Ildikó von Kürthy über "Eine halbe Ewigkeit"
Obwohl es regnet, kommt Ildikó von Kürthy mit dem Fahrrad zum vereinbarten Treffpunkt: einem Café in Hamburg. Zum 25-jährigen Jubiläum ihres Buches "Mondscheintarif" erzählt die Wahlhamburgerin nun in ihrem Buch "Eine halbe Ewigkeit" die Geschichte der Hauptfigur Cora Hübsch weiter. Wie die Autorin selbst ist die Protagonistin inzwischen Mitte 50. Ihre Kinder sind flügge, ihre Ehe ist lauwarm. Da begegnet ihr plötzlich ihre große Liebe Dr. Daniel Hofmann, bekannt aus "Mondscheintarif", wieder. Der Arzt will mit Cora Hübsch einen Neustart wagen.
AZ: Frau von Kürthy, als Cora Hübsch in Ihrem Roman "Eine halbe Ewigkeit" ihre alte Liebe wiedertrifft, stellt sie sich die Was-wäre-wenn-Frage. Ist so eine Fantasie nicht Selbstbetrug?
Ildikó von Kürthy: Natürlich. Ich neige auch manchmal dazu, von einem anderen Leben zu träumen. Gar nicht unbedingt an der Seite eines anderen Mannes, sondern in einer anderen Stadt. Oft denke ich ganz sehnsüchtig: Wie wäre es gewesen, wenn meine Söhne wie ich in Aachen aufgewachsen wären? Dieser Traum kann sich gar nicht gegen eine Idealisierung wehren, weil er sich nie in der Wirklichkeit behaupten musste.
Warum heißt es in Ihrem neuen Buch, Träume seien etwas für Teenager?
Ich finde, man sollte jungen Menschen das Träumen nicht abgewöhnen. Sie glauben, die erste Liebe wäre die größte, sie würde ewig halten. Genau wie der Schmerz. Da Teenager alles zum ersten Mal fühlen, können sie ihre Empfindungen noch nicht in Lebenserfahrung einordnen. Dass sie so überzeugt von ihren Träumen sind, macht ja den Reiz der Jugend aus. Später sollte man seine Fantasien allerdings schon auf ihre Realitätstauglichkeit prüfen und zurechtstutzen.
Dürfen ältere Menschen denn nicht mehr hemmungslos träumen?
Ich würde zwischen Träumen und Zielen unterscheiden. Träume beinhalten wenig Aktion, darum sind mir Ziele lieber. Wer einen bestimmten Abschluss erreichen will, kann daraufhin arbeiten. Wenn man sich dagegen die ganze Zeit ein schöneres Leben erträumt, ruiniert man sich bloß ständig die Gegenwart.
Cora Hübsch träumt nicht nur, sie beschäftigt sich auch mit dem Älterwerden. Wie gehen Sie selbst damit um?
Teils mit Selbstermutigung, teils mit Verzweiflung und Fassungslosigkeit. Manchmal muss ich lachen, manchmal weinen. Doch ich weiß: Es gibt ja keine Alternative zum Älterwerden. Zum Glück habe ich einen Beruf, bei dem es nicht so sehr auf Äußerlichkeiten ankommt. Ich kann es mir erlauben, meine Haare grau herauswachsen zu lassen und ungeschminkt zu sein.
Zählt Ihrer Ansicht nach innere Weisheit im Alter mehr als Äußerlichkeiten?
Was ich nicht mag, ist dieses Weisheitsgetöse. Gerade Frauen sagen gern: "Ich bin ganz bei mir selbst. Mir geht es nur noch um mein eigenes Wohlbefinden." Das ist egozentrisch und so gelassen fühle ich mich nicht - jedenfalls noch nicht. Manchmal bin ich echt gestresst, mir tut der Rücken weh, Wechseljahresbeschwerden halte ich für eine Zumutung. Immerhin gehen mir einige Sachen nicht mehr so nah wie früher.
Haben Sie wie Ihre Romanfigur Ihre High Heels aussortiert?
Tatsächlich musste ich mir für meine Bühnenshow neue High Heels kaufen, weil ich keine mehr hatte. Bei einer Firma, die Gesundheitsschuhe herstellt, bin ich fündig geworden. Ich hoffe, dass deren High Heels wenigstens ein bisschen bequemer sind.
Gesundheitsschuhe sind heute ebenso akzeptiert wie üppige Körperformen. Wie stehen Sie zu Body Positivity?
Ich achte bei mir und in meinem Umfeld extrem darauf, dass Menschen nicht aufgrund von Äußerlichkeiten abgewertet werden. Mein Sohn hat mir erzählt, es gebe im Moment super böse Ricarda-Lang-TikTok-Videos - weil sie eben sehr füllig ist. Für so etwas habe ich kein Verständnis mehr. Aber muss ich zugeben: Vor zehn Jahren habe ich selbst noch Leute noch viel gehässiger wegen ihres Aussehens abgeurteilt. Über andere zu lästern, ist eine Sache. Genauso wenig darf man über sich selbst jammern, das gilt wiederum als antifeministisch... Überall wird Selbstliebe gepredigt. Man soll sich so akzeptieren, wie man ist. Nein! Mit meinem Gewicht bewege ich mich gerade auf die Schallgrenze zu, das ist einfach nicht gut für mich. Abgesehen davon, dass mir die Hälfte meiner Klamotten nicht mehr passt, muss ich nicht so schwer sein. Das belastet meinen Körper.
Selbstkritik ist also nicht falsch?
Ich finde es realistisch und menschlich, an sich zu zweifeln. So sehr ich diese lauten, emanzipierten Feministinnen und Aktivistinnen schätze, so sehr mag ich aber diese freundlichen, zurückhaltenden Frauen. Sie müssen nicht lauter werden, man muss ihnen lediglich einfach besser zuhören.
Ildikó von Kürthy: "Eine halbe Ewigkeit" (Rowohlt, 320 Seiten, 23 Euro). Die Autorin präsentiert ihre Show zum Buch am Montag, den 13. Mai um 20 Uhr im Lustspielhaus
- Themen: