Freddie Mercury in München? Seine beste Zeit!
München - In den Jahren von 1979 bis 1985 lebt Freddie Mercury die meiste Zeit in München, nimmt in den Musicland-Studios mehrere Alben auf und feiert wilde Partys. Der oscargekrönte Film "Bohemian Rhapsody" mit Rami Malek in der Hauptrolle als Freddie Mercury dauert über zwei Stunden. Die Münchner Jahre werden hier auf zehn Minuten verkürzt.
Freddie wird als abgestürzter und verzweifelter Rockstar dargestellt. In München scheinen Kokain und kreativer Stillstand das Ende von Queen zu besiegeln. Sogar die Chance, beim bis dahin größten Rockkonzert der Geschichte "Live Aid" aufzutreten, droht wegen Freddies Exzessen ungenutzt zu verstreichen. War Freddie Mercury in München körperlich und seelisch tatsächlich am Ende? Keineswegs!
1974 besucht Freddie Mercury zum ersten Mal München
Schon 1974 besucht Freddie Mercury zum ersten Mal München. Er schaut sich das Schwabylon an und tritt am 2. Dezember im Theater an der Brienner Straße auf. Den Song "Bohemian Rhapsody" gibt es noch nicht, aber mit "Killer Queen" ist die Band in England schon in den Charts. Mit dem "Bravo"-Redakteur Didi Zill findet eine Fotosession im "Bravo"-Studio an der Erzgießereistraße 9 statt, unweit der heutigen Freddie-Mercury-Straße.
Didi Zill organisiert royale Accessoires: Schwert, Hermelinmantel und Krone. Freddie setzt sich in den edlen Sessel, Bassist John Deacon, Gitarrist Brian May und Drummer Roger Taylor umrahmen Freddie wie Ritter ihren König. Aber den Hermelinmantel legt Freddie nicht um, und die Krone setzt er sich nicht auf. Erst zwölf Jahre später bei der Magic-Tour am Ende seiner Live-Karriere tritt Freddie geschmückt als "King of Queen" auf. Die Fotos von 1986 gehören heute zu den bekanntesten: Freddie, der Triumphator des Rock'n'Roll.
Im Eingang zum "Bravo"- Studio hängt in jenen Jahren ein großes Poster von Uschi Obermaier, oben ohne und mit geöffneter Hose. "Daran haben sich alle aufgegeilt. Egal, wer reinkam - Queen, die Stones, Deep Purple, Uriah Heep -, alle starrten Uschi an, bevor es an die Arbeit ging", erinnert sich Didi Zill.
Als Freddie im "Bravo"-Fotostudio die Accessoires sieht, ist er nicht angetan, vielleicht, weil er selbst noch nicht darauf gekommen ist, vielleicht, weil ihm diese königlichen Attribute damals noch anmaßend erscheinen. Dann macht er doch mit: Freddie hat einen ausgeprägten Sinn für das Majestätische, setzt sich in den Sessel und greift nach dem Schwert.
1978 beschließen Queen (wie viele britische Bands vor ihnen) ins Steuerexil zu gehen, denn unter der Labour-Regierung kassiert das Finanzamt 83 Prozent der Einnahmen. Das führt zu ausgedehnten Tourneen. Am 3. Mai 1978 treten Queen im Rahmen ihrer "News of the World"-Tour in der Olympiahalle auf. Es ist der krönende Abschluss der Konzerte auf dem europäischen Festland: Die Hallenbeleuchtung erlischt. In der Dunkelheit gibt Roger Taylor den Rhythmus vor. Rund 15.000 Fans in der Olympiahalle machen mit: BOOM-BOOM-CHA, BOOM-BOOM-CHA. Ein einzelner, weißer Scheinwerfer durchschneidet die Dunkelheit.
Nirgends verkauft Queen auf der Jazz-Tour so viele Tickets wie in München
Am Bühnenrand beginnt Freddie den Rap: "Buddy, you're a boy, make a big noise, playing in the street, gonna be a big man someday." Schon sind Queen und München eins. Die folgende Jazz-Tour führt Queen am 10. und 11. Februar 1979 in die Rudi-Sedlmayer-Halle. München ist auf der gesamten Deutschland-Tour die einzige Stadt, in der Queen zweimal auftreten. Nirgends verkaufen sie auf der Jazz-Tour so viele Tickets wie an der Isar.
Freddie bleiben nach den beiden Konzerten in München zwei Tage Zeit. Er besucht die in der Schwulenszene beliebten Lokale: Die Deutsche Eiche, den Ochsengarten und das Pimpernel. Er bekommt bei seinen Streifzügen ein T-Shirt geschenkt, das er beim Konzert in Saarbrücken am 18. August 1979 trägt, wo Queen die Headliner des Open-Air-Festivals sind. Auf dem T-Shirt prangt ein muskulöser Kerl in Leder-Hotpants, über der breiten Brust stehen die Buchstaben "MLC".

