Grenzen der Freiheit

Die sehenswerte Ausstellung"Verbotene Bücher" im Literaturhaus widmet sich dem Thema Zensur
Volker Isfort
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Ein Blick in die Münchner Ausstellung "Verbotene Bücher im Literaturhaus".
Foto: Catherina Hess Ein Blick in die Münchner Ausstellung "Verbotene Bücher im Literaturhaus".

Kurzzeitige Verbote können für Literaten nur in Ausnahmefällen angenehme Nebenwirkungen haben. Der Skandal um seinen Roman "Lolita" bescherte Vladimir Nabokov 1955 so viel Bekanntheit und Auflage, dass er seine Professorenstelle in den USA kündigte, nach Europa zurückkehrte und sich für seine letzten 16 Lebensjahre dauerhaft mit seiner Frau Véra im Hotel Palace im schweizerischen Montreux einmietete. Wer heute dort wohnen möchte, zahlt immerhin 1000 Franken pro Nacht.

Aber natürlich ist die Geschichte verbotener Bücher eine tragische, sie wird nun in einer sehr inspirierenden Ausstellung im Literaturhaus erzählt. Tanja Graf, Leiterin des Hauses und Anna Seethaler, zuständig für die Ausstellungen im Haus, holten sich Anregung bei einer thematisch ähnlich gelagerten Ausstellung im Zürcher Literaturmuseum Strauhof.

Tanja Graf war dabei besonders die gegenwärtige Perspektive wichtig. Denn schon um den Begriff Zensur ist ein Deutungskampf entbrannt. "Es ist ein rechtes Narrativ zu behaupten, bei uns herrsche Zensur", sagt Tanja Graf, die mit dieser Ausstellung auch zu einer Begriffsschärfung beitragen möchte: "Zensur und Cancel Culture sind zwei verschiedene Dinge."

Zensiert werden in Deutschland ausschließlich verfassungsfeindliche Texte. Und bei Maxim Billers Roman "Esra", der 2003 kurz nach seinem Erscheinen verboten wurde, ging es um die Persönlichkeitsrechte der im Roman beschriebenen Person, die gegen eine Veröffentlichung geklagt hatte. Wo die Kunstfreiheit endet und das Persönlichkeitsrecht beginnt, ist eine Frage, die stets neu abgewogen werden muss. Mit staatlicher Zensur hat das allerdings nichts zu tun.

Die auch optisch spektakuläre Ausstellung im Baustellenlook besteht aus Gerüsten, die auch Zugänge versperren und die Erreichbarkeit scheinbar einschränken. Das sich einstellende Gefühl der Beklemmung ist durchaus erwünscht. Auf Brettern stehen zensierte Bücher, an den daranhängenden Karten gibt es Informationen über Grund und Geographie des Verbreitungsverbots - mit durchaus überraschenden Erkenntnissen: So wurde 2001 in Frankreich (!) der Film "Baise-moi" verboten, den Kultautorin Virginie Despentes nach ihrer eigenen Romanvorlage gedreht hatte.

Der Auftakt ist münchnerisch: Es werden nicht alle Literaturinteressierten wissen, dass Thomas Mann Mitglied im Münchner Zensurbeirat war, den er löblicherweise verließ, als sich dieser 1913 gegen eine Aufführung von Frank Wedekinds "Lulu" aussprach, die Mann verteidigte.

Der Hauptteil der Ausstellung ist in drei Bereiche gegliedert, zu denen jeweils herausragende Zensurbeispiele näher erläutert werden: Religion (Salman Rushdies "Die satanischen Verse"), Moral ("Gender Queer: A Memoir", ein Comic von Maia Kobab) und Politik ("Wuhan" von Liao Yiwu, der auch heute die Ausstellung eröffnet).

Bücherverbote sind kein Alleinstellungsmerkmal autokratischer Systeme, in Amerika werden immer mehr Bücher aus vorgeblich moralischen Gründen aus Schulen und Bibliotheken verbannt.

Dem komplexen Thema gewinnt die Ausstellung auch eine spielerische Seite ab. So gibt es ein Puzzle mit schlüpfrigen Zitaten aus "Die Geschichte der O.", an anderer Stelle kann das Publikum anhand von Zitaten raten, warum ein Buch verboten ist. Tanja Graf hat während der Vorbereitung in Diskussionen gemerkt, wie emotional aufgeladen das Thema sei, zu dem jeder eine Meinung habe. Umso wichtiger, sich nun fachlich in dieser Ausstellung zu munitionieren.

Die Ausstellung läuft bis zum 4. Februar 2024, täglich 11 bis 18 Uhr, Salvatorplatz 1, Eintritt 8/6 Euro, ab 17.30 Uhr 4 Euro

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