Interview

Gianrico Carofiglio und seine Kult-Ermittler Penelope Spada und Guido Guerrieri

Der italienische Krimi-Autor über Verbrechen, Strafe und seinen Roman "Groll"
Volker Isfort
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Der italienische Schriftsteller Gianrico Carofiglio.
Marilla Sicilia/Imago Der italienische Schriftsteller Gianrico Carofiglio.

Eigentlich müsste man doch genug haben von der Welt des Verbrechens, wenn man als Richter und Anti-Mafia-Staatsanwalt gearbeitet hat. Doch Gianrico Carofiglio startete vor gut zwei Jahrzehnten noch einmal richtig durch, als er eine höchst erfolgreiche neue Karriere als Krimiautor begann.

Mit "Groll" hat Carofiglio den zweiten Fall für Penelope Spada geschrieben, die unbedingt das Potenzial für eine Kultermittlerin besitzt. Die 45-jährige Mailänderin hat ihren Job als Staatsanwältin vor fünf Jahren verloren und verdingt sich in ihrer langen Auszeit als eine Art Privatdetektivin ohne Lizenz, die allerdings ihre alten Kontakte nutzt.

Spada berichtet als Ich-Erzählerin von einem Fall, der vielleicht gar keiner ist: Marina Leonardi, die Tochter eines vor zwei Jahren gestorbenen Chirurgen, wendet sich an Spada, weil sie einen bösen Verdacht hegt. Ihr Vater, zu dem sie kaum Kontakt hatte, hinterließ ihr im Testament nur den Pflichtteil. Sein großes Vermögen ging fast vollständig an dessen zweite, 33 Jahre jüngere Ehefrau Lisa. Doch nun hat Marina von dem Notar erfahren, dass ihr Vater wenige Wochen vor seinem Tod sein Testament ändern und Lisas Anteil erheblich schmälern wollte. Penelope Spada beginnt illusionslos mit ihren Ermittlungen...

AZ: Herr Carofiglio, wie trat Penelope Spada in Ihr Leben?

GIANRICO CAROFIGLIO: Der Mondadori Verlag bat mich zum 90. Geburtstag der in Italien sehr berühmten "Giallo"-Reihe einen Krimi zu schreiben, was ich allerdings ablehnte. Dann haben sie das Angebot erhöht und mein Agent bat mich, doch ein bisschen flexibler zu sein. Und dann erschien mir Penelope, wahrscheinlich weil ich schon länger einen Roman mit einer weiblichen Hauptfigur schreiben wollte. Ich begann über sie in der dritten Person zu schreiben, um eine gewisse Distanz zu halten, aber das funktionierte nicht. Ich musste also das Risiko eingehen und aus ihrer Sicht erzählen.

War es schwierig, die weibliche Stimme und Sichtweise dieser komplexen, zugleich harten und fragilen Frau einzunehmen?

Es gibt die eine weibliche Sichtweise ja nicht. Und einige der schönsten Komplimente in meinem Autorenleben habe ich von Frauen für die beiden Romane über Penelope Spada erhalten. Sie konnten kaum glauben, dass ein Mann diese Romane verfasst hatte.

Wäre ich TV-Produzent, würde ich sie jetzt zwingen, mehr Spada-Fälle zu schreiben und die Rolle mit Naomi Rapace besetzen, die ja ungefähr so alt ist wie Penelope Spada.

Perfekt. Tatsächlich gab es mehrere Interessenten und wir haben jetzt die Option an einen TV-Produzenten vergeben. Vielleicht werde ich also doch bald einen neuen Fall schreiben müssen.

Was mir ganz besonders gefällt ist der Humor in Ihrem Krimi, über den verfügen ja nicht alle Krimiautoren.

Der Sinn für Humor ist meiner Meinung nach unabdingbar für einen Menschen. Es ist schon aus ethischen Gründen wichtig, sich selbst nicht zu ernst und bedeutend zu nehmen. Nur wenn wir auch über uns selbst lachen können, wenn wir also erkennen, wie lächerlich wir manchmal sind, lernt man auch die Welt mit mehr Mitgefühl zu betrachten.

Penelope lacht über sich und ihre Inkonsequenz, wenn sie sich einen ganz besonders gesunden Salat macht und ihn dann mit einem halben Liter Malbec runterspült und eine Zigarette raucht. Oder ist das eher der Autor?

