"Krass": Das Erfolgsrezept eines Waffenhändlers
Die Bücher des Autors starten meist furios, oft im Frankfurter Bankenviertel. Aber nach 50 oder 100 Seiten ereignet sich meist eine Zäsur. Dann verplätschtert Martin Mosebachs Erzählfluss gern in einer langwierigen Initiation der Hauptfigur in den Orient, ohne aus dieser Textwüste jemals wieder an die Oberfläche zu treten.
Auch der neue Roman des 69-Jährigen folgt diesem bewährten Muster. Erst einmal haut er mit dem Titel "Krass" lärmend auf den Tisch. Aber gemach! Der elegante Herr unter den deutschen Schriftstellern hat sich keineswegs der Jugendsprache zugewandt. "Krass" lautet der Name seiner Hauptfigur. Und der ist ebenso sprechend wie der von Herrn Dr. Jüngel, aus dessen Perspektive die Geschichte meistens erzählt wird.
Ralph Krass: Eine monströse, raumgreifende Hauptfigur
Ralph Krass ist eine monströse, raumgreifende, alles beherrschende Figur, die ihr Geld im Waffenhandel verdient, obwohl das ein wenig mysteriös bleibt. Dieser Geschäftsmann engagiert sich einen jungen Akademiker als Sekretär für eine Reise nach Neapel, deren Kosten in bar aus einem Geldkoffer bestritten werden. Bald stößt eine blonde Belgierin hinzu, die bis dahin mit einem Mentalmagier reiste, dessen Trick Mosebach recht herzlos dem Leser verrät, was gar nicht nett ist.
"Allegro imbarazzante" ist dieser erste Teil überschrieben, der kurz vor dem Kauf eines Hauses auf Capri plötzlich abbricht. Im folgenden "Andante penserioso" leidet der plötzlich entlassene, unbezahlt gebliebene und von seiner Frau verlassene Herr Jüngel in einem französischen Landhaus vor sich hin. Hier erwartet ihn eine maximal mainstreamige Bildungsbürgerplattensammlung mit dem "Figaro" von Erich Kleiber, Klemperers "Don Giovanni", Vivaldi und akademischem Jazz von Thelonius Monk und Django Reinhardt.
Nun drosselt Mosebach das Tempo und verliert sich im Leben eines französischen Schusters, ehe am Ende des Abschnitts Herr Krass zwar das Geld schuldig bleibt, dafür aber sein Geschäftsgeheimnis lüftet: "Mein ganzer Erfolg beruht auf meinem Selbstvertrauen."
Der abschließende "Marcia funebre" spielt 20 Jahre später zu Kairo. Hier bringt Mosebach die Figuren mit dem billigsten Kniff die Hauptfiguren final zusammen: dem Zufall. Auch wenn hier kundig und einfühlsam Wissen über Ägyptens Hauptstadt ausgebreitet wird, bleibt der zum Personal neu hinzutretende Orientale in seinem bizarren Vater-Sohn-Verhältnis zu Herrn Krass eine recht papiererne Angelegenheit.
"Krass": wie ein mittelguter Roman von Patricia Highsmith
Die Oberfläche des Romans ist ein kluger psychologischer Krimi über einen Hochstapler, gespiegelt in einem Schwächling, der sich letztendlich als Lehrstuhlinhaber für Urbanistik an der Universität Wuppertal berappelt. Diese mit zehn Prozent Ironie geschilderten Entwicklungen plus ein paar Seiten Kunstbetriebssatire trösten über manche hochsymbolisch aufgeladene ornithologische Abschweifung und die etwas bemühte Konstruktion hinweg.
Die über 500 Seiten "Krass" lassen sich mit einigem Vergnügen wie ein mittelguter Roman von Patricia Highsmith lesen, wenn man einige Längen und Wiederholungen überblättert. Manche Seite, wie ein Tod im Krankenhaus oder der Schluss auf einem Friedhof am Rand der Wüste sind exzellent beobachtet oder erfunden.
Aber der Autor täte gut daran, den Kern der Geschichte als Novelle auf 150 Seiten zu verdichten. Und der Rest des Materials wäre ein grandioses Reisefeuilleton über Neapel, Capri, Frankreich oder Kairo ein Genuss. Denn über Städte, Landschaften und ihre Bewohner zu schreiben, versteht Mosebach wirklich.
Martin Mosebach: "Krass" (Rowohlt, 526 S., 25 Euro)
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