handlung zum Titel eines Podcast wird, den Piet, Kumpel des Hauptprotagonisten Marian, und Teda, Halbschwester von Marian und mit Piet liiert, ins Leben rufen. In den frühen Neunzigern sang das Hip-Hop-Trio Salt’n’Pepa noch relativ bahnbrechend „Let’s talk about sex“ - aber nein, offenbar sind es heute die Gefühle, über die eine Generation, die jetzt auch schon die 40 erreicht hat, Redebedarf verspürt. Dabei wirkt Marian recht abgeklärt, hat womöglich den Zugang zu seinen Gefühlen verloren.

Zu Beginn des Romans wird die Asche seiner Mutter Carolina, ehemals Modell und „unnahbare Modeikone der Siebziger“, auf dem Wannsee verstreut. Marian selbst fühlt sich an diesem Tag „so stabil wie lange nicht“. Beim Vorlesen der Trauerrede auf dem Schiff seines Vaters, einem ehemaligen „Tagesthemen“-Sprecher, der jetzt mit TikTok-Videos hohe Klickzahlen erreicht, versagt ihm dann doch zweimal die Stimme.

Emotionskurven: angenehm flach

Man könnte vielleicht erwarten, dass der Roman sich auf Marians Trauerarbeit konzentriert. Stattdessen mäandert Leif Randt mit seinem Protagonisten bis zum ersten Todestag der Mutter durch ein Leben, in dem die Emotionskurven nicht großartig ausschlagen, sondern angenehm flach bleiben, manche Dinge sich aber schleichend verändern. Neue Kontakte ergeben sich, Marian hat ein Date mit der jungen Ärztin, die die kranke Mutter zuletzt versorgte, aber sie können auch wieder versickern.

Die Modeboutique „Kenting Beach“ in Berlin-Schöneberg betreibt Marian, der Name rührt von einem Strand, der ihm bei einem Urlaub in Taiwan auffiel. Der Verkauf von angesagten Labels und Second-Hand-Ware läuft ganz okay. Etwas brenzlig wird es erst, als Marian und sein Team auf die Idee kommen, Produkte von Pandabuy zu verkaufen, einer Plattform, die aus China illegale Replikate europäischer Designerkleidung importiert.

Zwischen Selbstverwirklichung und Bindungen: Filmszene aus „Marriage Story“ von Noah Baumbach mit Scarlett Johansson, Filmsohn und Adam Driver.
Zwischen Selbstverwirklichung und Bindungen: Filmszene aus „Marriage Story“ von Noah Baumbach mit Scarlett Johansson, Filmsohn und Adam Driver. © picture alliance/dpa/Netflix

Eine Modefirma droht Marian mit einer Klage, aber man spoilert nicht groß, wenn man hier verrät, dass das Senden einer E-Mail zur Konfliktvermeidung ausreicht. Leif Randt porträtiert ein Dasein mit 40+, in dem der Erfahrungshorizont schon breit ist und es nur noch wenig gibt, das einen komplett aus der Bahn wirft. Selbst die alltagsbestimmende Technik hat an Reiz verloren: „Das Öffnen von Instagram war bei Marian ein mittlerweile mehr als zehn Jahre alter Reflex“, heißt es, „eine tief in den Körper eingeschriebene Routine (Hände, Augen, Nacken), die im Laufe der Zeit immer freudloser geworden war.“

Von Japan nach Berlin-Marzahn

Von Depressionen, einem totalen Stillstand ist der Roman jedoch weit entfernt. Leif Randt lässt Marian durch die Welt reisen, nach Japan, Indien oder Teneriffa, wo sein Vater ein Ferienhaus hat. Die Kapitelüberschriften markieren die Stationen einer Odyssee, die sich ganz flauschig entwickelt und am Ende zu den „Gärten der Welt“ in Berlin-Marzahn führt.

Der Kontakt zur Regisseurin Kuba Kötting hat sich da doch zu einer Beziehung entwickelt. Das erste Date der beiden bei einem Fußballspiel zwischen Hertha BSC und dem 1. FC Kaiserslautern ist ein Erlebnis, das Marian zu einem der schönsten seines Lebens zählen wird: „Vielleicht lag es am mittleren Alter, dass die Dinge nun langsamer geschahen, doch weniger aufregend waren sie nicht.“ Also doch, immerhin: Selbst mit 40 gibt es noch ein paar außerordentliche Gefühle.

Am 27.11. liest Leif Randt im Münchner Literaturhaus.
Am 27.11. liest Leif Randt im Münchner Literaturhaus. © Imago


Leif Randt erzählt in der dritten Person, ist dabei dicht an Marians Perspektive dran und pflegt in den Dialogen einen Jargon, der von Anglizismen durchdrungen ist und die Zugehörigkeit zu einer jung gebliebenen Gruppe markiert: Vieles ist „safe“, „nice“ oder sogar „ziemlich disney“. Wieviel Ironie in dem Roman steckt, inwiefern er auch als Satire auf eine hedonistisch lebende Hipster-Community gelesen werden kann, die viel auf die modische Oberfläche gibt, lässt sich schwer sagen. Ironie ist ja längst out, weil hinter ihr die Angst vor dem ehrlichen Gefühl steckt. Aber eine leichte Distanz zu den Menschen, die Randt beschreibt und zu denen er sich wohl selbst zählt, ist spürbar.

Auch von der politischen Realität nimmt Randt Abstand, siedelt sein Buch in einer Parallelwelt an, in der eine Frau namens Fatima Brinkmann Kanzlerin und Robert Habeck Vizekanzler ist. In diesem Kosmos droht zwar ebenfalls ein Rechtsruck, aber das bringt niemanden so recht aus der Ruhe. Im zweiten Kapitel geht er mit seinem Kumpel Piet in den Jazzclub „Guilty Terrace“, in dem aber kein Jazz gespielt wird. Stattdessen „herrschte die absolute Bereitschaft, sich von abgehangenen Popsongs in harmlose Emotionen hineintragen zu lassen“. Marian lässt sich davon gerne mitreißen.

Auf ähnliche Weise funktioniert das Buch. Es gibt keine Katastrophen, man ist „safe“ und wird gefühlvoll-witzig unterhalten. Wo die Oberflächen aber möglichst schön sind und alles ziemlich glattläuft, bleibt auch nicht sonderlich viel hängen. Das angenehme Teflon-Lebensgefühl, nach dem einige sich sehnen und das man in manchen Gesellschaftsschichten auch erreicht hat, transportiert Leif Randts Roman kongenial.

Leif Randt „Let’s Talk About Feelings“ (KiWi, 320 S., 24 Euro). Der Autor liest am Donnerstag,27.11., um 19 Uhr im Münchner Literaturhaus am Salvatorplatz

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