Ich habe viele Romane mit männlichen Protagonisten geschrieben, die natürlich auch immer Seiten von mir in sich tragen. Aber Penelope ist definitiv die autobiografischste Figur, die ich bislang geschaffen habe.

Im Buch geht es auch um Strafe und Gerechtigkeit. Sie waren lange Richter, hatten Sie oft das Gefühl, ein Urteil sei zwar gerecht, aber dennoch falsch?

Es gibt dieses Paradox. Natürlich kann man die Bestrafung nicht verhindern, wenn ein Verbrechen bewiesen ist. Aber Bestrafung ist oft keine Lösung. Ohne Bestrafung würde unser System kollabieren, aber Bestrafung ist nicht genug, besonders wenn es darum geht, die Wunden der Opfer zu heilen. Penelope sagt es im Roman. "Ja wir brauchen die Strafe, aber was wir wirklich benötigen, ist die Wahrheit." Wahrheit und Anerkennung dessen, was geschehen ist, ist für Opfer oder Hinterbliebene oft wichtiger als die Bestrafung des Täters.

Wie entscheiden Sie eigentlich, ob Sie mit einer Figur weitermachen, oder eine neue schaffen wollen?

Das ist ein Gefühl, das langsam wächst, etwas erscheint, aber noch eher undefiniert. Schreiben ist ja auch für jeden Autor selbst das Mittel, herauzufinden, was man überhaupt sagen will. Ich schreibe gerade den siebten, und vielleicht letzten Fall für den sehr populären Charakter Guido Guerrieri. Der letzte liegt schon fünf Jahre zurück. Und viele Leser, aber auch mein Verleger, haben mich immer wieder gedrängt, weiterzumachen. Ich möchte jetzt nicht anmaßend klingen, aber ich wollte nicht einfach einen neuen Fall schreiben. Ich hätte das früher tun und viel Geld verdienen können. Aber dann hätte ich mich schlecht gefühlt. Schreiben ist natürlich hauptsächlich ein Handwerk, aber ich brauche auch zwingend das Gefühl, dass ich etwas unbedingt schreiben muss.

Was zwang Sie nun zum siebten Fall vom Strafverteidiger Guido Guerrieri?

Ich wollte über Guido und seine Beziehung zum Leben schreiben, die wohl auch meine ist. Ich wollte über das Altern schreiben, das Gefühl, dass schon so viel Zeit vergangen ist. Und ich wollte ihn mit einer harten Aufgabe konfrontieren, denn sein Arzt hat sehr schlechte Nachrichten für ihn, während er mitten in einem schwierigen Fall steckt. Er wollte es nie, aber nun sucht Guido einen Psychoanalytiker auf, einen Anhänger C. G. Jungs. Denn meiner Meinung nach ist dies die literarischste Form der Psychoanalyse. So bohre ich mich tief in Guidos Seele - und das genau ist der Grund, warum ich dieses Buch schreibe. Obwohl ich manche Romane schreiben, die Teil einer Serie sind, sehe ich mich nicht als Episodenschreiber. Die Romane sind meiner Meinung nach einzelne Kapitel eines Megaromans über die Entwicklung eines bestimmten Charakters. Und der Krimiplot ist vor allem das Mittel, um den Leser bei der Stange zu halten.

Ihre Mutter war Schriftstellerin, Sie wollten es schon als Kind werden. Warum dann der Umweg und späte Start als Autor?

Ach, wenn wir nur unsere eigenen Beweggründe kennen würden! Ich hatte lange Zeit unterbewusst die Angst, dass ich als Autor scheitern könnte, dass vielleicht gar kein Autor in mir steckt. Aber irgendwann merkte ich, dass ich es mir nie verzeihen würde, wenn ich es nicht wenigsten probieren würde. Die Uhr tickte bereits, aber nach meinem 40. Geburtstag habe ich mich im Sommer 2001 an den Schreibtisch gesetzt und meinen ersten Roman geschrieben.

Und der wurde direkt ein Erfolg.

Nicht über Nacht, aber inzwischen hat er in Italien 105 Auflagen erreicht, das ist ein Rekord.

Gianrico Carofiglio: "Groll" (Folio Verlag, 236 Seiten, 25 Euro)

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