Kommentar

Ist Krieg im Menschen angelegt?

80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sollen (auch) die Deutschen ideologisch wieder auf Konflikt eingeschworen werden. Das ist weder menschlich noch logisch
von  Martin Balle
Russischen Truppe proben für eine Militärparade in Moskau.
Russischen Truppe proben für eine Militärparade in Moskau. © picture-alliance/ dpa

Immer wieder wird auch heute noch der Satz "Si vis pacem, para bellum!" (Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor) aus dem alten Rom zitiert. Was die Leute, die so demonstrieren, dass sie immerhin noch die Grundregeln der lateinischen Grammatik beherrschen, in der Regel nicht wissen: Dieser Satz hat mit unserer europäischen Kultur wenig zu tun.

Denn in der Antike gab es ein vollkommen anderes Menschen- und Weltbild als heute. Gewalt war das alltägliche Muster, von dem das römische Weltreich durchzogen war. Durch die begehrte Übernahme eines militärischen Kommandos qualifizierte man sich für die Ämter in Rom - und bei den Feldzügen wurde über Jahrhunderte der besiegte Gegner auf das Grauenhafteste massakriert. Das war der Alltag in Rom.

Wladimir Putin an einem Schießstand im Hauptsitz des russischen Geheimdienstes.
Wladimir Putin an einem Schießstand im Hauptsitz des russischen Geheimdienstes. © picture alliance / dpa

Die berühmte "dignitas" (Würde) derer, die so bis heute mit Namen bekannt blieben, von Pompeius bis Cäsar, beschränkte sich auf die vor allem in Kriegen errungene Standesehre, die mit der Menschenwürde, wie sie im Grundgesetz beschrieben ist, aber schon überhaupt nichts zu tun hat.

Leistung, Ehre, Macht: Ohne diesen Dreiklang ging nichts

"Die Kältehölle der Antike" haben Religionsphilosophen unserer Tage diese Welt benannt, in der die antiken Götter reine Projektionsflächen für menschliche Wünsche und Begehren waren, aber von echter Spiritualität eben nicht zeugten. Noch das Priesteramt war in Rom eine Sprosse auf der Karriereleiter derer, die ganz nach oben wollten und vom Ehrgeiz getrieben blieben.

In seinem glänzenden Buch über die im ersten Jahrhundert vor Christus untergehende Republik Roms beschreibt der Historiker Michael Sommer (Mordsache Caesar, München 2024) nochmals in hochspannender Weise diese antike Welt des Ehrgeizes, des gewissenlosen Tötens, der gottlosen Selbstsucht: "Je einflussreicher und angesehener ein römischer Aristokrat, desto besser war er in der Gesellschaft vernetzt. Leistung, Ehre, Macht: Ohne diesen Dreiklang ging in der Republik nichts."

Putin auf einer Waffenmesse.
Putin auf einer Waffenmesse. © picture alliance / dpa

Wer heute die Ideologeme dieser Zeit noch einmal kritiklos zitiert, ist nicht ernst zu nehmen! Kurz vor dem Jahrestag des Kriegsendes 1945 muss man sich eher bewusst machen, wie sehr Gewalt über Jahrhunderte von den Mächtigen jeder Zeit ausgeübt wurde, um die eigenen Interessen mit aller Brutalität durchzusetzen.

Seit Jahrtausenden gibt es eine Geschichte der Gewalt - und es gibt immer wieder Apologeten der Gewalt, die erzählen, dass es halt nicht anders geht und zugeht auf der Welt. Eine Verteidigung des Unrechts am Mitmenschen! Es jähren sich heuer - neben dem Kriegsende vor 80 Jahren - auch die Bauernkriege zum 500. Mal. Und wer die Geschichte dieser Freiheitsbewegung nochmals nachliest, der bekommt eine tiefe Ahnung von der Kriminalgeschichte des Adels in diesem Land.

Bundeskanzler Olaf Scholz mit der Replik einer mit einem Sprengkopf bestückten Drohne, wie sie im Ukraine-Krieg zum Einsatz kommt.
Bundeskanzler Olaf Scholz mit der Replik einer mit einem Sprengkopf bestückten Drohne, wie sie im Ukraine-Krieg zum Einsatz kommt. © picture alliance/dpa

Auch der bekannte Buchtitel eines englischen Historikers "Die Schlafwandler", wo erzählt wird, dass die Monarchen Europas in den Ersten Weltkrieg "hineingeschlittert" seien, ohne das wirklich zu wollen, gilt heute längst als widerlegt: Nein, die Möglichkeit und die Wirklichkeit eines Krieges war auch damals bewusstes Kalkül der Mächtigen, so hat das der Berliner Historiker Heinrich August Winkler längst klargestellt.

Wer die Briefe der Mächtigen aus dieser Zeit vor dem Ersten Weltkrieg liest, der wird dem nur zustimmen. Die Frage bleibt: Ist das alles notwendigerweise so? Ist der Krieg im Menschen angelegt? Ist er ein Naturgesetz, das gleich einer notwendigen Krankheit zum Wesen des Menschen gehört?

Gegen diese These, die gerade heute immer wieder ausgesprochen und vor allem auch unausgesprochen im Raum steht, ziehen die drei Evolutionsbiologen Harald Meller, Kai Michel und Carel van Schaik in ihrem gerade erschienen hervorragenden Buch "Die Evolution der Gewalt" zu Felde.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) schaut sich bei der Besichtigung einer Verteidigungsstellung eine Drohne an.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) schaut sich bei der Besichtigung einer Verteidigungsstellung eine Drohne an. © picture alliance/dpa

Sie rekonstruieren die Geschichte des Menschen, des Homo sapiens, von seinen Anfängen her und können zeigen, dass Menschen ursprünglich über zig Jahrtausende auf Kooperation und Verständigung hin angelegt sind. Nur ein Prozent der Menschheitsgeschichte ist von Kriegen durchzogen. Weshalb?

Gegen die eigentliche Natur des Menschen gerichtet

In der Mittelsteinzeit, also rund 13.000 Jahre vor Christus, beginnen Menschen - nach Jahrtausenden des Nomadentums - wertvolle Territorien in Besitz nehmen zu wollen. Diese Beanspruchung von Eigentum vor allem in der Nähe von lebenswichtigen Wassern führe auf einmal zu einem neuen ökonomischen Denken und zu gewalttätigen Auseinandersetzungen.

Was folge, sei dann über Jahrtausende eine "Moral der Gewalt", wo Macht und Besitzansprüche gerade von den Mächtigen jeder Zeit geltend gemacht würden. Von da an, vom Reich der Assyrer über das Römische Reich bis hin zum Machtanspruch Preußens, schreibe sich "die Gewalt einer Grammatik gleich in die sozialen Systeme ein".

Immer stärker werde die Welt im Rahmen einer "Kriegsmatrix" gedeutet. Krieg als "männliche Aktivität", Krieg, um sich selber auszuzeichnen, der Staat als eine sinnvolle "Kriegsmaschinerie", all das würden Merkmale einer Moderne und Postmoderne, die es zu hinterfragen gelte. Denn der Krieg würde so zu einem "sich selbsterhaltenden" und "sich selbstverstärkenden System".

All das aber würde immer wieder mit moralischen oder philosophischen Begründungen unterlegt, etwa dann, wenn der preußische Philosoph Hegel dem Krieg geradezu ein "sittliches Moment" unterstelle.

Während Menschen seit Urzeiten auf Anerkennung des anderen, auf eine grundlegende Gleichheit aller Menschen, auf Teilen und Helfen angelegt seien, so dass man sogar von einer "angeborenen Tötungshemmung" sprechen müsse, sei der gerade im 20. Jahrhundert "total gewordene Krieg ein Zivilisationsprodukt", eine "originäre Leistung sogenannter Hochkulturen".

Neuartige Langstrecken-Raketen-Drohnen vom Typ Peklo (Hölle) werden während der Übergabe der ersten Charge an die Verteidigungskräfte am Tag der Streitkräfte der Ukraine ausgestellt.
Neuartige Langstrecken-Raketen-Drohnen vom Typ Peklo (Hölle) werden während der Übergabe der ersten Charge an die Verteidigungskräfte am Tag der Streitkräfte der Ukraine ausgestellt. © picture alliance/dpa/ukrin

Im Widerspruch zur Tötungshemmung des Menschen nehme mit der Waffenart der Drohne die Abstraktion des Tötens heute zu, so dass diese Tötungshemmung umgangen werden könne. 

Die drei Autoren warnen vor einer Welt, wo man glaube, "mittels des Krieges" Frieden herstellen zu können. Die Hoffnung, die "Welt mit Gewalt in eine bessere verwandeln" zu können, sei gegen die eigentliche Natur des Menschen gerichtet. So nehmen die Autoren einen Gedankenstrang auf, der sich schon beim Ethnologen Irenäus Eibl-Eibesfeldt findet und den der Religionsphilosoph Eugen Biser so zusammenfasst: "Da er aufgrund seiner Mängelbehaftung nur in der Gruppe überleben kann, ist der Mensch vielmehr von seiner Konstitution her auf Solidarität angelegt und somit zur Liebe disponiert." Auch Eibl-Eibesfeldt und Eugen Biser sprechen deshalb von einer "sekundären Aggressivität des Menschen."