Der "MLC München - Münchner Löwen Club e.V." wird im Dezember 1974 im Ochsengarten von etwa 30 bayerischen Lederkumpels gegründet. Damit ist der MLC eine der ältesten schwulen Institutionen in München. Die Mitglieder bezeichnen sich als Münchner Löwen. Wer dem Verein beitreten will, muss beim ersten Treffen in Leder gekleidet sein, nur kurz die Hose öffnen, wird um etwas Geld gebeten und ist Mitglied.
Das T-Shirt steht in Zusammenhang mit einem fast in Vergessenheit geratenen Münchner Lokal. Das Motiv auf dem Shirt stammt von Touko Valio Laaksonen, genannt "Tom of Finland". Das Lokal heißt Zum Lohengrin und befindet sich an der Maistraße 10. Etwa 30 Gäste finden darin Platz.
Der Gründerwirt ist Manfred "Lohengrin" Stavenhagen. Er arbeitete in der Technik bei der Staatsoper und als Statist am Gärtnerplatztheater. 1974 ist er außerdem der erste Vorsitzende des MLC.
Freddie schätzt die Schwulenbars und Clubs des berüchtigten Bermudadreiecks
Heute ist Manfred Stavenhagen 77 Jahre alt und wohnt in Berlin. "Der Freddie hat das T-Shirt von mir bekommen", erinnert sich Stavenhagen, dessen Freund eine kurze Affäre mit Freddie hatte. In der Isarmetropole erstrahlt Freddie von 1979 bis 1985 in vielerlei Hinsicht - menschlich und musikalisch. Bei den Bayern stürzt er sich wie nirgendwo sonst in Sex, Drugs und Rock'n'Roll, es gibt "big tits and misconduct", wie Freddie auf seinem Soloalbum "Mr. Bad Guy" schreibt. Freddie schätzt die Schwulenbars und Clubs des berüchtigten Bermudadreiecks im Glockenbachviertel. Er will ans Limit und darüber hinaus.
Einmal bricht er im Studio zusammen, scheucht alle bis auf den Toningenieur der Musicland-Studios und Koproduzent, Reinhold Mack, hinaus, setzt sich auf den Boden, fängt an zu weinen und erzählt, dass er neulich in einem Müllcontainer aufgewacht ist. Er weiß nicht mehr, wie er da hineingeraten ist. Filmriss.
Wie keiner anderen Frau vertraut sich Freddie in den Münchner Jahren der Schauspielerin Barbara Valentin an. Mit ihr und Franz, dem damaligen Kellner in der Deutschen Eiche, entdeckt Freddie viele weitere Lokale in München. Er mietet ein Apartment im Stollberg Plaza und ist oft bei Barbara in der fast 200 Quadratmeter großen Wohnung ganz in der Nähe an der Stollbergstraße 11.

Danach verliebt sich Freddie in Winnie, den Wirt vom Sebastianseck. Wann sich Freddie und Winnie das erste Mal sehen, ist nicht dokumentiert. Fest steht, dass Freddie im Juni 1979 mit Reinhold Mack den in München komponierten Song "Crazy Little Thing Called Love" aufnimmt. Er wird die erste Nummer 1 für Queen in den USA. Daraufhin entstehen viele weitere Queen-Hits an der Isar.
Mercury-Vertrauter Peter Straker sagt: "Mit Barbara und Winnie hatte Freddie das beste von beiden Welten - von allen Welten." Freddies Assistent Peter Freestone meint, mit Winnie am Sebastiansplatz in der Wirtewohnung im ersten Stock habe Freddie zum ersten Mal mit einem Mann lange und glücklich in einem eheähnlichen Verhältnis gelebt.

Winnie bleibt Freddies große Liebe bis 1985. Heute wohnt die Schweizer Schauspielerin und Produzentin Najet K. mit ihrem Sohn in Winnies und Freddies ehemaliger Wohnung. Ein großes Gemälde, das Freddie singend in Aktion zeigt, hängt im Esszimmer. Najet ist sich der Geschichte dieses Ortes bewusst: "Freddie ist tatsächlich der einzige Sänger, der mich mit seiner Stimme ganz tief berührt. Ja, ich bin ein Fan, der zufällig das Glück hat, in seiner Wohnung zu wohnen." Najet lebt seit über 20 Jahren in München und seit 2020 am Sebastiansplatz.

Der Soundtrack von "Bohemian Rhapsody" enthält mehrere Songs, die in München entstanden sind, u. a. "Another One Bites The Dust". Freddie Mercury verbrachte in München seine wohl besten Jahre.
"Mit München habe ich einen Ort gefunden, an dem ich in Ruhe durch die Stadt laufen kann"
Im Juni 1985 gibt Freddie in London dem Sender BBC Radio 1 ein Interview: "Mit München habe ich einen Ort gefunden, an dem ich in Ruhe durch die Stadt laufen kann. Es fühlt sich an wie ein kleines Dorf. Ich habe dort eine Menge Freunde. Sie wissen, wer ich bin, aber sie behandeln mich wie ein ganz normales menschliches Wesen. Sie akzeptieren mich so, wie ich bin, und das hilft mir sehr dabei zu entspannen".
Nach dem "Live Aid"-Konzert im Juli 1985 könnten Queen ihr nächstes Album direkt in London oder in Los Angeles, in New York oder in Montreux aufnehmen. Aber sie kehren zurück nach München. Hier entstehen zwei Videos, die zeigen, wie viel Spaß Freddie und Queen im Spätsommer 1985 haben: "One Vision" im Musicland- Studio (dessen Gründung sich 2022 zum Fünfzigsten jährt) und "Living On My Own" im Henderson (heute Paradiso Tanzbar).

Wenig später macht Freddie den Aids-Tests. Seine besten Jahre sind vorbei; es bleiben ihm nur noch fünf, die von der Krankheit überschattet sind.
Nicola Bardola : "Mercury in München - Seine besten Jahre" (Heyne Hardcore, 432 Seiten, 94 s/w Abbildungen, 16-seitiger Farbfototeil, 24 Euro)