Houdini der Liebesbeziehungen
Bevor er sich dem Schreiben hauptberuflich widmete, war der 1961 in Bari geborene Gianrico Carofiglio Richter, Senator und Anti-Mafia-Staatsanwalt. Außerdem verfasste er Fachbücher über Aussagepsychologie und Verhörtechniken. Doch es ist nicht allein der Kompetenzvorsprung durch die Innensicht des italienischen Justizapparates, der seinen neuen Krimi "Groll" zu einem herausragenden Leseerlebnis macht, sondern seine sensible Erforschung der menschlichen Seele.
Mit "Groll" hat Carofiglio den zweiten Fall für Penelope Spada geschrieben, die das Potenzial für eine Kultermittlerin besitzt. Die 45-jährige Mailänderin hat ihren Job als Staatsanwältin vor 5 Jahren verloren und verdingt sich in ihrer langen Auszeit als eine Art Privatdetektivin ohne Lizenz, die allerdings ihre alten Kontakte nutzt.
Ihr Bullterrier Olivia ist das einzige Lebewesen, das sie länger neben sich ertragen kann. Was Männer betrifft, diagnostiziert sie an sich eine in den letzten Jahren gewachsene Bindungsunfähigkeit: "Ich bin eine Fluchtkünstlerin, eine Houdini der Liebesbeziehungen." Wehrlos hingegen ist sie nicht. Die ehemalige Stabhochspringerin bringt im Fitnessstudio die Männer mit einarmigen Liegestützen zum Schweigen. Damit ist der Tonfall gesetzt, der dem melancholisch grundierten Roman angenehm ironische Spitzen beschert.
Spada berichtet als Ich-Erzählerin von einem Fall, der wahrscheinlich gar keiner ist: Marina Leonardi, die Tochter eines vor zwei Jahren gestorbenen Chirurgen, wendet sich an Spada, weil sie einen bösen Verdacht hegt. Ihr Vater, zu dem sie kaum Kontakt hatte, hinterließ ihr im Testament nur den Pflichtteil. Sein großes Vermögen ging fast vollständig an dessen zweite, 33 Jahre jüngere Ehefrau Lisa.
Doch nun hat Marina von dem Notar erfahren, dass ihr Vater wenige Wochen vor seinem Tod sein Testament ändern und Lisas Anteil erheblich schmälern wollte. Zum Todeszeitpunkt ihres Vaters weilte Marina in Miami. Bis sie es zurück nach Mailand schaffte, war die Todesursache (Herzinfarkt) längst festgestellt und der Leichnam verbrannt und bestattet worden. Warum diese Eile? Hatte Lisa etwas zu verbergen? Penelope Spada ist skeptisch: "Gewisse Dinge passieren in Romanen und Filmen, aber nur selten im wirklichen Leben." Ohne große Hoffnungen beginnt sie ihre Recherche.
Parallel dazu erfährt der Leser, was vor fünf Jahren zu Penelope Spadas Demission als Staatsanwältin führte, als sie gegen eine illegale Freimaurerloge ermittelte.
Und während beide Erzählstränge auf ihr Finale zulaufen, nimmt sich Carofiglio immer wieder Zeit für kleinere Exkurse über die Kunst des Verhörs, Gerechtigkeit, oder über den Zufall und die Planbarkeit des Lebens. Penelope Spada zitiert den "Philosophen" Mike Tyson: "Alle haben einen Plan, bis sie eins in die Fresse kriegen." Sie selbst allerdings wird im Laufe des Romans lernen, ihrem Leben wieder eine Richtung zu geben.
Dieser schmale, an Ideen und Themen überreiche Band, ist ein psychologischer Krimi mit ungeheurer Sogkraft.
Gianrico Carofiglio stellt "Groll" (Folio Verlag, 236 Seiten, 25 Euro) am 8. November im Istituto Italiano di Cultura vor (Hermann-Schmid-Str. 8, 19 Uhr), Eintritt frei, Anmeldung unter 7463210
- Themen: