Auch das noch: Karl Lagerfeld wird Comic-Held

Er war eine Quasselstrippe, aber eine äußerst unterhaltsame. Und bekam Karl Lagerfeld seine Bühne, schossen die Unverschämtheiten nur so aus ihm heraus. Das Verrückte: Selbst die Jogginghosenträger, die seiner Meinung nach die Kontrolle über sich verloren hatten, hingen ihm an den Lippen.
Der Modeschöpfer konnte noch so ätzen - bei Umfragen lagen seine Sympathiewerte regelmäßig im Keller -, die Marke „Karl“ zog trotzdem. Egal, was er anstellte, und zwischen 1933 und 2017 kam einiges zusammen. Die Graphic Novel „Lagerfeld“ von Alfons Kaiser und Simon Schwartz demonstriert das jetzt im Schnelldurchgang, und es wird auch bald klar, woher dieses so ungehemmt bissige Mundwerk und die unerbittliche Härte kamen.
„Braucht ja nicht jeder zu wissen,
dass du so doof bist!“
„Setz keine Hüte auf, du siehst aus wie eine alte Lesbierin!“. Oder: „Ich habe deine alten Tagebücher weggeworfen. Braucht ja nicht jeder zu wissen, dass du so doof bist.“ Es war die Mutter, die dem kleinen Karl diese Sprüche an den Kopf warf. Keine Glucke, an die man sich kuschelt, eher eine in Ansätzen feministische Großbürgerin, die der Sohn respektierte. Aus der Distanz natürlich. Dass Lagerfeld körperliche Nähe zuwider war, hätte er von ihr geerbt. So sein Kommentar.
Und siehe da, wer sich nicht in Gefühlen verfängt, startet durch, wie der Vater, der mit „Glücksklee“-Dosenmilch viel Geld gemacht hat. Noch besser, wenn man solche Defizite mit Kreativität und Fleiß kompensiert. Alfons Kaiser bringt das Phänomen Lagerfeld plausibel auf den Punkt, vom endlos zeichnenden Außenseiter, der bei einer Dior-Schau in Hamburg sein Erweckungserlebnis hatte, über den Sprung nach Paris bis zum unumschränkten Gestaltungszampano, der jedes Detail kontrolliert.
Die Sprechblasen platzen fast vor Fakten
Der F.A.Z.-Redakteur ist ein Kenner der Mode-Szene und Autor des Bestsellers „Karl Lagerfeld. Ein Deutscher in Paris“. Zuweilen mag das auch hinderlich gewesen sein, die Sprechblasen platzen fast vor Fakten, und der Esprit geht manchmal flöten - allein, die Zeichnungen holen ihn virtuos zurück. Bei Simon Schwartz genügt eine Geste, ein Blick oder ein schräges Outfit, um Karl und seine Entourage zu einzufangen. Er schwelgt in diesem Zirkus voller Stoffe und Farben, Partygirls und smarten Garçons, um doch rechtzeitig die Handbremse zu ziehen. So wie Lagerfeld selbst, der sich statt Alkohol und Kokain vor allem Coca Cola, Würstchen und Junk Food mit Mayonnaise einverleibt.

Die Models werden dünner und dünner und Karl zum fächelnden Fass. Erst recht, als seine große Liebe Jacques de Bascher 1989 an Aids stirbt. Doch dann plötzlich die Radikaldiät, Lagerfeld erfindet sich neu, wieder mal, wirft die barocken Möbel aus den diversen Domizilen und wird zum schmalen Karl mit weißem Pferdeschwanz und schwarzer Brille. Die fingerlosen Handschuhe nicht zu vergessen, hochstehende weiße Hemdkragen - „das kaschiert jeden faltigen Hals“ - und allerlei Ketten und Klunker.
Der Sündenfall:
Wegwerfmode für Hinz und Kunz
Dass er sich von der Haute Couture in die Niederungen der Fast Fashion begab und 2004 für das schwedische Label H & M T-Shirts (mit Karl-Silhouette), Röhrenjeans und Paillettenjacken entwarf, mag manchen verblüfft haben. Ein Beitrag zur Demokratisierung, heißt es, aber auch ein Sündenfall: „Billigmode wurde noch populärer“, schreibt Kaiser.

Echt jetzt? Durch Lagerfeld? Und dann sieht man Kleidermüllberge. Das ist freilich fatal, nur will sich die angesagte Moralkeule nicht so recht in die Geschichte fügen, sie wirkt sogar ziemlich hergekrampft nach diesem durchaus gelungenen Versuch, eine unfassbare Persönlichkeit zu fassen. Einen Mann, der am Ende entgleitet, weil von dessen Krebserkrankung niemand erfährt. Außer Lagerfelds Chauffeur und Leibwächter Sébastien Jondeau und bien sûr Choupette, das weiße Birma-Kätzchen.
Noch auf dem Totenbett plant Karl die nächste Modenschau
Schwartz findet hier zu eindringlichen Bildern, vierblättriger Glücksklee flattert durch die Szenen, über Paris und all den Orten der Lagerfeld-Erfolge. Das Dasein ist düster geworden, aber noch auf dem Sterbebett plant der Workaholic die Fendi-Schau in Mailand. Da ist er wieder ganz bei sich.
Alfons Kaiser und Simon Schwartz: „Lagerfeld“ (C.H. Beck, 104 Seiten, 22 Euro), Buchvorstellung mit dem Autoren-Duo am Dienstag, 15. Juli 2025, 20 Uhr, im Literaturhaus München, Salvatorplatz 1, Ticktes 16, ermäßigt10 Euro, Streamtickets 8 Euro, www.literaturhaus-muenchen.de