Eine Demonstration von Rüstungsindustrie-Gegnern in der Kieler Innenstadt.
Eine Demonstration von Rüstungsindustrie-Gegnern in der Kieler Innenstadt. © Axel Heimken (dpa)

Und heute? Im "Spiegel" titelt in dieser Woche der Kultursoziologe Professor Ulrich Bröckling seinen Essay "Gegen die geistige Mobilmachung: Die Deutschen sollen kriegstüchtig gemacht werden. Höchste Zeit, dem Säbelrasseln etwas entgegenzusetzen." Er arbeitet heraus, wie gerade in den konservativen Medien von der "FAZ" bis hin zur "Zeit" die Bürger dieses Landes ideologisch wieder auf Krieg eingeschworen werden sollen: "Die geistige Mobilmachung im Namen des militärischen Realismus repetiert parteiübergreifend das immer gleiche Credo: Aufrüstung ist alternativlos, atomare Abschreckung sichert Frieden, Pazifismus ist eine Schönwetterideologie zarter Seelen und Putin-Versteher, Wehrwillen verlangt Opferbereitschaft, Soldaten sind Helden."

"Antimilitarismus - keine Garantie für saubere Hände"

Er warnt dagegen davor, die Aufrüstungsspirale nach oben als alternativlos zu sehen. Denn: "Zwingend sind die beschleunigte Militarisierung Europas und der der Ausbau europäischer Erstschlagkapazitäten nur für die, die überzeugt sind, aus diesem Spiel nicht aussteigen zu können. Oder die Chance wittern, endlich darin eine größere Rolle zu spielen".

Aber arbeitet man damit nicht einem potenziellen Aggressor in die Hände? Natürlich nicht, denn der eigene Verzicht wenigstens auf "atomare sowie, nicht zu vergessen, biologische und chemische Massenvernichtungsmittel" ist erst einmal ein Signal gegen den Zynismus des Krieges, aber nicht schon eine Kapitulation vor dem Gegner.

Boris Pistorius (SPD), Verteidigungsminister, steht neben Oleksii Makeiev, Botschafter der Ukraine und Ralf Ketzel Deutschland-Chef des Panzerbauers KNDS, bei der Übergabe erste Radhaubitze RCH 155 als Waffenhilfe für die Ukraine, in den Fertigungshallen des Herstellers, der KNDS Deutschland GmbH & Co. KG.
Boris Pistorius (SPD), Verteidigungsminister, steht neben Oleksii Makeiev, Botschafter der Ukraine und Ralf Ketzel Deutschland-Chef des Panzerbauers KNDS, bei der Übergabe erste Radhaubitze RCH 155 als Waffenhilfe für die Ukraine, in den Fertigungshallen des Herstellers, der KNDS Deutschland GmbH & Co. KG. © Michael Kappeler (dpa)

Ulrich Bröckling: "Antimilitarismus ist Kampf gegen Krieg und Kriegsvorbereitung, aber keine Garantie für saubere Hände. Die Apologeten der Abschreckung spielen dagegen von vornherein ein schmutziges Spiel." Sein kluges Fazit: "Sorge dafür, dass du nicht dem ähnlich wirst, was du bekämpfst, das ist vielleicht die allgemeinste Maxime, um gegen die vermeintliche Alternativlosigkeit militärischer Imperative den Raum des Politischen offenzuhalten."

Was bleibt? Die Handlungsreisenden in Sachen Krieg sitzen nicht nur - unschwer zu erkennen - in Moskau oder Nordkorea, sondern auch - viel schwerer zu lesen - in Brüssel oder auf der Hardthöhe in Bonn. Allein im Umfeld der Bundeswehrhochschule in München werden zur Zeit 200 Firmen beraten, die sich auf Kriegsdrohnen spezialisiert haben. "Es herrscht Goldgräberstimmung bei denen", sagte eine Dozentin im Gespräch mit mir.

Der ehemalige Oberbürgermeister von Hamburg, Klaus von Dohnanyi, hat gerade mit Blick auf das Ende des Zweiten Weltkriegs dem ideologischen Begriff von der "Kriegstüchtigkeit" eines Verteidigungsministers hierzulande den klugen Begriff der "Friedenstüchtigkeit" bewusst entgegengesetzt.

Die Geschichte, wie sie von den drei Evolutionsbiologen auf fast 400 Seiten spannend erzählt wird, gibt ihm da ausdrücklich recht.

Literaturhinweis: Harald Meller, Kai Michel, Carel van Schaik: Die Evolution der Gewalt, München 2024. Michael Sommer, Mordsache Caesar, München 2024

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